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Joachim Leser: Die Amazonisierung des Sortiments

Joachim Leser: Die Amazonisierung des Sortiments

Der Erfolg des Internetversandhändlers Amazon.de hat massive Auswirkungen auf die Buchbranche. Es hat nicht nur Verschiebungen in den Absatzwegen des Buches gegeben – Amazon hat die traditionellen Institutionen – Buchhandel, Verlage und Kritik – innerhalb von zehn Jahren im Kern verändert. Ein Rückblick in vier Teilen. 1: Wie hat Amazon den stationären Handel verändert?

Amazon ist nicht nur der erfolgreichste Buchhändler der letzten Jahre, er ist auch der Buchhändler mit dem größten Angebot. Um die zehn Millionen Titel hat Jeff Bezos im Angebot. Allein zum Thema „Maschinenbau“ etwa hält der Händler knapp 20.000 Titel bereit. Eine scheinbar unbegrenzte Produktvielfalt, die als „Long Tail“ von Chris Anderson in der Begriffswelt des E-Commerce platziert wurde.

Wie Amazon zehn Millionen Bücher filtert

Das Angebot erscheint unendlich, doch die Titel, die Amazon seinen Kunden via Bestseller- und Empfehlungslisten bereit hält, beschränkt sich im Vergleich dazu auf einige wenige Titel. Die Titel, die aktiv platziert sind, werden mit zwei Kriterien ermittelt:

  • Algorithmen stellen Beziehungen zwischen den Büchern durch das Verkaufsverhalten der Kunden her. Welche Bücher haben andere Kunden, die das Buch erworben haben, auch noch gekauft? Oftmals werden diese Kaufempfehlungen auf entsprechende Warengruppen eingeschränkt.
  • Die Ergebnisse der Algorithmen werden nach betriebswirtschaftlichen Faktoren gefiltert: Ist der Titel lieferbar? In welchem Zeitraum ist der Titel lieferbar? Welche Konditionen sind mit dem produzierenden Verlag ausgehandelt? In welchem Preissegment bewegt sich erfahrungsgemäß der Kunde? Bezahlt der Verlag für entsprechende Werbung? Ist der Titel eine Produktion von Amazon selbst? Dies alles sind denkbare Kriterien, die für die Platzierung der Titel herangezogen werden (und wie sie von E-Commerce-Experten nicht nur bezüglich Amazon aufgeführt werden).

Qualitätskriterien werden auf die Auswahl nicht angewendet. Es gelangen Titel in die Rotation – etwa in die Kundenempfehlungen –, die sich bereits gut verkaufen. Dies führt dazu, dass aktiv von Amazon immer dieselben wenigen Titel empfohlen werden. Die scheinbare Vielfalt schrumpft bei Amazon zu einem schmalen Fluss. Was die Titel zusammenbringt, ist ein kleinster gemeinsamer Nenner (Autor, Genre, Verkäuflichkeit, Preis).

Die Vorteile bei diesem Verfahren sind offensichtlich:

  • Das Angebot lässt sich mit betriebswirtschaftlichen Faktoren koppeln (Konditionen, Werberabatte etc.)
  • Die Konzentration auf wenige erfolgreiche Titel entlastet den logistischen Aufwand (Nachbestellungen, Lagerung etc.)
  • Empfehlungssysteme mittels Algorithmen können weitgehend ohne Personal betrieben werden.
  • Und um einen nicht allzu weiten Blick in die Zukunft zu werfen: Eigenproduktionen von Amazon lassen sich glänzend platzieren. Bestseller lassen sich – dies kann aus den Erfolgsmeldungen der letzten Monate aus Seattle abgeleitet werden – ohne größere Einflüsse von außen machen.

Buchhändler folgen bei der Titelauswahl dem Onliner

Der stationäre Handel, der lange Zeit als Gegenmodell zu Amazon fungierte, hat sich bei der Titelauswahl inzwischen dem Modell zu großen Teilen angepasst. Nina und Maximilian Hugendubel etwa beschreiben in einem Interview im buchreport.magazin 2/2010 die Einkaufsstrategie seines Hauses folgendermaßen:

„Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie wir früher anders arbeiten konnten. Wir haben die Marktforschung jetzt im Haus. Wir können einzelne Warengruppen in einzelnen Häusern über einzelne Tage, Monate, Wochen einsehen und haben so jederzeit den Überblick, welcher Laden zum Beispiel mit den Top-50-Titeln deutlich zu wenig Umsatz macht. (…) Wir setzen auf die Toptitel und wollen uns da nicht verzetteln, der Kunde soll die Spitzentitel wahrnehmen, sodass nicht jedes Buch gleichberechtigt präsentiert wird. (…) Bei uns hat praktisch jeder (Buchhändler) eingekauft. Dann sind wir auf ein elektronisches Bestellsystem gegangen und haben dann jeden Einkauf nachvollzogen. Das ist in der Branche so üblich, bei uns war es etwas Besonderes, weil die Leute es toll fanden, selbst bestellen zu können.“

Diese Amazonierung eines Großteils der stationären Sortimenter stellt einen Paradigmenwechsel in der Geschichte des Buchhandels dar. Das System des Buchwesens, das sich über Jahrhunderte auf ein Netz unterschiedlicher Buchhändler und Buchhändlerinnen mit unterschiedlichen Ansichten, Geschmacksauffassungen, Meinungen und Biographien stützen konnte und somit ein höchst differenziertes Angebot in den Läden präsent hielt, stützt sich nun auf ein scheinbar objektiv errechnetes Titelangebot, das universell präsentiert wird. In vielen stationären Buchhandlungen herrscht inzwischen das Amazon-Prinzip: Es wird verkauft, was sich verkauft.

War der Buchhändler bis in die 90-er Jahren noch eine Instanz der Vernunft, der auch die Auswirkungen medialer Buchinszenierungen in Schranken hielt und seine Bestellungen an den Kunden orientieren konnte (die er auch noch kannte), so ist er nun der Verkäufer, der am Ende einer Produktkampagne in Medien und Handel an der Kasse abrechnet und das Buch in die Plastiktüte gleiten lässt. Das elektronische Bestellsystem wirkt als Katalysator, der die immer gleichen Titel am POS positioniert. Der Händler als Qualitätshürde hat ausgedient.

Die Bestsellerliste auf dem Hausaltar

Die Bestsellerliste – man kann sich kaum noch daran erinnern – war noch Ende der 90er Jahre kaum in den Buchhandlungen vorhanden. Inzwischen wird mit den Toptiteln der Hausaltar bestückt.

Der Anteil, den die Top-Titel zum Buchhandelsumsatz beitragen, ist in den letzten Jahren in zahlreichen Buchhandlungen gestiegen. Bedenkt man, dass in diesem Zeitraum das Sortiment um neue Warengruppen erweitert wurde (Hörbuch, DVDs, Nonbooks), lässt sich erahnen, dass das Angebot an Buchtiteln, die verkaufsträchtig präsentiert wurden, erheblich zurückgefahren wurde und die kurzlebigen schnelldrehenden Top-Titel zum wesent­lichen Erfolgsfaktor wurden. Dieses „Mehr Spitze statt Breite“ (Hugendubel) entsteht jedoch nicht durch eine Qualitätssichtung der Programme, sondern als Reaktion auf das Käuferverhalten, das der Händler mittels elektronischer Warenwirtschaft potenziert.
Ein Resultat dieser Konzentration: „Schwierige“ Titel, die vor Jahren noch Käufer im vierstelligen Bereich fanden, haben nur noch in wenigen Buchhandlungen die Präsenz, die zu entsprechenden Absätzen führen kann. Neuerscheinungen verschwinden nach vier bis sechs Monaten wieder aus den Regalen. Der Mittelbau der Buchproduktion ist in den „Long Tail“ verschoben worden und findet nur noch den Kunden, der genau weiß, was er will.

Der Anteil, den die Top-Titel zum Buchhandelsumsatz beitragen, ist in den letzten Jahren in zahlreichen Buchhandlungen gestiegen. Bedenkt man, dass in diesem Zeitraum das Sortiment um neue Warengruppen erweitert wurde (Hörbuch, DVDs, Nonbooks), lässt sich erahnen, dass das Angebot an Buchtiteln, die verkaufsträchtig präsentiert wurden, erheblich zurückgefahren wurde und die kurzlebigen schnelldrehenden Top-Titel zum wesent­lichen Erfolgsfaktor wurden. Dieses „Mehr Spitze statt Breite“ (Hugendubel) entsteht jedoch nicht durch eine Qualitätssichtung der Programme, sondern als Reaktion auf das Käuferverhalten, das der Händler mittels elektronischer Warenwirtschaft potenziert.

Ein Resultat dieser Konzentration: „Schwierige“ Titel, die vor Jahren noch Käufer im vierstelligen Bereich fanden, haben nur noch in wenigen Buchhandlungen die Präsenz, die zu entsprechenden Absätzen führen kann. Neuerscheinungen verschwinden nach vier bis sechs Monaten wieder aus den Regalen. Der Mittelbau der Buchproduktion ist in den „Long Tail“ verschoben worden und findet nur noch den Kunden, der genau weiß, was er will.

Der Kundenwunsch als Leitlinie

Neu ist, dass sich die Antizipation des Kundenwunsches nicht mehr aus der Interaktion zwischen Händler und Kunde ergibt, sondern aus einem Lauschen auf die Vorgeräusche des Medienechos (Zentraleinkauf). Der selbstbewusste Händler, der als Vermittlungsinstanz dem zur Verbreitung verhilft, was von ihm als Wesentlich erkannt wurde, hat in diesem System kaum einen Platz mehr. Geforscht wird nach dem Kundenwunsch, und das bringt Erstaunliches zutage: Bio-Schwarztee, Gummitierchen und handgeschnitzte Rehkitzlein – der Vollsortimenter fühlt sich, wie Amazon, inzwischen für jeglichen Kundenwunsch zuständig. Und wie bei Amazon ist „Service“ zum Leitmotiv des buchhändlerischen Alltags geworden. Jedes speckige Kochbuch wird umgetauscht, jedes Scheusal wird bis zum Nervenzusammenbruch angelächelt.

Im November folgt Teil 2 der Serie, der den Einfluss von Amazon auf den Online-Buchhandel im deutschsprachigen Raum zu beschreiben versucht. Die Veränderungen, die Verlage und Literaturkritik in den vergangenen  Jahren erfuhren, ist Gegenstand des abschließenden 3. Teils des Rückblicks.

Joachim Leser, Jahrgang 1966, leitete jeweils fünf Jahre die Pressestelle beim Ammann Verlag und bei Kein & Aber. Seit 2009 ist er bei Schulthess Juristische Medien in Zürich als Portalmanager und Online-Buchhändler tätig.

Kommentare

17 Kommentare zu "Joachim Leser: Die Amazonisierung des Sortiments"

  1. Wann gehts denn endlich weiter?

  2. In dem Artikel stehen sicher ganz viele richtige und wichtige Sachen, aber der absolute Hauptgrund für den Erfolg Amazons ist schlicht und einfach, daß eine Bestellung bei Amazon für den Kunden bequemer(!), als der Gang in die Buchhandlung ist. Alle anderen Gründe sind in meinen Augen überbewertet.

  3. Interessanter Artikel, der aber meiner Meinung nach Ursache und Wirkung verdreht. Amazon konnte erst deshalb so erfolgreich werden, weil der stationäre Buchhandel eben nicht mehr die Interessen der Leser abbildete. Ich nenne das gerne, angelehnt an das Filmgeschäft, die „Blockbusterisierung“ des Buchhandels.
    Das Problem beginnt bereits bei den Verlagen, die in den letzten zehn Jahren immer mehr darauf setzen, mit wenigen Titel den Großteil des Umsatzes zu machen, die so genannten „Spitzentitel“, die von den Vertretern massiv in den Handel gedrückt werden, durch Sonderkonditionen, Aufsteller etc.
    Die Backlist-Pflege geriet dadurch immer mehr zum Problemfall, Titel aus dem Vorjahr waren oft nicht mehr in den Buchhandlungen präsent. Genau diese Lücke füllte dann der Online-Handel aus.
    Auch die Einführung des Deutschen Buchpreises ist letztlich nichts anderes als ein Marketingtool, das diese Blockbusterisierung vorantreibt.
    Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, ausgerechnet diese Ausdünnung des Sortiments nun als „Amazonisierung“ zu bezeichnen…

  4. toller Beitrag – freue mich auf die Fortsetzung!

  5. Ich habe selten eine derart fundierte, durchdachte und plausible Analyse gelesen! Da folgt wahrlich ein Aha-Effekt dem nächsten, und die endlos geführte Debatte über die Bedeutung von Büchern in der Zukunft hat hier einmal – mit Blick auf die Sortimenter – einen nützlichen Niederschlag gefunden, indem nicht primär beklagt, sondern erklärt wird.
    Absolut lobens- und lesenswert! Ich freue mich schon auf den zweiten Teil.

  6. Aus der Autorensicht:

    Die 90er wurden angesprochen… Ich kann mich noch gut daran erinnern, in Buchhandlungen mit selbstgedruckten Büchern abzublitzen „da haben wir keinen Platz für“.
    das war so schade wie verständlich !

    Nun ist Amazon da und Print-on-Demand und E-Books. Das ist eine attraktive Mischung. Ich verteufele sie nicht.

    Als Autor, dessen Bücher bei Rowohlt erscheinen, veröffentliche ich andere Titel selbst als E-Books für 1,50 – ein Titel schaffte es mehrere Wochen in die Top20. Algorithmen hin oder her, ohne Werbung, ohne Kosten.

    Seit letzter woche weiß ich, das nennt sich nun Hybridautor (der im Verlag und selbst veröffentlicht).

    Auf jeden fall: vielen Dank, ich bin schon gespannt auf die nächsten Teile!

  7. Sehr schöne Analyse. Es bleibt abzuwarten, ob Amazon das Apple des Buchhandels wird…

  8. @Markus
    Qualitätskriterien sind individuell, meine ich, sie entstehen in der täglichen Arbeit mit dem Produkt. Bei Amazon können diese meiner Meinung nach gar nicht entstehen. Die Rubrik „Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch…“ lässt sich rasch nachrechnen, dass dort kaum das präsentiert werden kann, was andere Kunden tatsächlich kauften. Rechnen wir mal: Für ein Buch mit Verkaufsrang 100 braucht es ca. 100 Verkäufe täglich (die Zahlen stammen von http://www.fonerbooks.com/surfing.htm ) Wenn jedere Kunde bereits 10 Bücher gekauft hat, müssten so täglich 1000 Kundenempfehlungen generiert werden, bzw. 30.000 in der Woche. Platziert werden max. 100 Kundenkäufe. Wer die aktuelle Top-Titel bei Amazon durchklickt, wird feststellen, dass dort immer die selben Titel rotieren. Es sind also weder die Qualitätskriterien der Kunden noch die des Verkäufers Amazon, die hier sichtbar werden können.

  9. Ich kann hierzu folgendes über den Einkauf bzw. den Verkauf in unserem Laden sagen: Natürlich verkaufen wir die Bestseller, wir können nicht alle dahaben, aber die, bei denen wir merken sie verkaufen sich gut, haben wir natürlich da. Dagegen ist doch nichts einzuwenden. Wir haben seit sehr vielen Jahren (wahrscheinlich hat es sich Hugendubel bei uns abgeguckt 😉 ) Empfehlungskarten der Teammitglieder in die Bücher hineingesteckt, die uns ganz persönlich gut gefallen haben. Diese werden im ganzen Laden in Schrägauslagen und einer eigenen Wand präsentiert. Und das wird gut angenommen. Die Titel sind im WWS als Tipps gekürzelt und werden regelmäßig nachgezogen. Immer in kleinen Stückzahlen, aber regelmäßig. Damit zeigen wir zum einen unsere buchhändlerische Kompetenz (viele dieser Tipps stehen auch in der Buchtippdatenbank unserer Website) und wir pflegen aktiv die Backlist. Was mich oft stört an solcherlei Diskussionen ist, daß individueller Buchhandel gleichgesetzt wird mit dem besonderen pflegen von kleinen Verlagen und der Meinung, daß es sich dabei automatisch um Qualitätsbücher handelt. Die meisten unserer Buchtipps sind in großen Verlagshäusern erschienen, stehen nicht unbedingt auf der Bestsellerliste, aber uns und unseren KundInnen gefallen sie trotzdem. Wir sind eine kleine Buchhandlung, müssen versuchen, so wirtschaftlich wie möglich zu arbeiten und verschiedene Versuche mit kleinen Verlagen haben bei uns nicht funktioniert. Ich stimme deshalb Herrn Ulmer absolut zu: Die Qualitätskriterien der KundInnen sind diejenigen, die zur Kaufentscheidung führen und je besser hier das Buchhandlungsteam und die KundInnen zusammenpassen, desto beser werden auch Bücher jenseits der Bestsellerlisten verkauft.

  10. Tatsächlich ist Amazon um Kilometer weiter als der sonstige Buchhandel, was das Generieren von Daten angeht, die zu Verkaufsempfehlungen führen. Und Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass auch Bewertungen bei Amazon eine Rolle spielen – der Käufer sieht diese Kundenbewertungen und orientiert sich offenbar daran; und man kann sich Titel auch nach Bewertungen sortieren lassen

    (btw: Wenn ich jetzt bei Amazon nach „Museum“ suche:

    http://tinyurl.com/6h6wdx5

    Bekomme ich zuerst einen Thomas Bernhard-Titel, Alte Meister, ohne Bewertung: die dazu gehörigen TBs und HCs haben zwar gute Bewertungen, aber nicht in der Güte wie der zweite Titel; das Marketing bei Amazon scheint ihn nach oben zu schieben…)

    Aber: Ich erkenne bei Amazon nicht (und beim restlichen Buchhandel schon gar nicht), dass wir dem Angebot eigene, buchhändlerische Bewertungskriterien an die Seite stellen, die nicht nur retrospektive absatzorientierte Kriterien sind. Der Verweis auf die Kaufentscheidungen auf jeden Fall ist von Herrn Leser schön beschrieben worden: Es wird verkauft, was auf der Bestseller-Liste steht. Auf der Bestseller-Liste steht, was verkauft wird. Wo kommt da die Qualität hinein? Mir scheint es eher ein schönes Beispiel für einen Circulus vitiosus.

    Wir haben in unserem Shop unterschiedliche weitere Formen des Empfehlungswesens etabliert:
    Wir arbeiten in unsere Webseiten als eigene Größen die Literaturpreise und das Vorkommen im Feuilleton, insbesondere in den Messebeilagen ein – bis zur Tendenz der Besprechung.
    Wir wollen so das Wissen professioneller Buchleser mit unserem buchhändlerischen Katalog verbinden.
    Im Jugendbuch-Bereich nutzen wir zum Beispiel die Empfehlungen eines Online-Bloggers (der interessanterweise mittlerweile als Juror auch für den Deutschen Jugendliteraturpreis arbeitet) als Qualitätsfilter für das Angebot.
    Unsere Titelauswahl selbst, unsere Empfehlungen, die 1.000 Bücher, die wir aus den 100.000 Novitäten herausdestillieren, bestätigen die von uns erlebte Qualität der Titel.
    Und wir fangen hier gerade erst an, qualifiziertes Wissen (über die GfK-Zahlen und über die auf jeden Fall beachtlichen Kundenbewertungen bei Amazon hinaus) zu sammeln.
    Nach meiner Auffassung stehen wir da noch ganz am Anfang, und der buchhändlerische Input ist hier bislang bei Null.

    Vor wenigen Tagen habe ich auf der Thalia-App ein neues Feature gesehen: Buchhändler-Meinung. Das finde ich mal eine Ansage!

  11. Kling traurig und fade, wenn nur die wenigen Bestseller überhaupt noch propagiert werden. Dann ist es mit dem Buch so, wie mit einem Fisch im Meer. Wenn ihn nicht zufällig ein Taucher (z.B. Amazon) entdeckt, bleibt er auf ewig unentdeckt… Tschüss Vielfalt. Schade.

  12. Hallo Herr Leser,

    Sie schreiben „Qualitätskriterien werden auf die Auswahl nicht angewendet.“ ist das so, oder ist das eine Vermutung? Und was genau verstehen Sie unter einem Qualitätskriterium?

    Viele Grüße
    Markus Sommer

  13. „Dieses ‚Mehr Spitze statt Breite‘ (Maximilian Hugendubel) entsteht jedoch nicht durch eine Qualitätssichtung der Programme, sondern als Reaktion auf das Käuferverhalten, das der Händler mittels elektronischer Warenwirtschaft potenziert.“

    Im Netz spricht man in solchen Zusammenhängen von Filterblasen. 😉

  14. Der Beitrag schildert mein bisheriges Leben als Buchhändlerin. Ich habe Mitte der 90er meine Ausbildung abgeschlossen. Seitdem habe ich verschiedene Geschäftsmodelle einer Buchhandlung miterlebt und auch gestaltet. Derzeit finde ich es sehr schade, daß man eigentlich nichts mehr wissen muß um den Kunden zufrieden zustellen. Mein gesamtes Wissen aus 20 Jahren Berufserfahrung interessiert meine Kunden nicht mehr. Dabei könnte ich so schön differenzieren und empfehlen, aber den meisten Kunden dauert ein Verkaufsgespräch was länger als 2 Minuten geht zu lange.
    Das “ selbst einkaufen und entscheiden was“ ist eine der schönsten Dinge an diesem Beruf. Man lernt Geschichten zu lieben und damit Freude zu geben. Das Alphabet bietet einem da sehr schöne Möglichkeiten. Und wenn man immer wieder seine Lieblinge empfiehlt, kommen sie schließlich auch in die interne Bestsellerliste!
    Ich möchte jetzt nicht jammern. Mein Berufsleben dauert noch mindestens 30 Jahre. Derzeit bin ich an einem Punkt an dem ich mir berufliche Alternativen überlege. Aber eigentlich möchte ich Buchhändlerin bleiben. Man wird sehen, wie es sich weiter entwickelt und was ich in den nächsten Jahren noch lernen werde.
    Vielleicht wird man (Kunde, Buchhandel, Verlag…) irgendwann wieder lernen Zeit zu haben und das Besndere zu wollen.

  15. Toller Artikel 🙂
    Bei Filmen ist es ja auch so: Bereits während der Premiere wissen die Vermarkter, ob der Film ein Flopp wird oder nicht. Noch bevor der Film, der das erste Mal der Öffentlichkeit gezeigt wird, zuende ist, steht die Entscheidung zur Veröffentlichung (und Bewerbung) bereits fest. Das ist beinhartes Business (und hat mit Kunst praktisch nichts mehr zu tun).
    Genau das ist es, was mir Sorgen macht: Die menschliche Bewertung weicht hier aufgrund wirtschaftlicher Rahmenbedingungen der maschinellen „Empfehlung“. So wird Literatur ungefähr genauso variantenreich wie die IKEA-überfrachteten Wohnungen in Deutschland.
    Solange sich für den „Händler als Qualitätshürde“ kein handfestes Geschäftsmodell finden lässt, bleibt es wohl ein Auslaufmodell.

  16. Der Beitrag gefällt mir gut, weil er klar zeigt, dass der Versuch, die Algorithmen von Amazon nachzubauen, insofern zum Scheitern verurteilt ist, als dass mangels Masse immer nur schlechtere, schwächere, unpräzisere Ergebnisse zu erwarten sind.

    Es spricht aber aus meiner Sicht nichts gegen die Nutzung von Business Intelligence im Buchhandel, nur muss das Konzept ein ganz anderes sein.

    Zum einen wird es dringend Zeit, andere als nur die Abverkaufsparameter in die Generierung von Empfehlungsdaten einfließen zu lassen – Joachim Leser schreibt zu Recht, Qualitätskriterien fließen bei Amazon nicht in die Algorithmen ein.

    Außerdem ist es natürlich unterkomplex, dass alle mit den gleichen Zahlen operieren – wer verbietet es eigentlich dem Buchhandel, da deutlich variantenreicher zu sein?

    Schließlich wird auch die Maskierung der Parameter, aus denen die Empfehlungen generiert werden, mittelfristig dem Kunden nicht gerecht. Warum soll er nicht selbst (mit-)entscheiden dürfen, welche Werte in die ihm gezeigten Kaufemfehlungen münden.

    Es zeigt sich bereits mit dem Einsatz weniger, intelligent gesetzter buchhandelsnaher Parameter und moderner Data-Warehouse-Technik, dass hier dem Buchhandel erstaunliche Möglichkeiten gegeben wären, sich hochqualifiziert zu präsentieren.

    Aber dazu müssten erst einmal ein paar Hausaufgaben gemacht werden…

  17. Ich gratuliere zu dieser hervorragenden Analyse.

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