Jenseits der fulminanten Schauer-Serie zwischen Erbin und Parvenü lohnt sich ein nüchterner Blick auf die wirtschaftlichen Realitäten des Suhrkamp Verlags: Sie sagen auch einiges über die Lage der Verlage insgesamt.
Allmählich, wenn auch mit kleinen, Schritten, schiebt sich eine Frage, von weit draußen kommend, mehr und mehr ins Zentrum der Suhrkamp Soap: Und was nun, wenn Suhrkamp tatsächlich insolvent ist? Also nicht nur als juristische Finte, nicht als Trick hoch oben in der Zirkuskuppel zwischen Juristen und Großfeuilleton, sondern ganz echt?
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sah zuletzt einen „Ausbruch aus der Feindschaft“. Der Verlag freut sich, dass, nach dem nun offiziell eröffneten Insolvenzverfahren, die Überführung des Suhrkamp Verlags in eine Aktiengesellschaft „der insolvenzauslösende Gesellschafterstreit das operative Geschäft des Verlags nicht länger beeinträchtigen“ wird können. (Pressetext Suhrkamp, zitiert in der Welt. Doch in die Krimi-Berichterstattung mischen sich vermehrt nachdenkliche Stimmen. Die Welt sieht das Insolvenzrecht „zweckentfremdet“, und Georg Diez resümiert in Spiegel online gar, „erst in der Krise wurde Suhrkamp wieder groß. Erst im Untergang erschien seine Bedeutung. Ein deutsches Drama.“
Doch nirgendwo kann ich auch nur den ansatzweisen Versuch erkennen, einmal nüchtern nachzurechnen. Das eine oder andre Mal wurden im vergangenen Jahr Gerüchte gestreut oder Aussagen mehr oder weniger dem Verlag nahestehender Personen kolportiert, wonach es Suhrkamp nicht so toll gehe. Und selbstverständlich sind die meisten echten Zahlen nicht öffentlich einsehbar. Aber zumindest lassen sich einige Eckgrößen nachvollziehen – und dies sei hier versucht, wenn auch ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, und mit aller gebotenen Skepsis mir selbst gegenüber.
Im Verlagsranking des buchreport wird Suhrkamp an 41. Stelle aufgelistet, mit einem Umsatz von 35,6 Millionen Euro für 2012. Gegenüber 2008 (mit 45 Millionen Euro) ist dies ein kontinuierlich verlaufender Rückgang von insgesamt fast 21 Prozent in fünf Jahren. Die Zahl der Neuerscheinungen sank ebenfalls um knapp über 20 Prozent, von 576 vor 5 Jahren, auf 459 im Vorjahr, die der Mitarbeiter indessen um knapp 18 Prozent gegenüber 2008, jedoch um fast 22 Prozent seit 2009, dem Jahr des höchsten Personalstandes.
Diese erhebliche wie kontinuierliche Schrumpfung unterscheidet die Entwicklung von Suhrkamp gegenüber dem Gesamtmarkt des deutschen Buchhandels, wie auch von manchem seiner unmittelbaren Konkurrenten. Hanser in München verlor zwischen 2008 und 2011 vergleichsweise nur leicht, und legte 2012 wieder erheblich im Gesamtumsatz zu, und übertraf damit sogar die Marke von 2008. Der Deutsche Taschenbuchverlag wuchs indessen um gut 35 Prozent. Branchenprimus Random House legte um 17 Prozent zu.
Das sagt freilich nichts über die Gewinne aus. Doch darf vermutet werden, dass der Umzug des Suhrkamp Verlags von Frankfurt nach Berlin erheblich die Bücher belastet hat, und der juristische Dauerstreit ebenso. Der Verkauf des Hausarchivs mag wohl einige Lücken geschlossen haben, ist aber ein Einmaleffekt, oder etwas feuilletonistischer formuliert, der Verkauf von Tafelsilber.
Vergleicht man die Umsätze mit der Anzahl der Mitarbeiter, liegt Suhrkamp mit 321.000 Euro pro Kopf im Mittelfeld, deutlich vor Hanser (266.000), aber auch deutlich hinter Random House (mit 374.000). Der Vergleich zum Taschenbuchverlag dtv (571.000) gilt hier nicht wirklich, da dort die personalaufwendigen Eigenproduktionen nur einen vergleichsweise geringen Teil der Aktivitäten ausmachen.
Aber diese Zahlen lassen auch rasch erahnen, weshalb dtv (als deutsche Nummer 19, mit 60 Millionen Umsatz fast doppelt so groß) ein Beteiligungsangebot an Suhrkamp richtete (mehr hier).
Anders als Meldungen über Offerten verschiedenster branchenfremder Millionärsfamilien ist die Variante einer zumindest erst einmal teilweisen Übernahme von Suhrkamp durch dtv auch strukturell einleuchtend.
Der Anteil von Taschenbüchern am Programmangebot von Suhrkamp ist groß. Von zuletzt 459 Novitäten waren 247 Taschenbuchtitel.
Aber auch in Suhrkamps legendärer Backlist von Hermann Hesse bis Bertold Brecht und Max Frisch geht es vielfach um Taschenbücher, und nicht um teure Ausgaben. Bei diesen über Jahrzehnte gepflegten – also im Wesentlichen immer wieder mit neuen Umschlägen versehenen – modernen Klassikern sprechen wir von viel Menge um wenig Geld.
Hermann Hesses unverwüstlicher Jugendroman „Siddharta“ liegt in der Rangfolge der meist verkauften Bücher bei Amazon.de auf dem unglaublich hohen Verkaufsrang von 665 – wovon die meisten Autoren selbst relativ gut gehender Neuerscheinungen, gerade auch aus dem Hause Suhrkamp, nicht einmal träumen dürfen. Aber auch Hesses „Steppenwolf“ rangiert auf Platz 1644, der „Gute Mensch von Sezuan“ von Bert Brecht auf Rang 2937, und dessen „Leben des Galilei“ auf Platz 2020.
Zum Vergleich zwei aktuelle Suhrkamp Bestseller: „Blumenberg“ der aktuellen Büchner Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff ist auf Rang 13.871, der „Turm“ von Uwe Tellkamp auf 19.989.
Verkaufsrang lässt sich jedoch nur unter einem Vorbehalt in finanzielle Einnahmen übertragen: Wieder und wieder aufgekochte Allzeit-Renner von Hesse oder Brecht sind überaus billig. Wenn ein Leser zwischen 5,50 Euro („Galilei“) und6,99 euro („Siddartha“) an Amazon überweist, bleibt nach Abzug von Umsatzsteuer, Vertriebskosten und Rechten für die Erben nicht mehr allzu viel für den Verlag – es sei denn, dieser kann alle Skaleneffekte einer optimalen Taschenbuchmaschinerie im Stile von Random House oder eben dtv voll nutzen.
Letzteres führt nahtlos weiter zum Thema eBook, dem zunehmend wichtigsten Wachstumssegment im deutschen Buchhandel. Da der Kampf um Erlöse angesichts niedriger Preise beim eBook noch aggressiver ausgetragen wird als selbst beim Taschenbuch, kommt ein Haus wie Suhrkamp neuerlich in eine Leistungsschere. Einerseits zeigte sich Suhrkamp bei eBooks bislang sehr zurückhaltend, kann also hier kaum auf große Zuwachsvolumina hoffen. Andererseits zeichnet sich eine Kannibalisierung gerade des Segments Taschenbuch durch eBooks ab, was wiederum zu Lasten von Suhrkamps Ertragslage führen kann.
Ein Einstieg von dtv hingegen würde dem Taschenbuchspezialisten eine großartige zusätzliche Backlist verschaffen, plus attraktive aktuelle Autoren – eben von Lewitscharoff bis Tellkamp, und von Ulf Erdmann Ziegler, Clemens Setz bis zu Stephan Thome.
Letztere waren allesamt Suhrkamp-Entdeckungen, die beim für den Markterfolg wichtigen Deutschen Buchpreis punkten konnten, was das Feuilleton wiederum gerne lobend vermerkt. Aber die wirklichen Renner in der Belletristik, von jenem Gewicht, dass davon das Gesamtergebnis eines mittelgroßen Verlagshauses spürbaren Rückenwind erfährt, die waren bei Suhrkamp zuletzt immer seltener.
Kurzum, die einem jeden Insolvenzantrag zugrundeliegende Sorge dürfte im Falle von Suhrkamp wohl echt sein.
Auch abseits der fulminanten Degenstücke zwischen der glamourösen Unseld-Berkéwicz und dem als Parvenü hinter dem Vorhang ins Rampenlicht hervor stürzenden Barlach in der packenden Schauer-Serie „Smoke and Mirrors“ gibt es einige Gründe, in Sachen Zukunft des Hauses Suhrkamp erheblich Handlungs-, Erneuerungs- und möglicherweise sogar Rettungsbedarf auszumachen.
In diesem Sinne aber ist Suhrkamp gar kein Spezialfall mehr, und die besonderen Aspekte der medialen Soap wiegen gering angesichts des trockenen Befundes: Vor diesem Dilemma stehen aktuell eigentlich allemittelgroßen, bislang noch konzernunabhängigen Publikumsverlage in Deutschland (und in Europa). Es steht eine Konsolidierungswelle im Mittelfeld an, mit einem Wettlauf der stärkeren Häuser um die Filetstücke ihrer Konkurrenten. Die Übernahme von Flammarion durch Gallimard im Vorjahr war da ein erster lebhafter Startschuss.
Die entscheidenden Themen dabei sind Kosteneinsparungen, der Erlösdruck, den die Rabattpolitik von Amazon und den großen Buchhandelsketten ausüben, die sich immer weiter öffnende Kluft zwischen wenigen Super-Bestsellern und der Vielzahl aller anderen Titel, deren Auflagen schwinden, und natürlich das nun voll Fahrt aufnehmende Thema eBook, mit dessen geringeren Margen und der zusätzlichen Herausforderung, dass Verlage direkt ihre Leser ansprechen. Theatralische Fehden sind dem gegenüber Fußnoten und charmante Gewohnheiten eines traditionell um sich selbst drehenden Buchkulturbetriebs. Doch einmal ehrlich, ganz wollen wir uns von diesen Facetten ja auch nicht lösen.
Der Text ist zuerst bei perlentaucher.de erschienen.
Rüdiger Wischenbart, Pressesprecher der Frankfurter Buchmesse (1998 bis 2001), seit 2002 Berater (Rüdiger Wischenbart Content and Consulting) mit Schwerpunkt Kommunikation, Kommunikationsstrategie, kulturelle Märkte, außerdem Österreich-Korrespondent von buchreport. Hier sein Blog.
Einige weitere meiner Vermutungen bestätigt heute ja Frank Häger seitens dtv/HoCa heute in der Welt (http://bit.ly/1cFSrXY ), und beim Personalstand war ich natürlich konservativ.
Lieber Kollege. Ich habe mal nachgeguckt auf unserer Tospeller-Liste für die Schweiz. Ein einziger Suhrkamp-Titel war zwei Wochen lang drauf: Adam Johnson, Das geraubte Leben des Waisen Jun Do. Und das dürfte auf der Spiegel-Liste auch nicht viel besser aussehen. Ergo: Suhrkamp ist pleite, denn Ihre Pro-Kopf-Umsatzberechnung birgt einen Schönheitsfehler: In Berlin arbeiten wieder so viele Leute wie vor dem Umzug aus Frankfurt…