Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass E-Books und gedruckte Bücher beim Verleih durch Bibliotheken unter bestimmten Voraussetzungen gleich zu behandeln sind. Eine Entscheidung, die in Deutschland Lob und Kritik auslöst.
Anlass der EuGH-Entscheidung (AZ: C-174/15) ist ein Rechtsstreit in den Niederlanden, der beim Bezirksgericht Den Haag anhängig ist. Dieses hat den EuGH um eine Vorabentscheidung angesucht, weil unionsrechtliche Vorschriften tangiert werden. Die Details des Falls:
- In den Niederlanden stellen die öffentlichen Bibliotheken – wie in Deutschland – E-Books auf Grundlage von Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern zur Verfügung.
- Der Bibliotheksverband Vereniging Openbare Bibliotheken (VOB) ist jedoch der Ansicht, dass die unbeschränkte Regelung für gedruckte Bücher auch für das Verleihen von E-Books gelten müsse und hat deshalb eine Feststellungsklage gegen die Stichting Leenrecht erhoben, die mit der Erhebung der Urhebervergütung betraut ist.
- Die Klage betrifft konkret das „One-copy-one-user“-Modell.
Die fragliche EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006, die u.a. das Vermiet- und Verleihrecht in Bezug auf Bücher behandelt, sieht vor, dass der Urheber entscheiden kann, ob ein Buch vermietet oder verliehen werden darf. Die Mitgliedsstaaten können jedoch für das öffentliche Verleihwesen Ausnahmen vorsehen – sofern zumindest die Urheber eine angemessene Vergütung erhalten. Der EuGH hat nun entschieden, dass das Verleihen von unkörperlichen Gegenständen wie digitale Kopien nicht grundsätzlich davon ausgeschlossen ist (Der Volltext des Urteils ist hier einsehbar).
Bibliotheksverband: Entscheidung als Basis für neue gesetzliche Regelung
Die Bundesvorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes Barbara Lison begrüßt die Vorabentscheidung des EuGH. Hätte der EuGH anders entschieden, könnten die Verlage – anders als bei gedruckten Büchern – bestimmen, welche E-Books die Bibliotheken zur Verfügung stellen und welche sie nur direkt an die Leser verkaufen. „Bestseller hätte es dann in Bibliotheken immer weniger gegeben“, so die Befürchtung des Bibliotheksverbands.
„Mit dieser Rechtsprechung müssen Bund und Länder künftig auch für E-Ausleihen eine Vergütung abführen. Davon werden endlich auch die Autoren profitieren und ggf. andere Rechteinhaber, denn durch die Regelung ist gewährleistet, dass ihnen für das Verleihen über die Verwertungsgesellschaften eine Bibliothekstantieme ausgeschüttet wird“, interpretiert Lison das Urteil weiter. Es solle Grundlage für neue nationale gesetzliche Regelungen sein.
Börsenverein: Entscheidung des EuGH »ein falscher Schritt«
Kritik kommt hingegen vom Börsenverein. „Der Verleih eines E-Books unterscheidet sich grundsätzlich von dem eines gedruckten Buchs“, argumentiert Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis. Denn: Digitale Bücher könnten praktisch unendlich vervielfältigt werden, ohne sich jemals abzunutzen.
Damit Verlage und Autoren weiter an nachhaltigen Geschäftsmodellen arbeiten und am Markt bestehen könnten, brauche es stabile Rahmenbedingungen. „Wenn Autoren und Verlage nicht mehr mit Bibliotheken zu angemessenen Konditionen Lizenzen für die E-Book-Nutzung verhandeln können, erhalten sie keine marktgerechte Vergütung mehr für ihre Leistung.“
Die Abgeltung würde dann, wie auch von Lison festgestellt, über die Verwertungsgesellschaften (in Deutschland die VG Wort) erfolgen. Hier ergeben sich für den Börsenverein aber zwei Probleme:
- Die Vergütung sei in der Regel geringer als bei Lizenzverträgen und damit „nicht marktgerecht“.
- Verlage sind nach der jüngsten BGH-Entscheidung zur Verlegerbeteiligung nicht mehr an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften beteiligt und würden somit beim E-Book-Verleih komplett leer ausgehen.
Deutsche Bibliotheken beschweren sich über zu teure Lizenzen
Der Verleih von E-Books durch Bibliotheken sorgt seit Jahren für Zwist: Die Bibliotheken möchten möglichst alle Bücher der Verlage ihren Kunden in einem nutzungsunabhängigen Lizenzmodell anbieten, während Buchverlage pro Ausleihe honoriert werden wollen. In diesem Jahr schienen sich beide Parteien in Deutschland anzunähern, denn nach Random House einigten sich im Frühjahr mit Holtzbrinck und Bonnier auch die anderen großen Publikumsverlagsgruppen mit der Divibib, über die E-Book-Leihkonditionen. Die Divibib ist die Digitaltochter des Bibliotheksdienstleisters EKZ und organisiert für viele Bibliotheken die sogenannte Onleihe. Allerdings währte die Freude nur kurz: Die ersten Bibliotheken beschweren sich bereits über die teuren E-Book-Lizenzen und steigen aus.
Schön und gut, was da alles so gemeint wird. Einstweilen gehen die User zum Piraten und kriegen wohl kaum auch nur mit, was die unterschiedlichen Lobbyisten so verlautbaren lassen. Am deutlichsten ist das im Wissenschaftsbereich: Selbst wenn man über seine Uni auf die Flatrate-Angebote von Elsevier, Springer, Wiley et tutti quanti zugreifen kann, geht es über die Russen einfacher und schneller. Die stetig steigenden Nutzerzahlen sprechen da eindeutig.
Aha. Der Börsenverein meint, „der Verleih eines E-Books unterscheidet sich grundsätzlich von dem eines gedruckten Buchs“? Das sehen Verlage wie Holtzbrinck anscheinend anders. Wenn es nach denen geht, ist die prinzipiell unsterbliche Verleih-Kopie für die Onleihe nach spätestens vier Jahren „kaputt“ und muss von der Bibliothek wie ein Buch neu geordert werden. Das sieht mir eher nach einer 1:1-Übertragung physischer auf digitale Prinzipien aus…