Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren in einen Arbeitnehmermarkt gedreht. Recruiter müssen neue Wege zur Personalgewinnung gehen und umdenken. Wie aber ein neues Mindset für das Recruiting der Zukunft entwickeln?
Recruiting-Berater Frank Rechsteiner sagt: Weg vom „Post and Pray“, von dem ungezielten Bewerber-Fischen und hin zur gezielten „Jagd“ auf die passenden Kandidaten. In seinem Buch „Recruiting Mindset – Personalgewinnung in Zeiten der Digitalisierung“ erklärt er Theorie und Praxis des Recruitings unter den Vorzeichen des Fachkräftemangels und gibt Tipps, über deren Anwendung nachzudenken sich lohnt.
Viele Experten sind der Ansicht: Eine neue Arbeitswelt – „Arbeit 4.0“ – braucht eine neue Art der Personalbeschaffung – Recruiting 4.0. Doch machen aktuelle Studien deutlich, dass auch das Recruiting der Zukunft sich nicht ausschließlich auf digitale Prozesse fokussiert. So halten die meisten Unternehmen am persönlichen Austausch mit den Kandidaten fest, statt die Recruiting-Prozesse immer weiter zu automatisieren. Gleichwohl verändern sich Arbeit und Handwerkszeug der Recruiter durch den digitalen Wandel sehr stark. Stand früher primär die zwischenmenschliche Begegnung mit den Bewerbern im Vordergrund, ist künftig ein Mix aus Kommunikationsfähigkeit, IT-Know-how, Wissen über Online-Marketing und Kompetenz im Networking gefragt.
Recruiting 4.0 – eine Frage der Haltung
Arbeit 4.0 wird auch „New Work“ genannt. Künftig kommt kein Unternehmen mehr an der New-Work-Bewegung vorbei, da es sonst keine Mitarbeiter finden und binden kann.
„Die Zukunft unserer Arbeitswelt, der Mitarbeiterführung, der Mitarbeiterschaften, der Berufe und beruflichen Fähigkeiten – nicht weniger entwerfen wir derzeit unter dem Thema New Work“, beschreibt die Personalberatung Kienbaum das Phänomen – und folgert zu Recht: „Die wichtigste Voraussetzung für New Work ist eine neue Kultur, in der sich New Work entfalten kann.“
Da Kultur dabei für die Erfahrungen steht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Führungskräften und Führungsteams machen, sei Führung mit Vision erforderlich. Laut Kienbaum beschäftigen sich die Mitarbeiter immer stärker mit dem Zweck ihres Unternehmens und der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Hier sind Führungskräfte mehr gefordert denn je, Orientierung und Inspiration zu vermitteln.
Doch welche Auswirkungen hat New Work speziell auf das Recruiting der Zukunft, auch „Recruiting 4.0“ genannt? Mit welcher neuen Haltung und Einstellung gelingt es den Arbeitgebern, Mitarbeiter zu gewinnen, für die die Unternehmenskultur das zentrale Entscheidungsmerkmal ist? Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Anforderungen.
Wer Topkandidaten gewinnen will, braucht ein Top-Recruiting
Erstkontakt und Kommunikation auf Augenhöhe
Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits ausgeführt, sind die Zeiten schlichtweg vorbei, in denen sich ein Recruiter mit einem Topkandidaten nur über dessen CV unterhalten kann – allenfalls taucht dabei die Frage auf, ob der Recruiter nicht in der Lage sei, den Lebenslauf vor dem Bewerbungsgespräch eingehend zu studieren. Wer gute Leute für sein Unternehmen und die zu besetzende Position begeistern will, tut besser daran, von der ersten Minute an konkrete Aussagen zu machen und alle entstehenden Fragen kompetent zu beantworten. Meine Empfehlung lautet: Bringen Sie die Kandidaten gleich beim Erstkontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der anfordernden Fachabteilung zusammen – auch wenn es sich dabei um einen telefonischen Kontakt handelt. Halten Sie sich nicht lange mit Standardfragen auf. Auf Augenhöhe zu kommunizieren heißt, klare Aussagen zu treffen und fachkundige Antworten zu geben.
Topleute bewerben sich nicht – sie lassen sich finden und gewinnen
Bitte verlassen Sie die alten Bewerbungspfade: Ein Kandidat schickt seinen CV und Sie prüfen diesen auf Passgenauigkeit – dieser Prozess funktioniert bei Topleuten künftig weniger denn je. Besser ist es, interessante Kandidaten aktiv anzusprechen und dann sofort den Kontakt zur Fachabteilung herzustellen, damit der Bewerber gleich in eine erste inhaltlich aufschlussreiche Diskussion einsteigen und mehr über die Aufgaben und Entwicklungschancen in Ihrem Unternehmen erfahren kann. Im nächsten Schritt sollten Sie dann erst den formalen Recruiting-Prozess starten – und strikt darauf achten, dass diese Reihenfolge eingehalten wird.
Schnelle Entscheidungen treffen
Die häufigste Klage von Bewerbern lautet: „Erst habe ich endlos Interviews mit den Recruitern geführt, dann aber nichts mehr von ihnen gehört.“ Kandidaten müssen oft mehrere Stufen nehmen. Daher zieht sich der Bewerbungsprozess in die Länge: Telefoninterview, Assessment-Center, erstes Bewerbungsgespräch mit der Personalabteilung, zweites Bewerbungsgespräch mit der Fachabteilung, drittes Interview mit der Bereichsleitung und zur Absicherung ein viertes Interview mit weiteren Entscheidern. Und auch dann fällt noch keine Entscheidung – von der Bewerbung bis zur Einstellung vergehen oft Monate.
Jedoch sollte sich jeder Recruiter merken: Jeder Tag, der zwischen dem Erstkontakt und der endgültigen Personalentscheidung vergeht, ist ein verlorener Tag. Sobald die Konkurrenz schneller ist, springt ein Kandidat ab. Ein probates Mittel dagegen: sich selbst und die Bewerberprozesse auf ein einziges Vorstellungsgespräch pro interessantem Bewerber konzentrieren.
Personalkonzepte für die Zukunft
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The Big Date: warum ein einziges Vorstellungsgespräch genügt
The Big Date – eigentlich kennt man diesen Begriff als den Tag, an dem man seinen Lebenspartner kennengelernt hat. Ein (1) Date. Das war’s. Warum soll das nur im Privatleben so sein? Denn auch bei einem Bewerbungsgespräch merken Kandidaten und Unternehmen sofort, ob es gefunkt hat. Ich sage, ein Treffen reicht aus – und rate Arbeitgebern, für dieses eine Treffen einen Standardprozess zu etablieren. Dazu gehört:
- Setzen Sie nur ein einziges persönliches Vorstellungsgespräch für jeden interessanten Kandidaten an – und sehen Sie dafür vier Stunden vor.
- Lassen Sie jeden Kandidaten jeweils eine Stunde von vier verschiedenen Gesprächspartnern interviewen, und zwar in der Reihenfolge: HR-Manager, Abteilungsleiter, künftiger Kollege und Geschäftsführer.
- Treffen Sie unmittelbar nach dem Vorstellungsgespräch gemeinsam eine definitive Entscheidung. Sind Sie zufrieden und wollen Sie mit dem Bewerber arbeiten, ist ein Gespräch mit einem weiteren Kandidaten nicht mehr nötig.
- Sagt Ihnen eine Kandidatin oder ein Kandidat zu, sollten Sie innerhalb von zwölf Stunden den Arbeitsvertrag erstellen und dafür sorgen, dass er diesen vorab per E-Mail und parallel dazu per Post erhält.
Meine Praxiserfahrung zeigt: Mit einem einzigen Bewerbungsgespräch können Unternehmen ihre Abschlussquoten deutlich steigern, Kandidaten fühlen sich durch diesen kurzen und ehrlichen Prozess wertgeschätzt. Für The Big Date sollten Recruiter allerdings aktive Überzeugungsarbeit in ihrem Unternehmen leisten – zum Beispiel im Rahmen individueller Workshops – und das offizielle Commitment aller Stakeholder einholen.
Fazit
Die New-Work-Bewegung verlangt nach einer neuen Haltung im Recruiting. Toptalente erwarten einen Topbewerbungsprozess: kurz, bündig und individuell. Gespräche auf Augenhöhe sind zentrale Erwartungen – vom Erstkontakt bis zu den einzelnen Interviews. Zudem empfiehlt es sich, die Bewerbungsphase kurz zu halten.
Mit freundlicher Genehmigung des Haufe Verlages.
Frank Rechsteiner ist Inhaber der Hype Group, die auf Executive Recruiting und Strategieberatung für IT-Unternehmen spezialisiert ist. Zuvor hatte er langjährige Führungspositionen bei internationalen IT-Anbietern inne. Mit regelmäßigen Umfragen und Studien ermittelt er Trends im IT-Arbeits- und IT-Bewerbermarkt. Er ist Fachbuchautor und publiziert laufend Beiträge in den Wirtschafts-, IT-Fach- und sozialen Medien.
Frank Rechsteiner
Recruiting Mindset. Personalgewinnung in Zeiten der Digitalisierung. Inkl. Augmented-Reality-App.
150 Seiten Hardcover. EUR 39,95
ISBN 978-3-648-12344-7
Haufe Verlag 2019
Ganz bedauerlich empfinde ich die mangelnde Entwicklung im Recruitment sich auch auf Topkräfte in Teilzeitmodellen einzulassen. Hier müssten auch die Vermittlerinnen dafür kämpfen, Frauen mit Topqualifikation auch in neuen Arbeitsmodellen mit Homeoffice und reduzierter Stundenzahl überhaupt zu vermitteln. Es gibt uns, wir haben Interesse, sind hochmotiviert und scheitern schon an der Headhunter Instanz. WAKE UP!