Der unbeständige und novitätengetriebene Publikumsmarkt prägt das Image der Buchbranche, und zur Frankfurter Buchmesse wird wieder ans Barometer geklopft: Wie steht es ums Lesen, um die in Büchern verhandelten Lebens- und Politthemen, um Literatur, Wegweisung und Unterhaltung, um große Autoren und Bestseller?
Zwei Jahre nach dem lauten Leserschwund-Alarm der „Buchkäufer – quo vadis?“-Inventur erzählt der Börsenverein jetzt die freundlichere Story von „positiver Marktentwicklung“ und einer Branche, die sich „in wachsender Medienkonkurrenz behauptet“. Der scheidende Vorsteher und Filialbuchhändler Heinrich Riethmüller hält aber den Ball flach: „Wir haben die Abwärtsspirale aufhalten können“, ob aber die nach der Verlustmeldung von über 6 Mio Buchkäufern gezählten 300.000 Rückkehrer schon für eine Trendwende stehen, wisse er nicht.
Tatsächlich sind auch die harten Verkaufsdaten widersprüchlich:
- Die Umsatzzahlen weisen nach den ersten 9 Monaten ein Plus von 2,5% aus. Das ist nach der negativen Entwicklung der Vorjahre positiv, allerdings auch eine Erholung von niedriger Basis.
- Die Nachfrage, die sich im Absatz zeigt, hat nur minimal zugelegt (+0,1%), der Zuwachs basiert nahezu allein auf höheren Preisen (+2,4%).
- Der stationäre Buchhandel hat im Schnitt zwar auch etwas mehr umgesetzt, wächst aber langsamer, verliert also weiter Marktanteile. Und: Sein Umsatzplus von 1,7% basiert allein auf höheren Preisen, der Absatz geht zurück.
Die Warengruppen entwickeln sich in dieser Großwetterlage unterschiedlich:
1. Die Sachbuch-Konjunktur
Seit Frühjahr 2018 legen die Sachbuch-Umsätze über die normalen Schwankungen hinaus zu: +5,5% im Jahr 2018, in diesem Jahr bis einschließlich September sind es auf Grundlage dieses höheren Basiswerts noch einmal knapp 10% mehr. Die naheliegende Vermutung, dass die politisch bewegten Zeiten das Sachbuch hochschaukeln, bestätigt sich bei näherer Analyse nicht.
Auch die umsatzstärksten Sachbücher dieses Jahres verweisen vor allem auf große Bandbreite: Biografien der früheren First Lady, aber auch der Youtube-Größe MontanaBlack, ein „Ernährungskompass“ und die Welterklärungsbücher des Universalhistorikers Harari deuten das breite Spektrum an.
Ein hoher Hardcover-Anteil und ein somit hoher Durchschnittspreis machen Sachbücher wirtschaftlich attraktiv. Der stationäre Buchhandel ist am Trend überproportional beteiligt, obwohl er Sachbücher weiterhin oft eher nicht im Entree, sondern weiter hinten platziert.
Umsatzstärkste Sachbücher 2019: Große Bandbreite
Die umsatzstärksten Sachbücher im deutschsprachigen Raum der Kalenderwochen 1 bis 40:
- Michelle Obama: Becoming
- Bas Kast: Der Ernährungskompass
- Stephen Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen
- Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit
- Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
- Andreas Michalsen: Mit Ernährung heilen
- Dennis Sand, Marcel Eris: MontanaBlack
Datenbasis: Media Control Handelspanel
2. Die stabilisierten Ratgeber
Ratgeber, also Sachbücher in Form von Anleitungen und Tipps, waren lange unter Druck, womöglich weil allzu Praktisches im Internet gut oder besser vermittelt wird, je nachdem auch im anschaulichen Videoformat. Folglich verpacken Verlage ihre Ratschläge mit mehr Storytelling: Der anhaltende Erfolg der „Lebenshilfe“-Titel von John Strelecky, Stefanie Stahl und Alexandra Reinwarth bestätigen diese Ausrichtung.
Die Stabilisierung der Ratgeber sorgt, verbunden mit höherem Preis, für ein Umsatzplus, nach längerer Durststrecke auch im Kochbuch-Segment.
3. Die Storys für die Reise
Was für die allgemeinen Ratgeber gilt, trifft auch auf den Reise-Rat zu. Seit 2016 geht die Nachfrage nach Reiseführern zurück. Zwar werden immer noch Reiseführer in großer Zahl in die Reisetasche gesteckt, aber sie müssen sich eindeutiger von den Informationen abheben, die per Smartphone aufrufbar sind. Nicht zufällig preist aktuell der Michael Müller Verlag seine neue „Stadtabenteuer“-Reihe als „Lesebücher“ an, die sich auch fürs „Armchair-Travelling“ eigneten (s. Kasten).
Michael Müllers Reise-Lyrik
Den Ansatz, Reisende mit Geschichten zu führen, versucht der Michael Müller Verlag mit seiner neuen „Stadtabenteuer“-Reihe: „Die untergehende Sonne streichelt Berlin. Wer gerade Streit hatte mit der kauzigen Dame an der Spree, verträgt sich wieder mit der Stadt. Das Licht ist mittlerweile bernsteinfarben …“ (Klappentext Berlin)
4. Das Roman-Fragezeichen
„Sorgenkind Belletristik“ hat buchreport Anfang Oktober getitelt, zur Auswertung des Umsatztrends nach 9 Monaten vor der jetzt beginnenden Herbst- und Weihnachtssaison. Dank höherer Durchschnittspreise liegt die Belletristik immer noch leicht im Plus, verliert aber bei den Marktanteilen und den verkauften Stückzahlen.
Der rückgängige Romanabsatz wird seit der Kundenschwundstudie und den vom Börsenverein herausgearbeiteten Ablenkungen sensibler wahrgenommen: namentlich der von buchaffinen Menschen beklagte Verlust an Lesezeit und das attraktive Storytelling anderer Medien wie Videostreaming. Zur Belletristik-Analyse gehört allerdings auch die Beobachtung, dass die Bestseller nicht mehr die gleiche Zugkraft haben wie in früheren Jahren.
Unklar ist auch der Einfluss des E-Book-Marktes auf den Verkauf gedruckter Bücher. Zwar scheint die Zahl der E-Leser seit Längerem zu stagnieren, aber die Zahl der Lesestoff-Downloads im Niedrigpreisbereich und im Bibliotheksbereich („Onleihe“) legt durchaus zu.
5. Das Kinderbuch-Wachstum
Die Buchangebote für Kinder- und Jugendliche gelten weiterhin als stabil bis wachsend. Nach dem Sachbuch ist das Nachwuchs-Segment mit 5% Wachstum in den ersten 9 Monaten die dynamischste Warengruppe. Für diesen Aufschwung ist nur zum Teil eine wachsende Nachfrage verantwortlich, den größeren Hebel entwickeln die Preise, vor allem im Bilderbuch und im Lesestoff bis 11 Jahre.
Die Kinder- und Jugendbuch-Verlage bespielen bisher das niedrigpreisigste Segment des Buchmarkts, kalkulieren aber jetzt offensiver. Mit Oetinger hat sich dies ein Verlag jetzt auch offensiv auf die Fahnen geschrieben.
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