Das Pantheon auf dem Hügel der Heiligen Genoveva ist die nationale Ruhmeshalle Frankreichs. Die Grabstätte ist Wissenschaftlern und Künstlern vorbehalten und mächtiger Ausdruck des französischen Stolzes auf ihre Geistesarbeiter. In die heftige Diskussion um die Umbettung Albert Camus in das Pantheon hat sich selbst Staatspräsident Nicolas Sarkozy eingeschaltet. Ein Szenario, das in Deutschland mangels intellektueller Masse der politischen Klasse nicht denkbar wäre.
So bilden die Intellektuellen in Frankreich einen äußerst wichtigen Teil der gesellschaftlichen Elite, während in Deutschland, wie kürzlich zu lesen war, die erste Selbsthilfegruppe anonymer Intellektueller gegründet wurde. Folglich hat das Buch, vornehmlich die Belletristik, in Frankreich einen besonderen gesellschaftlichen Stellenwert. Kenntnisreiche Diskussionen über aktuelle Literatur gehören zum guten Ton. Der örtliche Mittelpunkt aller Strömungen ist Paris. Die Konzentration der Buchwelt auf die Metropole Paris wird mit der so genannten „Rentrée littéraire“ im September augenfällig.
Im Herbst werden die großen literarischen Auszeichnungen verliehen. In dieser Zeit wird auch die überwiegende Mehrheit der Bücher publiziert. Ein riesiger Werbe- und Presseaufwand heißt die Diskussion und verwandelt jeden Pariser in einen Literaturkritiker. Neben dem Prix Goncourt zählen dazu der Prix Femina, der Prix de l’Académie française, der Prix Renaudot, der Prix Interallié und der Prix Médicis. Der Goncourt beispielsweise führt regelmäßig zu einem Verkauf von mindestens 300.000 Exemplaren des entsprechenden Preistitels und die Preisverleihung findet in einem Restaurant statt. In Deutschland sollte überlegt werden, eine höhere Konzentration der Literaturpreise um die Frankfurter Buchmesse zu erreichen: Eine solche Verdichtung könnte freundliche Aufmerksamkeit in Begeisterung wandeln.
Viele Themen, die die deutsche Buchwelt bewegen, sind auch in Frankreich auf der Agenda. Die Fragen rund um die Preisbindung werden dort kontroverser diskutiert als in Deutschland, steht doch die französische „Lex Lang“ seit jeher auf deutlich wackligeren Beinen als das deutsche Preisbindungsgesetz. Gesellschaftlicher Konsens ist es aber, sie erhalten zu wollen.
Beim Urheberrecht ist es den Franzosen gelungen, das Europäische Parlament zu entsetzen, indem sie ein brachiales Gesetz gegen Internetpiraterie verabschiedeten. Immerhin waren sie das erste Land der Welt, das 1793 das Urheberrecht eingeführt hat. Aktuell führen sie eine Abgabe auf Online-Werbung (Google-Steuer) ein, die der Kreativwirtschaft zugute kommen soll.
Bei der Nutzung neuer Technologien sind sie pragmatisch und das Abendland geht eher unter, wenn das Weinjahr ein Schlechtes ist, als bei der Einführung von E-Books. Getrieben wird der Markt durch die FNAC, die ein kulturell-ökonomisches, nationales Gesamtkunstwerk darstellt. Ihre Parole: „cultiver la différance“. Sie ist wesentlicher Teil eines unvergleichlichen Kulturnetzwerkes und immer hungrig auf Neues. Geschätzte 15.000 Veranstaltungen mit FNAC – Beteiligung finden jährlich statt. Sie ist es auch, die beim E-Commerce vor Amazon liegt und hinter ebay national bei den Besuchern den zweiten Platz belegt. Für jeden, der sich für Kommunikation interessiert ist die FNAC ein Muss. Schnell, dicht, bunt , intelligent, provokativ, all das ist FNAC. Allein ein Blick auf die Internetseite offenbart die biedere Fantasielosigkeit so manch deutschen Pendants.
Ein für Deutschland fast unbekanntes Phänomen ist die Bedeutung der Hypermarchés für den Buchhandel. Die Kette E.Leclerc belegt mit ihren über hundert Espaces culturels Platz drei des Größenrankings im Buchhandel.
Für die Franzosen eine Herzensangelegenheit ist das Thema der Konzentration im Buchhandel. Während bei uns die „ach die Konzentration“-Haltung herrscht, haben sie sich auf den Weg gemacht, den traditionellen Teil ihrer Buchhandelslandschaft zu bewahren. Stichwort ist da das „label de la librairie indépendante“ , ein Qualitätssiegel für Buchhandlungen, das nicht nur fragwürdige Werbeeffekte hat, sondern handfeste Vorteile bringt. Kriterien, um das Siegel zu erhalten, sind z.B. mindestens 75% Buchanteil am Sortiment, erhöhte Anforderungen an seine Tiefe und Breite, qualifiziertes Personal, Kulturveranstaltungen etc. Die Vorteile: Wegfall der Gewerbesteuer und andere Subventionsmöglichkeiten wie Mietzuschüsse und ähnliche Hilfen für Notlagen.
Diesen Ansatz finde ich für Deutschland durchaus interessant. Eine Form des Buchhandels, der über den Buchverkauf hinaus , eine Kultur fördernde Rolle spielt und im Gegenzug Subventionen erhält, wenn er sie braucht, ist eine Option gegen das absehbare Aussterben des ambitionierten Sortimentsbuchhandels.
Die Subventionen der drei Berliner Opern und des Staatsballets machen etwa € 100 Mio. jährlich aus. Davon könnte man 1000 Buchhandlungen mit 100.000 € jährlich fördern.
Was für die Entwicklung der Kultur in Deutschland besser wäre, ist des Streites wert.
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