Gerrit Heinemann, Professor für Management und Handel an der Hochschule Niederrhein, zeichnet düstere Szenarien für den Einzelhandel. „Bisherige Prognosen von 64.000 Geschäftsaufgaben bis 2030 werden sich bereits dieses Jahr erfüllen”, sagte er gegenüber dem SPIEGEL in Bezug auf den Nicht-Lebensmittel-Einzelhandel. „Es könnten sogar 200.000 werden.”
In dem Bericht werden auch weitere Berechnungen Heinemanns zitiert:
- Während der Ladenschließungen (Mitte März bis zur vorletzten Aprilwoche) haben Einzelhändler in Deutschland demnach insgesamt 9,6 Mrd Euro Umsatz eingebüßt.
- Mit der Öffnung der ersten Läden im April habe sich der Rückgang bis jetzt auf 12,1 Mrd Euro summiert, das seien 5% der Gesamtumsätze.
Umsätze erholen sich unterschiedlich schnell
Dass der Einzelhandel trotz der Öffnung aller Geschäfte weiterhin deutlich weniger Umsatz macht als im Vorjahr, sieht auch der Handelsverband HDE so. In einer aktuellen Befragung des Verbands rechnete eine Mehrheit von 55% der befragten Unternehmen für die vergangene Kalenderwoche 19, höchstens die Hälfte des Vorjahresumsatzes zu erreichen.
„Die Krise ist für den Handel noch lange nicht vorbei”, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth und erklärt das, was auch Buchhändler beobachten: „Das Bummeln durch die Geschäfte und ungeplante Einkäufe haben es angesichts der aktuellen Lage schwer. Die meisten Kunden gehen beim Einkauf sehr planvoll vor und verlassen die Geschäfte nach kurzer Zeit wieder.“ Der Verband fordert von der Politik daher neben nicht-rückzahlpflichtigen Finanzhilfen auch sogenannte Coronaschecks, um den Konsum anzukurbeln.
Für den deutschen Buchhandel schlug dagegen in der vergangenen KW 19 erstmals seit Wochen wieder ein kleines Plus zu Buche (s. Grafik). Dies wäre größer ausgefallen, würde die weiterhin schwache Reise-Warengruppe den Gesamtschnitt nicht recht deutlich drücken. Der stationäre Handel lag zwar im Minus, zeigte sich aber ebenfalls erholter. Auch in den harten Shutdown-Wochen hatte sich der Buchhandel trotz ebenfalls tiefroter Zahlen im Vergleich zu anderen Branchen noch vergleichsweise wacker geschlagen.
Textiler sind besonders betroffen
Besonders betroffen ist indes der Bekleidungshandel, für den es laut Handelsexperte Heinemann noch „hammerhart” werde: Volle Warenlager, die Sommerware kommt und die Herbstware muss bestellt werden. „Es schiebt sich ein regelrechter Tsunami auf die Branche zu, der sie Ende September treffen wird.” Denn dann komme für die Textiler alles zusammen: Die derzeit ausgesetzte Pflicht zum Insolvenzantrag für Firmen in finanzieller Schieflage gilt dann wieder, Mietschulden müssen beglichen und die Ware für die nächste Saison bezahlt werden.
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