Die Regierungskoalition hat sich auf ein Maßnahmenpaket verständigt, mit der die Wirtschaft aus der Coronakrise kommen soll. Darunter befindet sich eine temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer: Vom 1. Juli an bis zum 31. Dezember 2020 soll der Mehrwertsteuersatz von 19% auf 16% und beim ermäßigten Satz von 7% auf 5% gesenkt werden. Das rege den Konsum an und sei sozial gerecht ausgestaltet, weil die Mehrwertsteuer von allen gezahlt werde.
Das könnte den Konsum anregen, wenn dadurch Waren und Dienstleistungen günstiger werden. Die Deutsche Bahn hat beispielsweise angekündigt, ihre Preise entsprechend zu senken, auch Autohändler, die wegen der niedrigen Nachfrage in diesen Wochen ohnehin Flexibilität zeigen, signalisieren Preisnachlass. Die „Lebensmittelzeitung“ berichtet, dass Aldi, Edeka und Rewe ankündigen, Mehrwertsteuersenkungen weitergeben zu wollen, was in dem ständig von Sonderangeboteen und Preiskämpfen geprägten Lebensmittelmarkt allerdings nicht immer nachzuvollziehen sein wird. Ob in der Breite tatsächlich die Preise gesenkt werden, oder ob eher die Unternehmen die Differenz einstreichen, um ihre Spanne zu erhöhen, ist offen und hängt auch von den Spielräumen und der möglichen Signalwirkung ab: von 1 Cent beim Joghurt bis zu vierstelligen Beträgen bei einem Neuwagen. „Es ist also gut möglich, dass wir Verbraucher von der Senkung gar nicht profitieren, sondern viele Unternehmen sie schlicht nutzen, um ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Damit würde auch das explizite Ziel der Bundesregierung verfehlt, die Kauflaune anzukurbeln“, schreibt etwa der SPIEGEL.
Auch eine entsprechende Sanierung von Betrieben könnte durchaus im Sinne des Maßnahmenpakets sein, etwa bei Händlern und Gastronomen, die vom Lockdown massiv betroffen waren. Allerdings verweist der SPIEGEL auch explizit auf das Beispiel Amazon, der neben dem florierenden E-Commerce auch von den höheren Margen profitieren könnte.
Preisänderung bei Büchern: Ein Riesenaufwand
Ganz speziell ist die Lage für die Buchbranche. Die Option, die Mehrwertsteuersenkung ganz oder teilweise an die Endkunden weiterzugeben, hätte einen immensen Aufwand zu Folge – wegen der Preisbindung.
Denn das Preisbindungsgesetz ist da sehr eindeutig §5 (1):
Wer Bücher für den Verkauf an Letztabnehmer in Deutschland verlegt oder importiert, ist verpflichtet, einen Preis einschließlich Umsatzsteuer (Endpreis) für die Ausgabe eines Buches für den Verkauf an Letztabnehmer in Deutschland festzusetzen und in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für Änderungen des Endpreises.
Sprich: Die Verlage müssten die Preisänderung durchführen und kommunizieren, also z.B. ein Taschenbuch für 12,99 um die 2 Mehrwertsteuerpunkte auf 12,75 Euro heruntersetzen, und der Handel müsste die Änderung termingerecht umsetzen. Was beim E-Book-Vertrieb technisch „per Knopfdruck“ vergleichsweise leicht und zentral zu steuern ist (und beispielsweise gezielt für Preisaktionen genutzt wird), ist für Papierbücher mit aufgedruckten oder voretikettierten Preisen kaum darstellbar, zumal mit der Perspektive, das Procedere in einem halben Jahr zu wiederholen, wenn die Mehrwertsteuer wieder steigen soll.
Das offensichtliche Dilemma: Viel Aufwand, mutmaßlich keine verkaufsfördernde Wirkung einer Preissenkung um 20 oder 40 Cent, aber ein drohender politischer Schaden, wenn die ganze Buchbranche gut erkennbar den Mehrwertsteuer-Bonus für sich vereinnahmt. Der Freundeskreis der Preisbindung würde wohl nicht wachsen.
Der Börsenverein hat zum Thema ein Webinar veranstaltet. Dort ist auch die Abrechnung von Remissionen zur Sprache gekommen und die Herausforderung, die auch alle Lieferanten, Verlage und Dienstleister betrifft, die gar nicht an Endkunden liefern: Für sie ist die Umsatzsteuer nur ein durchlaufender Posten. Aber es entstehen Kosten und Aufwände in der Verwaltung mit der jeweiligen termingerechten Änderung der Steuersätze. Das Video des Webinars ist bei Youtube abrufbar.
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