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Strategie in Zeiten der Unsicherheit

Die Corona-Pandemie hinterlässt in ihrem Kielwasser eine Welle der Ungewissheiten. Wie bekommen Entscheider und Führungskräfte diese in den Griff? Die Szenariotechnik ist eine gute Methode dafür.

Unternehmensberater Georg Kraus, geschäftsführender Gesellschafter der Bruchsaler Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, zeigt in einer 3-teiligen Serie im Channel Produktion & Prozesse auf buchreport.de, wie die Szenariotechnik auch in unsicheren Zeiten künftige Entscheidungen absichern kann. In Teil 1 befasst er sich mit der Pandemie, ihrer Bewältigung durch Politik und Verwaltung sowie ihren Folgen für Unternehmen.

 

Bei der Entwicklung von Strategien für die Zeit nach der Corona-Pandemie können Unternehmen aktuell eigentlich nur auf Szenarien bauen. Dabei stoßen selbst erfahrene Strategieentwickler auf ungekannte Schwierigkeiten, denn: Über die Rahmenbedingungen nach der Krise kann man zurzeit nur spekulieren.

Wenn Unternehmen Strategien entwickeln, fließen in diese stets Annahmen ein – zum Beispiel darüber, wie sich der Markt oder die Technik entwickelt, denn: Strategien nehmen die Zukunft, die noch nicht Gegenwart ist, gedanklich vorweg.

Eine in der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gängige Methode zur Entwicklung der den Strategien zugrunde liegenden Prognosen und zur strategischen Planung ist die Szenariotechnik. Ihr Ziel ist es, mögliche künftige Entwicklungen gedanklich vorweg zu nehmen, zu analysieren und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen den Einflussfaktoren möglichst zusammenhängend so zu beschreiben und darzustellen, dass hieraus

  • Ziele
  • Handlungsstrategien
  • Maßnahmen

abgeleitet werden können.

 

Entscheidungsfindung mit Szenarien: »live« erlebbar in der Corona-Krise

Wie die strategische Entscheidungsfindung und die Planung mit Szenarien funktionieren, konnten seit Anfang März alle Bürger in den allabendlichen Corona-Talkrunden im Fernsehen live miterleben. Zu Beginn der Krise spekulierten die anwesenden Politiker und Wissenschaftler noch darüber, ob das Coronavirus überhaupt eine Pandemie auslöst. Und als feststand, dass es eine Pandemie ist bzw. wird, begannen sie zu spekulieren:

  • Wie lebensbedrohlich ist eine Erkrankung mit dem Virus?
  • Welche Ziele verfolgen wir bei dessen Bekämpfung?
  • Welche Priorität räumen wir den Zielen ein?
  • Was sind sinnvolle bzw. angemessene Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen?

Dabei war es für interessierte Beobachter teils spannend, teils frustrierend zu beobachten, wie manch vermutlich zielführende Maßnahme aufgrund der Rahmenbedingungen nicht realisiert werden konnte – wie zum Beispiel, dass die benötigte Schutzkleidung fehlte. Also wurde nach einem Plan B bzw. alternativen Wegen gesucht, um solche angestrebten Zwischenziele wie „Unser Gesundheitssystem soll nicht überlastet werden“ zu erreichen.

Daran hat sich bis heute wenig geändert, da wir

  • kaum Erfahrung mit Pandemien haben
  • noch immer zu wenig über das „neuartige Coronavirus“ wissen
  • uns zu dessen nachhaltiger Bekämpfung der benötige Impfstoff fehlt.

Also muss sich die Politik bei ihren Entscheidungen immer noch auf viele Annahmen und den Rat von Experten wie Virologen stützen.

 

Auch die Experten können nur spekulieren

Dabei zeigte die Corona-Diskussion: Auch die Experten sind, wenn sie vor einem neuen, komplexen Problem stehen, mit dessen Ursache und Bekämpfung es noch wenig Erfahrung gibt, sehr unterschiedlicher Meinung. So waren anfangs einige Experten der Auffassung, das Coronavirus sei nicht gefährlicher als eine normale Grippe und spätestens, wenn es im Sommer warm werde, sei der Spuk vorüber. Entsprechend „konservativ“ oder „lasch“ waren die von ihnen geforderten Gegenmaßnahmen.

Andere Experten waren überzeugt: Das Coronavirus ist extrem gefährlich, ja: lebensgefährlich. Es wird sich zudem exponentiell verbreiten, und wenn wir keine radikalen Gegenmaßnahmen ergreifen, wird es allein in Europa Millionen Tote geben. Und zwischen diesen Vertretern des sogenannten „Best Case“ und des „Worst Case“ saßen die eigentlichen Entscheider, die Politiker, die letztlich festlegen mussten:

  • Wie gefährlich schätzen wir das Virus ein?
  • Welchen Zielen räumen wir welche Priorität ein?
  • Wie können wir diese Ziele aufgrund der bestehenden Rahmenbedingungen, wie der Verfassung unseres Gesundheitssystems und unserer Wirtschaft, am ehesten und mit den geringsten Kollateralschäden erreichen?
  • Welche Maßnahmen ergreifen wir folglich?

Und all dies musste sozusagen im Zeitraffer geschehen, während noch Hunderttausende von Pauschal- und Individualtouristen auf einen Rückflug aus der ganzen Welt warteten.

 

Entscheider haben wenige Fakten beim Entscheiden

Vermutlich haben unsere Spitzenpolitiker aufgrund des Handlungsdrucks in den vergangenen Wochen und Monaten mehr weitreichende Entscheidungen getroffen und Maßnahmen entschieden als sonst in mehreren Legislaturperioden. Dass unter diesen Rahmenbedingungen nicht jede Entscheidung bis in die letzte Verästelung durchdacht und jede Maßnahme bis ins kleinste Detail geplant sein konnte, ist klar. Entsprechend kleinlich bzw. die Ist-Situation verkennend wirkte oft die Kritik mancher Vertreter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessengruppen sowie Oppositionspolitiker.

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Doch nicht nur bei der Entscheidungsfindung in der Politik, auch in der Wirtschaft und in den Unternehmen spielt die Szenario-Technik eine wichtige Rolle. So auch bei der Corona-Krise. Eher gering war ihre Bedeutung noch in der Anfangsphase. Denn nach dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland Anfang März und dem von der Regierung am 23. März beschlossenen Lockdown wurde das Coronavirus auch für viele Betriebe existenzgefährdend und die Top-Entscheider mussten zunächst umstandslos die erforderlichen Akutmaßnahmen ergreifen, beispielsweise um die Liquidität ihrer Unternehmen zu sichern.

Doch nachdem dies geschehen war, wandte sich ihr Augenmerk zunehmend einer anderen Frage zu: Was können oder sollten wir tun, um die Existenz unseres Unternehmens mittel- und langfristig zu sichern und aus der Krise eventuell sogar gestärkt hervorzugehen?

 

Die Corona-Folgen für die Unternehmen divergieren

Recht einfach ließ sich diese Frage bezogen auf die vielen Kleinunternehmen wie Gastronomiebetriebe und Friseursalons beantworten, deren Markt primär ein lokaler ist: wenig. Bei ihnen lautete die Kernfrage: Haben sie die finanziellen Ressourcen, um die Krise zu überstehen? Ist das nicht der Fall, sind sie spätestens pleite, wenn die Soforthilfen der Bundesregierung aufgebraucht sind.

Und wenn sie genügend Reserven haben? Dann werden sie sobald wie möglich ihre Tore wieder öffnen und weitgehend ein „business-as-usual“ betreiben. Ungeachtet dessen stellen sich bezüglich ihres Fortbestands jedoch weitere Fragen, u.a.:

  • Werden die Bundesbürger nach der Krise noch weitgehend im stationären Handel einkaufen oder wird der Online-Handel einen nachhaltigen Push erfahren?
  • Werden die (Fast-Food-)Restaurant-Ketten nach der Krise einen Großangriff starten, um im atomisierten Markt einen größeren Marktanteil zu gewinnen?

Komplexer stellt sich die Situation bei den meisten größeren Unternehmen dar, deren Markt ein nationaler, multinationaler oder gar globaler ist. In ihnen sehen sich sogar erfahrene Entscheider beim Versuch, die Frage „Wie geht‘s weiter?“ zu beantworten, mit bisher unbekannten Schwierigkeiten konfrontiert:

  • Der weitere Verlauf der Coronakrise und ihre Folgen sind weltweit noch nicht abschätzbar.
  • Andererseits ist heute schon klar: Krisenbedingt verändern sich die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handeln für die meisten Unternehmen so stark, dass sie ihre bisherigen Strategien grundsätzlich überdenken müssen.

 

Die Entscheider müssen die Krise erst »begreifen«

Wie vielschichtig und komplex der Change- und Transformationsprozess im Gefolge der Krise ist bzw. sein wird, wird den Entscheidern meist erst bewusst, wenn sie die Ist-Situation reflektieren. So ist zum Beispiel zum jetzigen Zeitpunkt einiges noch nicht absehbar:

  • Wie wirkt sich die Krise auf die Staatengemeinschaft aus? Wird sie zum Beispiel die EU zusammenschweißen oder bleibt diese nur noch auf dem Papier bestehen?
  • Wie wirkt sich die Krise auf die Nationalökonomien aus? Enthalten sie nach der Krise mehr planwirtschaftliche Elemente, und erhöhen die Staaten die Handelsbarrieren?
  • Entwickeln sich noch mehr Schwellen- und Entwicklungsländer zu „failed states“? Brechen die Lieferketten für bestimmte Rohstoffe nachhaltig zusammen?
  • Löst die Krise in vielen Branchen einen Übernahme- und Konzentrationsprozess aus?
  • Wie stark und in welcher Form wird die Krise die digitale Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft sowie den Online-Handel pushen?

Ähnliche Fragen stellen sich auf der mikroökonomischen Ebene – zum Beispiel:

  • Werden die Mitarbeiter, die zurzeit im Homeoffice arbeiten, nach der Krise noch akzeptieren, dass sie fortan wieder täglich im Büro sein müssen?
  • Verändert die Tatsache, dass in der Krise und der darauf folgenden Wiederaufbauphase sehr viele Entscheidungen top-down getroffen werden müssen, nachhaltig die Unternehmenskulturen?
  • Wie entwickeln sich Kauflaune, Investitionsbereitschaft und Zahlungsmoral der Kunden nach der Krise, wenn deren Kassen vermutlich weitgehend leer sind?

Diese Ungreifbarkeit erleichtert es nicht gerade, die Szenariotechnik anzuwenden, wie der folgende Teil der Serie zeigen wird.

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner (Bruchsal) sowie Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence, der St. Gallener Business-School und der Technischen Universität Clausthal.

 

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