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Ewald Arenz: Ein Esstisch in Bauernbarock

In der Serie „Mein Schreibtisch“ stellen uns Autorinnen und Autoren ihre Arbeitsplätze vor. Diesmal zeigt der Gewinner des „Lieblingsbuch der Unabhängigen“, Ewald Arenz, seinen Schreibtisch.

Eigentlich sollte ich an meinem Schreibtisch über meinen Schreibtisch schreiben, aber von meinem Schreibtisch aus sehe ich vor allem mein Jugendstilsofa. Das erste, mühsam durch einen Aushilfsjob bei einem Restaurator zusammengesparte Möbelstück. Selbst hergerichtet; die Holzteile von Hand mit Schellack poliert und nach drei Kindern und mehreren Katzen mittlerweile zum dritten Mal neu gepolstert und bezogen. Es passt besser in mein Arbeitszimmer als mein Schreibtisch. Abgesehen davon ist es auch bequemer.

Es sind sonst eher Möbel der Fünfzigerjahre, die diesen Raum dominieren. In meinem Rücken habe ich die zweiflügelige Glastür auf die kleine Veranda, über die es in den ziemlich verwilderten Garten geht. Sie ist deshalb in meinem Rücken, damit ich mich selbst nicht zu sehr ablenken lasse. Im Garten ist immer etwas zu tun und wenn ich gerade in einer schwierigen Szene stecke und nicht weiterweiß, stehe ich auf, sehe mal eben nach den Obstbäumen oder den Frühbeeten oder hole im Winter Holz, denn mein Haus lässt sich nur mit einem Schürofen heizen. Wenn ich aber die ganze Zeit in den Garten sehen könnte … na, dann wäre ich zu wenig am Schreibtisch.

(Foto: Laura Karrlein)

Er passt im Grunde längst nicht mehr in mein Arbeitszimmer, aber bis jetzt habe ich noch keinen neuen gefunden. Mein Schreibtisch ist eigentlich ein Esstisch in einfachem Bauernbarock; geschwungene Beine; etwas grob aus schlichtem Fichtenholz und mit einer Platte versehen, die ich selbst gefräst und lackiert habe. Die ursprüngliche Platte – aus ungeschickt zusammengeleimten, astigen Kiefernbrettern – ist schon vor vielen Jahren in den Kamin gewandert.

Mein gegenwärtiger Schreibtisch ist eigentlich ein Behelf. Ein Ersatz für den riesigen Eichenschreibtisch aus dem Jahr 1910, der auch so gar nicht mehr passen wollte. Eine von diesen provisorischen Lösungen, die über die Jahre still und heimlich Dauerhaftigkeit ansammeln. Dennoch sind an diesem zusammen­gestückten Tisch mittlerweile fünf Bücher und drei Musicals entstanden.

Am liebsten und am besten schreibe ich vormittags. Von acht bis eins. Das ist dann aber auch so ziemlich das Einzige, was mich mit Thomas Mann verbindet. Mich hat es selten gestört, wenn meine Kinder während des Schreibens in den Raum kamen oder die Katze durch die offene Verandatür nach Sahne verlangt. Im Gegenteil. Ich mag es ganz gern, ein wenig von allen Geräuschen mitzubekommen. Im Frühjahr höre ich durch die offene Verandatür entfernt die Landmaschinen, aber auch das Summen der Bienen und das Rufen des Kuckucks vom Waldrand. Wenn der Wind von Westen kommt, trägt er das leise Rauschen der Züge und mittags die Glocken aus dem Nachbardorf ins Arbeitszimmer.

Fast immer steht eine Schale Tee auf dem Schreibtisch. Ohne Tee geht es kaum. Es muss sehr feiner Darjeeling sein; eine ganz helle Tasse. Eigentlich bin ich nicht sehr anspruchsvoll. Ich kann im Zug schreiben, wenn ich auf Lesereise bin, und im Urlaub an einem wackligen Bistrotisch und sogar im Auto, wenn mein Bruder und ich zu Auftritten fahren. Da tut es dann auch Kaffee. Aber konzentriert und kreativ schreibe ich nur mit dem besten First Flush.

So ge­sehen bin ich aber ganz froh, dass es der Sezessions-Schreibtisch von van de Velde, von dem ich immer geträumt habe, noch nicht in mein Arbeitszimmer geschafft hat. Obwohl er so schön zum Jugendstil des Sofas und der bürgerlichen Lackoptik der Fünf­ziger meiner Schränke passte. Aber die Eichenplatte hätte eben immer Ringe … und das ginge denn doch nicht.

Ewald Arenz auf seinem Jugendstilsofa (Foto: Laura Karrlein)

Ewald Arenz

Mit „Der große Sommer“ (DuMont) hat Ewald Arenz das diesjährige „Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen“ geschrieben. Der Hauptteil seines litera­rischen Werkes ist im Verlag Ars Vivendi erschienen, darunter der Dauerseller „Der Duft von Schokolade“, der bereits 100.000-mal verkauft wurde.

Auch im dramatischen Fach ist der gebürtige Nürnberger unterwegs: Arenz adaptiert historische Stoffe für die Musicalbühne, zuletzt „The Famous Door on Swing Street“, eine musikalische Hommage an die Flüsterkneipen in der legendären Swing Street in New York. Im Hörfunk moderiert er seit vielen Jahren auf Bayern 2 die literarische Sendung „Das Feiertagsfeuilleton“. Ferner organisiert er jährliche Parklesungen im Fürther Stadtpark mit künstlerischen Darbietungen sowie Advents­lesungen. Arenz ist Lehrer für Englisch und Geschichte.

Auszeichnungen (Auswahl)

  • Lieblingsbuch der Unabhängigen (2021)
  • Literary Award der Handelskammer von Neapel (2010)
  • Kulturpreis der Stadt Fürth (2007)
  • Förderpreis für Kunst und Wissenschaft der Stadt Nürnberg (2005)
  • Bayerischer Kunstförderpreis (2004)
  • AZ-Stern des Jahres 2002

 

Bestseller

Titel (erschienen) / bester Platz

Der große Sommer (3/2021) / 4

Alte Sorten (3/2019) / 28

Auswahl                      Quelle: SPIEGEL-Bestseller Hardcover Belletristik

 

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