Homeoffice – nein danke? Das Remote-Arbeiten hat seine Kritiker – nicht erst seit Elon Musks spektakulärer Drohung, alle Manager an die Luft zu setzen, die nicht mindestens 40 Stunden pro Woche im Büro vor Ort arbeiten. Zu Recht?
Zumindest scheint das Homeoffice auch deutliche Nachteile mit sich zu bringen. Das beobachtet auch Gerdt Fehrle, Buchautor („Wie Großvater den Krieg verlor“, „Der Fall von Paris“), Verleger (Glockenbach-Verlag, Ero-Verlag) und Kommunikations-Experte (Prospero PR). Im Channel Produktion und Prozesse von buchreport.de fasst er eigene Erfahrungen und Studienergebnisse zusammen und wägt ab, welcher Arbeitsort für welche Arbeit geeignet ist.
Homeoffice – ja klar!
Seit der Krise ist das Homeoffice vielerorts zum Normalfall geworden. Und zahlreiche Beschäftigte wollen das Remote-Arbeiten nicht mehr missen. Verständlich. Es erspart morgens den Weg ins Büro. Es erleichtert die Vereinbarkeit von Job und Familie und häufig ist die Arbeit sogar produktiver, weil ungestört. Ideal für Autoren, Texterinnen, Lektorinnen und Leute aus der Grafik? Soweit die Arbeitnehmer-Perspektive. Zumindest auf den ersten Blick.
»Aufgaben, die eine hohe und lang anhaltende Konzentration erfordern, wie zum Beispiel umfangreichere Lektorate, erledige ich lieber von zu Hause aus. Tatsächlich werde ich im Homeoffice weniger stark abgelenkt, etwa durch Telefongespräche.« Merle Gith, Verlags-Managerin beim Münchner Glockenbach Verlag
Auch die Unternehmen sehen zunächst Vorteile. Sie können ihren Mitarbeitern eine bessere Work-Life-Balance bieten. Sie kommen deren Wünschen nach Flexibilität entgegen und müssen weniger teure Bürofläche vorhalten. Sie sparen also Kosten ein.
Dennoch rechnen die Experten nicht damit, dass Homeoffice zum bestimmenden Arbeitsmodell wird. Im Frühjahr 2022 arbeiteten laut Ifo-Institut rund 28% aller Angestellten in Deutschland regelmäßig von zu Hause aus – obwohl, wie die Forscher errechnet haben, mobiles Arbeiten für mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze möglich wäre. Das Potenzial wird also längst nicht ausgeschöpft. Langfristig dürfte die Quote bei rund 25% liegen, wobei das Münchner Institut auch die Belegschaft aus der Produktion eingerechnet hat.
Denn natürlich ist der Homeoffice-Anteil je nach Branche sehr unterschiedlich. Bei Unternehmensberatern etwa liegt er bei fast drei Viertel. In der Medienbranche und im Werbe-Business sind es rund 60% und im Verlagswesen immerhin 47%.
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Homeoffice – nein danke!
Doch es gibt auch gewichtige Argumente gegen das Arbeiten am heimischen Schreibtisch. Nach einer anderen Ifo-Studie sieht die Mehrheit der befragten Unternehmen deutliche Nachteile in der Qualität der Zusammenarbeit im Vergleich zur Face-to-Face Begegnung.
Ob sich Mitarbeiter per Zoom oder persönlich im Büro treffen – was macht den Unterscheid aus? Tatsächlich zeigt eine Studie der Managementberatung Staufen, dass die Zusammenarbeit in Unternehmen leidet, wenn Kantine und Kaffeeküche als Kommunikationszentralen fehlen. Der informelle Austausch, der „Flurfunk“, gilt sogar als das effektivste Kommunikationsmittel eines Unternehmens. Über keine anderen Wege verbreiten sich Nachrichten schneller über alle Hierarchieebenen und Abteilungen hinweg.
Die Bandbreite der dort verbreiteten Nachrichten reicht bekanntlich von „harmlos und unterhaltsam“ über „rufschädigend“ – dann genannt „Klatsch“ oder „Mobbing“ – bis zum informellen Fachaustausch. Dieser liefert oft genug entscheidende Denkanstöße und kreative „Heurekas“. Oft genug ist dieser Austausch Quelle von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.
Führungskräfte sollten somit den Kanal „Flurfunk“ weder in seinem psycho-sozialen noch in seinem innovativ-wertschöpfenden Aspekt unterschätzen. Teams und Belegschaften nutzen den „Kaffee-Klatsch“ einerseits, um Stress abzubauen und den Zusammenhalt zu stärken. Das belegt auch die Studie der Arbeitspsychologin Kathryn Waddington von der Universität London. Gleichzeitig steigert das Bürogeflüster die Produktivität: Bei einer Umfrage unter rund 100 Krankenschwestern gab die Mehrheit der Befragten an, der Plausch zwischendurch helfe nicht nur, Frust abzubauen und negative Erlebnisse aus dem Arbeitsalltag zu verarbeiten, sondern er erlaube es, anschließend wieder konzentriert an die Arbeit zu gehen.
Praxisbeispiel
Als Beispiel wird gerne auf die Firma Xerox verwiesen: Weil sich die Service-Techniker in der Kaffeepause Reparatur-Geschichten und kreative Problemlösungen erzählten, lernten sie ständig dazu. Xerox-Kopierer wurden so immer schneller repariert.
Das Unternehmen als Ort, an dem Menschen zusammentreffen, sich austauschen, sozial und professionell interagieren und dadurch mehr teilen, ist nach Ansicht des Ökonomen Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (Köln) das sich ebenfalls mit dem Für und Wider befasst hat, unersetzlich.
„Wir Ökonomen wissen, dass Innovationen – abgesehen vom Tüftler in der heimischen Garage – das physische Zusammentreffen von Menschen, ihr gemeinsames Denken und Fühlen inklusive kontroverser Diskussionen und Reibereien erfordern. Und zwar beiläufig wie organisiert.“
Die Reduzierung des Miteinanders auf feste Termine führe zu Verlusten bei der Innovationskraft, bei der sozialen Bindung und bei der Reaktionsmöglichkeit des Arbeitgebers auf individuelle Krisen. Nicht zuletzt beruhe Unternehmenskultur, in der sich Werthaltungen, Traditionen und Umgangsformen manifestieren, auf dem Zusammensein am Arbeitsort und „auf dem Erleben des anderen in all seinen Dimensionen“. Organisierte Feiern und Ausflüge seien kein Ersatz dafür.
»Fluide Belegschaften erlangen ihre Identität dann auch nicht über eine Feierkultur, sondern nur über eine Unternehmenskultur, die Freud und Leid, Kooperation und Konflikt zu adressieren vermag.« Christiane Flüter-Hoffmann/Oliver Stettes (Institut der deutschen Wirtschaft)
Die Bedeutung des Unternehmens als sozialer Ort zeigt auch die Untersuchung „Arbeiten in der Corona-Pandemie“ des Fraunhofer-Instituts IAO, die allerdings resümiert: Produktivität und Homeoffice schließen sich nicht aus.
Herausforderung Kontrollverlust
Mangelnde Kontrolle ist sowohl beim Homeoffice als auch beim Phänomen „Flurfunk“ eine Herausforderung für Bosse mit einer bestimmten Führungs-Philosophie. Doch die Chefs könnten entspannt bleiben, wenn sie Mitarbeiter plaudernd in der Teeküche oder am Kaffeeautomaten treffen. Viele Gespräche drehen sich tatsächlich um berufliche Themen. Die Vernetzung über Abteilungsgrenzen hinweg, die sich einerseits formal nur mit großem Aufwand herstellen lässt und andererseits oft genug den Unterschied macht zwischen gut und exzellent: Hier findet sie statt!
Faktor »Mensch«
Außer der Identifikation spricht auch die Art des menschlichen Lernens gegen dauerhafte Arbeit im Homeoffice. Das hat der Techniksoziologe Johannes Weyer von der TU Dortmund bestätigt. So sei Wissensmanagement im Unternehmen über interne Wikis zwar sinnvoll, wenn es um Daten und Fakten geht. Prozesswissen jedoch, also die Frage, wie man etwas macht, lasse sich nicht digital vermitteln, sondern nur face-to-face. Menschen würden durch Nachahmung, Vertrauen und Übung lernen. Und das funktioniere nur analog. Auch über Chats sei die Kommunikation formal und lasse keine Zwischentöne zu.
Das sieht auch Merle Gith vom Glockenbach Verlag so: „Ich arbeite prinzipiell lieber im Büro. Wir sind ein kleines, kreatives Team und viele unserer Ideen entstehen bei spontanen Gesprächen in der Teeküche, auf dem Flur oder über den Schreibtisch hinweg. Wir beflügeln uns dabei gegenseitig – das möchte ich nicht missen. Auch Fragen oder Unklarheiten können im Büro schnell besprochen werden. Zudem ist der Arbeits-Komfort im Büro wesentlich höher: Ich arbeite mit zwei großen Monitoren, habe Drucker, Scanner und alle Unterlagen sofort zur Hand.“
Fazit
Homeoffice oder Präsenz – ist das überhaupt die richtige Fragestellung? Eher nicht. Denn remote und Arbeiten vom Homeoffice haben bei bestimmten Aufgabenstellungen oder unter besonderen Umständen zweifellos ihre Berechtigung.
Wirklich kreativ und innovativ aber werden Menschen nur im Dialog. Da muss man, egal was man sonst von ihm halten mag, Elon Musk zweifellos zustimmen.
Studien sind ja immer eine feine Sache, aber manchmal helfen sie auch nicht weiter: Krankenschwestern bauen Frust ab in der Teeküche und Servicetechniker tauschen sich aus? – Ja, gewiss, aber viele Berufe in der Produktion, der Pflege, dem Service bleiben nun mal immer an einen Arbeitsort gebunden – wenn die Alternative nicht möglich ist, sinkt auch die Aussagekraft des Arguments.
Davon abgesehen ist mein persönlicher Eindruck (und eben auch nicht mehr) aber eher: Wenn eine Firmenkultur kommunikativ, innovationsfreudig (und zwar wirklich, nicht nur auf dem Papier), kollegial und intrinsisch produktiv ist, klappt mobile Arbeit ebenso gut wie die im Büro. Umgekehrt hat aber das Homeoffice auch die Lebenslügen mancher Unternehmen offengelegt.