Peter Schlürmann (Inapa) hat 40 Jahre Erfahrung in der Papierindustrie. Er rekapituliert, wo der Markt grafischer Papiere steht und was zu erwarten ist.
Das erste Halbjahr 2022 war von einer nie dagewesenen Preis-Rallye, langen Lieferzeiten und knappen Verfügbarkeiten bei grafischen Papieren gekennzeichnet. Über den Sommer und die Ferienzeit hat sich dann eine gewisse Beruhigung bei der Papiernachfrage eingestellt. Druckereien berichten von nach wie vor sehr vollen Lagern. Die Bestände werden nun sukzessive abgearbeitet.
In normalen Zeiten hätte dies zu einem Weicherwerden der Preise geführt. Vor dem Hintergrund der ständig weiter steigenden Energiepreise passiert das jedoch nicht. Sowohl bei den Brot- und Butter-Papieren (Bilderdruck, Offset) als auch bei den Feinpapieren erhöhen sich die Preise abermals um 8 bis 10%. Einige Hersteller schreiben diese Preise in den November fort.
Von den in der Vergangenheit üblichen Preisbindungen über 3 Monate kann auch weiterhin keine Rede sein. Preise werden maximal vier bis acht Wochen festgeschrieben. Allerdings bewegen sich die Lieferzeiten inzwischen wieder auf einem Normalniveau von etwa vier Wochen.
Hersteller bauen weiter Kapazitäten ab
Der Druckmarkt in Europa ist weiterhin rückläufig und man geht auch 2023 von sehr schwierigen Marktverhältnissen aus. In praktisch allen Segmenten des Papiermarkts (Zeitungsdruck, Magazinpapiere, holzfreie Papiere) finden weitere Kapazitätsanpassungen seitens der Papierhersteller statt. So trennt sich Stora Enso von vier Produktionsstandorten (insgesamt ca. 1,7 Mio t Kapazität), Sappi von dreien (ca. 1,2 Mio t).
Auch wenn noch nicht in jedem Fall klar ist, was mit diesen Produktionsstandorten passiert, ist in jedem Fall von einer weiteren deutlichen Verknappung des Angebots grafischer Papiere auszugehen.
Und wie geht es jetzt weiter?
Allein die Aufzählung marktbeeinflussender Parameter macht deutlich, dass wir vor herausfordernden Zeiten stehen:
- Fortschreitende Inflation
- Energiekrise
- Erwartete Rezession für 2023
- Kein sich abzeichnendes Ende des Ukrainekrieges
- Steigende Einfuhrpreise für in Dollar gehandelte Rohstoffe durch die deutliche Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar
- Weiterhin enorme Engpässe im Frachtsegment wegen fehlender LKW-Fahrer
- Nach wie vor gestörte Lieferketten durch die Corona-Pandemie.
Sollte es zusätzlich über den Winter zu einer Gasmangel-Lage kommen, ist davon auch die Papierindustrie in starkem Maße betroffen.
Hoffen und auf Sicht fahren
Es bleibt zu hoffen, dass sich dennoch eine gewisse Normalität einstellt und von der Frankfurter Buchmesse zusätzliche Impulse ausgehen. Die Verlagsbranche hat sich in der Vergangenheit in Krisenzeiten immer als relativ robust und anpassungsfähig erwiesen. Es besteht zumindest Hoffnung, dass sich die schwindende Kaufkraft in der Bevölkerung nicht allzu negativ auf den Kauf von Büchern und Zeitschriften auswirkt.
Allen Marktteilnehmern wird angesichts sich fast wöchentlich ändernder Rahmenbedingungen nichts anderes übrig bleiben, als auf Sicht zu fahren und sich ständig an die jeweilige Situation anzupassen.
Peter Schlürmann
buchreport.spezial Management & Produktion 2022
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im buchreport.spezial Management & Produktion.
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