Für ihren Roman „Nordstadt“, im Februar 2022 bei Steidl erschienen, wird Annika Büsing mit dem Mara-Cassens-Preis des Literaturhauses Hamburg ausgezeichnet.
Der Mara-Cassens-Preis wird als einziger deutschlandweit von einer ehrenamtlichen Leserinnen- und Leserjury vergeben und ist mit 20.000 Euro der höchstdotierte Preis für einen deutschsprachigen Debütroman. Im Sinne der 2015 verstorbenen Förderin Mara Cassens soll der Preis Autorinnen und Autoren eine Chance bieten, sich nach dem ersten Roman für eine gewisse Zeit ganz dem Schreiben zu widmen. Preisträgerinnen und -träger der letzten Jahre sind Emanuel Maeß (2019), Ronya Othmann (2020) und Stefanie vor Schulte (2021).
15 Mitglieder des Literaturhaus-Vereins wählten unter den insgesamt 72 eingereichten Debütromanen ihren Favoriten: Annika Büsings „Nordstadt“. Aus Nenes Perspektive wird darin vor allem die Annäherung von Nene und Boris erzählt, im Norden einer Stadt im Ruhrgebiet. Nach dem frühen Tod der Mutter wächst Nene unter der Gewalt ihres alkoholabhängigen Vaters auf, als Teenagerin wird sie vergewaltigt. Bald wird für sie das Schwimmen zum Ausweg, zum Lebensweg. Jetzt, Mitte 20, ist sie Bademeisterin. Im örtlichen Schwimmbad trifft sie immer wieder auf Boris. Boris, der an Kinderlähmung erkrankte, weil seine Mutter die Impfung verweigerte, kommt nicht so richtig zurecht, wird ausgestoßen und gemobbt. Wut und Schmerzen münden bei ihm in Verachtung für die Welt. Nene begegnet ihm mit Schlagfertigkeit, Selbstironie und unbändigem Lebenswillen, der auch eine pragmatische Überlebensstrategie birgt, um die schlimmen Erlebnisse zu vergessen. Die beiden müssen sich nicht erklären, sie sehen einander. »Nordstadt« ist genaue Milieustudie und ergreifende Liebesgeschichte zugleich – auf gerade einmal 123 Seiten.
Aus der Begründung der Jury: „Annika Büsing schafft es schon auf der ersten Seite, mit wenigen Worten eine ungemein dichte Atmosphäre zu erzeugen. In klarer, schnörkelloser Sprache – ohne viel Handlung und Spannungsbögen – erzählt Annika Büsing eine auf den ersten Blick eher spröde Liebesgeschichte, die doch von Zuneigung und Empathie getragen wird. Die beiden Charaktere Nene und Boris werden pointiert und dennoch warmherzig beschrieben. Der Autorin gelingt es, trotz der schweren Erfahrungen ihrer Protagonisten mit Leichtigkeit zu erzählen. Sie bewahrt auch angesichts der rauen Umgebung Humor und erschreibt ihren Figuren, die Schäden vom Leben davongetragen haben, eine große Kraft. Vor allem die Hauptfigur Nene ist stärker als ihr Schicksal. Büsing lässt Leerstellen, um die Sätze umso eindrucksvoller wirken zu lassen. Bei aller Dramatik vermittelt der Roman einen schönen Blick auf die Welt. Zart und zugleich schnodderig, das ist große Poesie. ›Nordstadt‹ ist ein ganz und gar ungewöhnliches, ein großartiges Debüt. Ein Buch mit höchstem literarischen Anspruch, das uns Leserinnen und Leser mit seiner Freude an der Sprache angesteckt hat. Wir freuen uns auf die nächsten Texte von Annika Büsing.“
Annika Büsing ist Lehrerin für Deutsch und Religion an einem Gymnasium. Sie lebt nach Aufenthalten im Ausland und ihrem Referendariat in Hamburg mit ihrer Familie in ihrer Heimatstadt Bochum. Ihr auch von der Kritik gelobter Roman „Nordstadt“ wurde bereits mit dem Literaturpreis Ruhr 2022 ausgezeichnet und war für den Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals sowie den Bayerischen Buchpreis nominiert. Ihr neuer Roman „Koller“ erscheint bei Steidl im Februar 2023.
Der Mara-Cassens-Preis wird am 11. Januar 2023 im Literaturhaus Hamburg verliehen. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda spricht ein Grußwort, Annika Büsing liest aus ihrem Roman. Die Laudatio hält der Autor und Kabarettist Frank Goosen, Holger Cassens vertritt die Mara und Holger Cassens Stiftung. Die öffentliche Veranstaltung ist ausgebucht, ein kostenfreier Livestream auf dem YouTube-Kanal des Literaturhauses ist geplant.
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