Joachim Simon, Braunschweig, ist als Führungskräftetrainer und Vortragsredner auf das Thema (Self-)Leadership spezialisiert ( www.joachimsimon.info ). Er ist Autor des Buchs „Selbstverantwortung im Unternehmen“ und Co-Founder der (Self-)Leadership-Coaching-App Mindshine (www.mindshine.app).
In einem Beitrag für den HR-Channel auf buchreport.de beleuchtet er die Frage, wie Unternehmen die Kompetenz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern und so auch eine größere Selbständigkeit ermöglichen können. Es brauche dafür eine bestimmte Unternehmenskultur, in der auch Fehler zugestanden werden und eine vertrauensvolle Kommunikation herrscht.
Unternehmen benötigen zunehmend Mitarbeiter, die hochmotiviert auch neue, komplexe Aufgaben angehen und aus den herbei gesammelten Erfahrungen für die Zukunft lernen. Diese Kompetenz gilt es bei ihnen zu fördern.
In der modernen, von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten Arbeitswelt stehen die Mitarbeiter der Unternehmen häufig vor neuen Herausforderungen und Aufgaben – das haben gerade die zurückliegenden drei Jahre seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie eindrucksvoll gezeigt.
Also benötigen die Unternehmen zunehmend auch Mitarbeiter, die neue Herausforderungen und Aufgaben beherzt angehen – und zwar eigeninitiativ. Deshalb achten sie heute schon beim Einstellen von Mitarbeitern verstärkt darauf, wie diese als Person ticken: Ergreifen sie zum Beispiel gerne selbst die Initiative oder arbeiten sie bevorzugt Aufgaben gemäß den Vorgaben systematisch ab? Ein Werturteil ist hiermit nicht verknüpft, denn letztlich benötigen (fast) alle Unternehmen beide Mitarbeitertypen.
Wollen – können – dürfen
Doch sind die Mitarbeiter mit dem gewünschten Persönlichkeitsprofil an Bord, ist es noch keineswegs garantiert, dass diese im Betriebsalltag tatsächlich das gewünschte Verhalten zeigen, denn neben dem „Wollen“ ist hierfür auch das „Können“ und „Dürfen“ wichtig.
Also müssen die Unternehmen für die erforderlichen Rahmenbedingungen für ein eigenständiges und -verantwortliches Arbeiten sorgen – und zwar unabhängig davon, ob ihre Mitarbeiter gerade im Betrieb oder Homeoffice arbeiten. Hierzu zählt es, den Mitarbeitern die nötigen Entscheidungs- und Handlungsspielräume einzuräumen. Außerdem muss in der Organisation eine Kultur bestehen, in der das Machen von Fehlern erlaubt ist – zumindest solange man hieraus lernt. Denn angenommen Mitarbeiter sammeln die Erfahrung, dass sie bei Fehlversuchen sofort am Pranger stehen. Dann versuchen sie die nächste schwierige Aufgabe erst gar nicht selbst zu lösen. Sie gehen vielmehr gleich zu ihrem Chef und fragen ihn: „Was soll ich tun?“ Das führt letztlich zu einer Mehrbelastung und oft Überlastung der Führungskräfte. Also liegt es in ihrem Eigeninteresse, in ihrem Bereich eine Kultur zu schaffen, die ihre Mitarbeiter zu einem eigenständigen und -verantwortlichen Handeln motiviert.
Existiert diese, ist aber immer noch nicht garantiert, dass die Mitarbeiter das gewünschte Verhalten zeigen, denn hierfür benötigen sie auch das erforderliche Können – also die Kompetenz, die Herausforderung beziehungsweise das Problem zunächst wahrzunehmen, dann zu analysieren und schließlich zu lösen.
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Die Mitarbeiter befähigen und ermächtigen
Diese Kompetenz fehlt ihnen bei neuen, komplexen Aufgaben oft noch teilweise. Also benötigen sie Unterstützung. Diese setzt ebenfalls eine Kultur des Vertrauens und der wechselseitigen Wertschätzung voraus, denn nur dann trauen sich die Mitarbeiter zu ihren Vorgesetzten zu sagen „Chef, ich stoße an meine Grenzen. Ich brauche Unterstützung.“
Doch wie kann eine Führungskraft im Arbeitsalltag den Mut, die Motivation und die Kompetenz ihrer Mitarbeiter fördern, sie aktuell noch stark fordernde Aufgaben anzugehen, um daraus zu lernen? Hier helfen die Untersuchungen des 2021 leider verstorbenen kanadischen Psychologen und Lerntheoretikers Albert Bandura weiter. Ihm zufolge speist sich die Selbstwirksamkeit einer Person vor allem aus folgenden vier Quellen:
- Eigene Erfahrungen im Meistern schwieriger Situationen: Sie sind für den Ausbau der Selbstwirksamkeit sehr wichtig. Denn wer schon wiederholt die Erfahrung gesammelt hat „Ich kann schwierige Aufgaben lösen“, traut sich dies auch künftig zu. Von besonderer Bedeutung sind dabei sogenannte „mastery experiences“. Sie entstehen, wenn eine Person eine Aufgabe meistert, von der sie zunächst nicht wusste: Wie löse ich sie?
- Lernen an Modellen und von Vorbildern: Beobachtet eine Person eine andere beim Lösen einer schwierigen Aufgabe, dann kann dies ebenfalls ihr Selbstvertrauen stärken – getreu der Maxime: „Wenn der oder die das kann, dann kann ich das auch!“ Eine Voraussetzung hierfür ist: Zwischen den beiden Personen muss eine gewisse Ähnlichkeit bestehen. Sie müssen zum Beispiel eine ähnliche Biografie oder Persönlichkeitsstruktur haben.
- Soziale und emotionale Unterstützung: Auch durch ermutigenden Zuspruch gewinnen Menschen Vertrauen in ihre Fähigkeiten – jedoch nur, wenn sie der Person, die sie anspornt, die Kompetenz zum Beurteilen ihres Könnens zuschreiben. Ebenfalls positiv auf die Selbstwirksamkeit wirkt sich das Wissen aus: „Wenn es eng wird, habe ich Unterstützer“ – fachliche und emotionale.
- Emotionale Zustände und Reaktionen: Menschen schließen von ihren Emotionen und körperlichen Reaktionen auf ihre Fähigkeiten. Verspüren sie zum Beispiel Herzrasen, wenn sie vor einer Aufgabe stehen, dann denken sie meist unmittelbar „Ich kann das nicht“ – oft noch bevor sie die Machbarkeit geprüft haben. Deshalb ist es wichtig, die Ursachen der eigenen Emotionen und physiologischen Reaktionen analysieren zu können. Ist die Reaktion der Aufgabe angemessen oder handelt es sich um eine erste Schreckreaktion?
Die Mitarbeiter im Arbeitsalltag coachen
Die Kenntnis dieser Quellen ermöglicht es Führungskräften, im Arbeitsalltag Lernumgebungen für ihre Mitarbeiter zu kreieren, die deren Selbstwirksamkeit fördern. Unabdingbar hierfür ist es, sich regelmäßig Herausforderungen zu stellen, bei denen man zunächst vermutet: „Diese Aufgabe könnte mich überfordern“. Denn an solchen Aufgaben wachsen wir.
Beim Versuch, solche Aufgaben zu lösen, ist es sinnvoll, diese als Projekt zu sehen. Die Führungskräfte sollten mit ihren Mitarbeitern, wenn diese vor einer komplexen Aufgabe stehen, also zunächst zum Beispiel analysieren: Welche Teilaufgaben sind damit verbunden? Danach sollten sie ermitteln, ob den Mitarbeiter die Gesamtaufgabe oder nur Teilaufgaben vor ihr erschauern lässt. Ist dies klar, kann analysiert werden, warum der Mitarbeiter zurückschreckt. Zum Beispiel, weil ihm Ressourcen und Kenntnisse fehlen? Oder weil er hiermit noch keine Erfahrung hat? Oder weil beim Lösen der Aufgabe Konflikte mit anderen Personen entstehen können?
Ist dies ermittelt, können im Dialog mit dem Mitarbeiter ein vorläufiger Aktionsplan erstellt und aus den Teilaufgaben Teilziele ableitet werden, die es auf dem Weg zum großen Ziel zu erreichen gilt. Zudem kann die nötige Unterstützung organisiert werden. Wichtig ist dabei ein Punkt, den Führungskräfte beim Anleiten und Coachen ihrer Mitarbeiter oft vergessen: Da das Bewältigen der Herausforderung auch dem Steigern der Eigenständigkeit und -verantwortung dient, sollte die Führungskraft mit ihrem Mitarbeiter auch Lernfelder definieren, in denen dieser seine Kompetenz erhöhen möchte. Außerdem sollte sie mit ihm Kriterien vereinbaren, woran das Erreichen der Lernziele gemessen wird.
Sich in eine Lernspirale begeben
Die für das Bewältigen der neuen, komplexen Aufgabe definierten Teil- und Lernziele haben unterschiedliche Funktionen. Das Definieren von Teilaufgaben und -zielen soll dem Mitarbeiter helfen, einen realistischen Aktionsplan zu erstellen, so dass er nach dem Projekt mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen kann: „Das war zwar schwierig, doch ich habe es geschafft.“ Und wenn er das Projektziel nicht oder nur teilweise erreichte? Dann ermöglichen ihm die definierten Teilziele im Rückblick – alleine oder mit seiner Führungskraft – zu analysieren: Welche Teilaufgaben löste ich mit Bravour und wo traten Schwierigkeiten auf? Das heißt, er kann sein „Scheitern“ relativieren. Das ist wichtig für sein Selbstvertrauen. Außerdem kann er dann neue Lernfelder und -ziele für sich definieren.
Das Definieren von Lernzielen hat die Funktion, dass der Mitarbeiter, wenn die komplexe Aufgabe gelöst ist – alleine oder mit seiner Führungskraft – ermitteln kann, welche neuen Kompetenzen er erworben hat und welche vergleichbaren Aufgaben er deshalb künftig meistern kann. Außerdem kann er seinen noch bestehenden Entwicklungsbedarf ermitteln.
Unterstützen Führungskräfte ihre Mitarbeiter so beim Bewältigen herausfordernder Aufgaben, begeben diese sich in eine Lernspirale. Das führt zu einem systematischen Ausbau ihrer Kompetenz. Also steigen auch ihre Fähigkeit und ihr Selbstvertrauen, neue Herausforderungen beherzt anzugehen und zu meistern. Das führt mittelfristig auch zu einer Entlastung der Führungskräfte.
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