Nachhaltigkeit endet nicht bei einer Kontrolle der Lieferketten und einem stabilen Rechnungswesen. Der manchmal übersehene menschliche Faktor wird im Zeichen des Fachkräftemangels immer wichtiger. Gleichzeitig sind divers zusammengesetzte Teams erfolgreicher. Worauf müssen sich Führungskräfte also fokussieren?
Wie der Einstieg gelingt und welche Unterstützung der Deutsche Nachhaltigkeitskodex dabei leistet, haben Teil 1 und Teil 2 dieser Serie bereits beschrieben. Teil 3 beschreibt, welche konkreten Auswirkungen Corporate Social Responsibility auf organisatorisches Handeln und eine entsprechende Prozessgestaltung hat und in Teil 4 geht es um das Konzept der unternehmerischen Beidhändigkeit, also Stabilität und Innovation.
Im 5. Teil unserer Serie zur Nachhaltigkeit im Publishing im Channel Strategie & Transformation auf buchreport.de fächert Nachhaltigkeits-Expertin Luise Rößner von Publisher Consultants die verschiedenen Aspekte der Corporate Social Responsibility auf und beschreibt die Herausforderung für Unternehmen, Diversität auch in der Besetzung von Teams zu leben.
Weshalb die soziale Dimension der Nachhaltigkeit mehr als Gendern ist, einen Imagewechsel braucht und mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Und wie gerade soziale Aspekte langfristigen Erfolg für Ihr Medienunternehmen sichern können.
54 % aller Organisationen sehen den Fachkräftemangel bereits heute als Risiko.
Nachhaltigkeit wird noch immer viel zu oft ausschließlich mit der ökologischen Dimension assoziiert, also mit Maßnahmen für den Erhalt der Biodiversität, für Klima-, Ressourcen- oder Umweltschutz.
Keine Frage, das sind äußerst wichtige und existenzielle Themen. Aber sich ausschließlich damit zu beschäftigen, ist viel zu kurz gedacht. Es reicht einfach nicht aus, lediglich ökologische und ökonomische Aspekte und damit nur zwei von drei Dimensionen zu betrachten, um publizierenden Unternehmen ein stabiles Fundament für nachhaltiges Wachstum zu bieten. Eine prosperierende Wirtschaft braucht auch stabile gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen.
Und um diese zu sichern, benötigen wir die soziale, menschenzentrierte Perspektive auf geopolitische Fragestellungen und globale Herausforderungen international, regional und in jedem Unternehmen.
Debatten um soziale Aspekte der Nachhaltigkeit sind oft emotional aufgeladen. Bestes Beispiel dafür: Gendern. Oder Frauenquoten. Doch der aufgeheizte Diskurs darüber nützt weder Betroffenen noch den Unternehmen.
Höchste Zeit also, um rhetorisch und emotional abzurüsten. In vielen Vorstandsetagen und Geschäftsleitungen dieser Welt hält sich außerdem ein Vorurteil ganz hartnäckig: Maßnahmen, die auf die soziale Dimension der Nachhaltigkeit abzielen, kosten viel Geld und bringen am Ende nichts. Und weil es sich dabei tatsächlich um ein Vorurteil handelt, ist das ein guter Moment, um einen Blick in die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre zu werfen. Zuvor muss aber ein Rahmen hinsichtlich sozialer Nachhaltigkeit gesteckt werden – was alles steckt hinter diesem Begriff?
Weitere Lösungen, Impulse und Erfahrungsberichte lesen Sie im Channel Strategie & Transformation von buchreport und Channel-Partner Publisher Consultants.
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Soziale Nachhaltigkeit – was ist gemeint?
Um davon eine Idee zu bekommen, lohnt sich ein Blick auf die neuesten Entwicklungen in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Die Ende 2022 veröffentlichten Entwürfe zu den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) – einem zukünftig in ganz Europa geltenden Berichtsstandard der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) /2/ –, geben auf die Tragweite der sozialen Nachhaltigkeit eine detailreiche Antwort. Nach diesen Entwürfen handelt es sich derzeit um Praktiken rund um die eigenen Mitarbeitenden, die Mitarbeitenden entlang der Wertschöpfungskette, durch die Geschäftstätigkeit beeinflusste regionale oder überregionale Gemeinschaften sowie Konsumierende und Endnutzerinnen und Endnutzer.
Die Zielgruppe ist damit klar umrissen. Hinter diesen einzelnen Praktiken steckt eine Vielzahl an Themen wie:
- Menschenrechte,
- Arbeits- und Gesundheitsschutz,
- Diversität,
- Inklusion und Integration,
- Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit,
- Unternehmenskultur,
- Arbeitsbedingungen,
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
- Qualifizierung und Förderung
und noch vieles mehr.
Die essenziellen Aspekte
Zwei ganz essenzielle Aspekte mit enorm großem Transformationspotenzial für Organisationen sind Chancengerechtigkeit und Diversität. Chancenungleichheit beginnt genau genommen schon mit der Geburt. Denn kein Kind sucht sich das soziale Milieu, die Familie oder die Wohnverhältnisse aus, in die es hinein geboren wird. Doch genau diese Rahmenbedingungen beeinflussen ein Leben lang, wie wir in der Gesellschaft wahrgenommen und bewertet werden. Unser Bildungssystem soll es dann richten.
18 % weniger pro Stunde – In Deutschland ist das Gehalt von Frauen immer noch deutlich geringer als das von Männern.
Doch leider verstärkt dieses System (ungewollt) Chancenungleichheit. Denn gleichzeitig gibt es in keinem anderen System mehr Gleichbehandlung als in unseren Schulen. Wie kann das sein?
Kinder mit ungleichen Chancen, Voraussetzungen und Startbedingungen werden gleich behandelt und bewertet. In Schulen fehlen die Ressourcen, um Chancenungleichheit flächendeckend auszugleichen und gleichzeitig echte Exzellenz zu fördern. Viele Kinder erhalten demensprechend nicht das, was sie eigentlich brauchen, sei es Förderung oder Herausforderungen.
Gleichzeitig erfolgt die Leistungsbewertung nicht unter Berücksichtigung der persönlichen Voraussetzungen (soziales Milieu, familiäre Unterstützung, Wohnort, Habitus usw.). Das heißt, eine gute Leistung, die unter schwierigen Bedingungen erbracht wurde, wird genauso bewertet wie eine gute Leistung, die unter optimalen Bedingungen erbracht wurde. Das Leistungspotenzial ist im ersteren Fall aber wesentlich größer.
Bei Kindern ist der Diskurs in unserer Gesellschaft (zumindest rhetorisch) noch relativ empathisch. Doch alle Erwachsenen, die keinen Bildungserfolg erlangten und die prekäre Lage, in die sie hineingeboren wurden, nicht verbessert haben, sind aus Sicht der öffentlichen Meinung selbst schuld. Die benachteiligten und benachteiligenden Verhältnisse, aus denen sie stammen, werden ihnen als persönliches Versagen zugeschrieben.
Neben der sozialen Herkunft und dem eigenen Habitus hat Diversität eine Menge Dimensionen, die es zu berücksichtigen gilt. Die Kerndimension im Sinne der Charta der Vielfalt /1/ sind:
- Alter: Diese Dimension spielt vor allem in Bezug auf den demografischen Wandel eine große Rolle.
- Körperliche und geistige Fähigkeiten: Menschen mit Behinderung haben ganz andere Bedürfnisse als Menschen ohne Behinderung, aber auch besondere Fähig- und Fertigkeiten. Diese in den Vordergrund zu stellen und Arbeitsprozesse dahingehend zu optimieren, bietet große Chancen.
- Ethnische Herkunft und Nationalität: Professioneller und wertschätzender Umgang mit der Vielfalt von ethnischer und kultureller Herkunft ist in einer globalisierten Wirtschaft ein enormer Erfolgsfaktor.
- Geschlecht und geschlechtliche Identität: Das biologische Geschlecht und die eigene Geschlechtsidentität müssen nicht immer übereinstimmen. Ein offener Umgang und Akzeptanz dafür sind essenziell für die Motivation und das Wohlbefinden von Mitarbeitenden.
- Religion und Weltanschauung: Der Respekt vor unterschiedlichen Religionen oder Weltanschauungen ist wichtig, damit sich Beschäftigte in der Organisation sicher fühlen und motiviert sind.
- Sexuelle Orientierung: Ein offener Umgang mit der sexuellen Orientierung reduziert Rechtfertigungsdruck und erhöht die Identifikation mit dem Unternehmen sowie die eigene Motivation und setzt Engagement frei.
- Soziale Herkunft: Mitarbeitende unterschiedlicher sozialer Herkunft brauchen unterschiedliche Förderung – und Forderung – von Potenzialen und Fähigkeiten, damit alle ihre individuellen Talente entfalten können.
Verlage tragen besondere Verantwortung
Diese Kerndimensionen sind die nahezu unveränderbaren Eigenschaften eines Menschen und haben gleichzeitig den größten Einfluss darauf, ob ein Menschen ein- oder ausgegrenzt wird. Wollen wir Chancengerechtigkeit und Diversität in Unternehmen umsetzen und etablieren, ist es ratsam, alle aufgezählten Dimensionen zu beachten und mitzudenken, um innovative Lösungen zu entwickeln, die echte Chancengerechtigkeit fördern. Wir müssen uns selbst reflektieren, eigene Vorurteile über Bord werfen und unsere Haltung verändern.
47 % der befragten inter*- und 45 % der befragten trans*-Personen erlebten Diskriminierung bei der Jobsuche oder während der Arbeit im vergangenen Jahr in Deutschland.
Ganz schön herausfordernd also, doch es lohnt sich. Verlage tragen aufgrund ihres Wissens- und Bildungsauftrages in diesem Bereich also eine ganz besondere Verantwortung, aber sie können auch sehr profitieren davon. Und wie das geht, zeigt sich im Handlungsfeld der Diversität ganz besonders.
Fakten, Fakten, Fakten!
Die Studie „Diversity Wins – How Inclusion Matters“ (McKinsey) aus dem Jahr 2022 hat ergeben, dass Unternehmen mit hohem Frauenanteil ein größeres Potenzial haben, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. Je diverser die Zusammensetzung eines Teams ist, desto seltener werden die immer gleichen Fehler wiederholt, wozu homogene Teams laut wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich häufiger neigen.
Um 43 % steigt die Wahrscheinlichkeit für höheren Profit bei Unternehmen mit ethnisch und kulturell divers aufgestelltem Vorstand. Dabei liegt der Grund auf der Hand: Je heterogener das Team, desto mehr unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Meinungen fließen in einen Entscheidungsprozess ein. Aber auch Unterschiede in der sozialen oder kulturellen Herkunft, verschiedene Lebensentwürfe oder Weltanschauungen können das Teamwork und die Arbeitsprozesse eines Verlages mit wertvollen Perspektiven bereichern.
In Anbetracht der vielen Ausprägungen, die Diversität haben kann, dauert es in heterogenen Teams sicherlich an manchen Stellen länger, um auf einen Nenner zu kommen. Vielleicht ist es auch anstrengender als in homogenen Teams – am Ende sind die Ergebnisse aber besser und zukunftsfähiger. Forscherinnen aus den USA fanden zum Beispiel heraus, dass Studierende aus niedrigeren sozialen Schichten bessere Leistung im Teamwork erzielen als privilegiertere Kommilitonen.
Warum? Weil sie kooperativer sind. Wenn nun auf Führungs- und Entscheider -Ebene klar ist, dass ihre Teams bessere Resultate abliefern und sie selbst damit wirtschaftlich erfolgreicher sind, wenn sie sich für Chancengerechtigkeit und Diversität stark machen, können wir uns auch endlich von den Quotendebatten verabschieden. Messbar mehr Diversität und Chancengerechtigkeit führen also auch zu messbar mehr wirtschaftlichem Erfolg und einer erfolgsversprechenden Strategie. Deswegen ist Messbarkeit von Diversity-Maßnahmen auch ganz entscheidend, denn nur dadurch wird ihr Effekt greifbar – und greifbare Erfolge überzeugen am Ende des Tages.
Die Umsetzung: Schritt für Schritt
Für Verlegerinnen und Verleger birgt die soziale Dimension der Nachhaltigkeit also ein enormes Transformationspotenzial, das seinerseits maßgeblichen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Verlages hat. Die Wiederholung immer gleicher Fehler wird vermieden, eine engere Anbindung an die eigene Zielgruppe innerhalb der Organisation kann gefördert werden, die Zusammenarbeit in und zwischen Teams kann maßgeblich verbessert werden und das steigende Risiko des Fachkräftemangels wird signifikant eingedämmt.
50 % des in Deutschland prognostizierten Fachkräftemangels können laut der Unternehmensberatung McKinsey durch personelle Vielfalt in den Unternehmen abgefedert werden.
Auch in unserer Verlagsagenda für 2023 haben wir das Handlungsfeld „Menschen“ als besonders essenziell identifiziert, was die Wichtigkeit der beschriebenen Faktoren für die Zukunftsfähigkeit von Verlagen unterstreicht. Aber wie setzt man das alles um?
Ganz einfach: Schritt für Schritt. Das Wichtigste dabei ist, loszugehen und Veränderungsprozesse anzustoßen.
77 % der Fach- und Führungskräfte haben in einer Umfrage angegeben, das sie sich eher bei Organisationen bewerben wollen, welche sich für das Thema Diversität aktiv einsetzen.
Die Basis für diese Transformation ist idealerweise ein umfassende Relevanz- und Wesentlichkeitsanalyse. Denn nur wenn ich weiß, welche Themen für meine Organisation relevant sind, kann ich auch die richtigen Hebel in Bewegung setzen. Auf Basis des Ist-Zustands kann dann unter der Beteiligung der relevanten Stakeholder ein Leitbild formuliert werden, das den Purpose, die Vision und Mission sowie Normen, Werte und Prinzipien eines Verlages zusammenfasst und das Fundament für die Unternehmenskultur bildet.
Ist das geschafft, geht es an die eigentliche Arbeit: den gewünschten Wandel tatsächlich im Alltag zu leben. Es müssen operative Maßnahmen geplant und umgesetzt, Ergebnisse gemessen und reflektiert, Misserfolge anerkannt und Erfolge gefeiert sowie wertschätzend und verlässlich kommuniziert werden, um eine neue Kultur innerhalb der Organisation zu etablieren. Wir Menschen sind ja Gewohnheitstiere, wie man sagt.
Deshalb sind hier die Marathonläufer unter uns genau die Richtigen für diesen Job und genau deswegen ist die Transformation in Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit auch als fortwährender Prozess zu betrachten, der nie ganz endet.
/1/ Der gemeinnützige Verein Charta der Vielfalt e. V. „Für Diversity in der Arbeitswelt“ wurde am 10. September 2010 gegründet und setzt sich seitdem aktiv für die Verankerung von Vielfalt in der Wirtschaft ein.
/2/ 2001 gegründet, ist es die Mission der EFRAG, die finanzielle Berichterstattung in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln und den IASB-Standard voranzutreiben.
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