Ich erinnere mich noch gut, wie ich zu Beginn meines Studiums bei meiner ersten Fahrt auf die Frankfurter Buchmesse enttäuscht war. Ich hatte eine spezielle Frage, die ich einem Verlag stellen wollte, und ging zu dessen Stand. Dort erfuhr ich dann, dass mir niemand weiterhelfen könne, weil die Auskunftgeberin eine eigens für die Buchmesse engagierte Studentin war, die vom eigentlichen Geschäft des Verlages keine Ahnung hatte. Da fragte ich mich, wozu der Verlag durch den Einsatz der Studentin Kommunikationsbereitschaft signalisiert, wenn er selbst doch eigentlich gar nicht präsent ist und somit bei ehrlich Interessierten nur Ernüchterung erzeugen kann. Ganz ähnlich kommt mir heute die Situation im Social Web oft vor.
Ein Feld meines „Buchmarkt-Bullshit-Bingo“ habe ich „Keine Zeit für Kundendialog“ genannt. Die große Chance durch das Netz ist ja gerade, den direkten Kontakt zu den eigenen und künftigen Kunden aufzubauen und bspw. ein Direktmarketing zu etablieren. Gerade in Zeiten des schwächer werdenden stationären Sortimentes und der neuen Gatekeeper im Internet à la Amazon ist das ein sehr wichtiger Punkt. Wer dafür keine Zeit hat, sagt letztlich, dass der Erfolgszusammenhang nicht gegeben ist, was sehr oft aber schon allein daran liegt, dass Erfolg nicht definiert, gezielt herbeigeführt und/oder gemessen wird.
Natürlich kann man über die so genannten „Social-Media“-Plattformen klassisches Marketing betreiben. Das hat dann aber wenig mit „social“ zu tun. „Social“ bedeutet für mich, echte Kundenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. Wer das bisher schon machen wollte, musste aber nicht erst auf die Erfindung des Internets warten. Das Internet schafft jedoch neue Möglichkeiten, „social“ zu sein. Beim Thema „social“ geht es also weniger darum, was man tut, sondern darum, wie man ist. Es geht darum, ob die eigene Unternehmenskultur darauf ausgerichtet ist, Kundenbeziehungen zu würdigen – egal mit welchen Mitteln. Mirko Lange hat die „Social Media“ zu Recht mal als Persönlichkeitsverstärker bezeichnet.
Dementsprechend sollten die Unternehmensaktivitäten auf den „Social-Media“-Plattformen der eigenen Kommunikationskultur entsprechen, wie sie auch andernorts im und vom Unternehmen gelebt wird. Ich treffe bei meiner Beratungstätigkeit öfter auf Fragen zu diesem Feld. „Müssen wir unsere Kunden auf Facebook duzen, weil das ja alle dort so machen?“ Natürlich nicht, wenn das sonst bei anderen Kontaktpunkten mit dem Kunden nicht auch getan wird. Wie gesagt, die Unternehmenskultur sollte nicht verändert werden, nur weil man auf Facebook unterwegs ist, sondern die neuen Plattformen sollten dazu dienen, das sichtbar zu machen, was das eigene Unternehmen ausmacht.
Das wiederum führt aber zu einem weiteren Punkt des „Buchmarkt-Bullshit-Bingo“: „Agenturen für Kundendialog und -beziehungen“ – Es gibt ja inzwischen diverse Agenturen auch speziell auf dem Buchmarkt, die bspw. anbieten, die Kommunikation auf den unternehmenseigenen Facebook-Seiten zu übernehmen. Ich berate ja selbst Verlage, Buchhandels- und andere Unternehmen; ich selbst würde das als Dienstleistung aber nicht anbieten, weil ich es für nicht zielführend halte und ich finde jene Akteure tendenziell fragwürdig, die das tun. Es ist einfach nicht im Sinne des Endkundens. Der Endkunde sucht den Kontakt zum Unternehmen, so wie ich es damals auf der Buchmesse auch gemacht habe. Wenn dann aber jemand antwortet, der gar nicht im betreffenden Unternehmen verankert ist, ist das aus den verschiedensten Gründen schon einmal ungünstig (u.a. oft mangelnde Sachkenntnis). Noch dazu kommt, dass ein Agenturmensch eben anders kommuniziert – so wie es seiner Art oder der Kultur der Agentur entspricht – sodass kein authentisches Bild vom beauftragenden Unternehmen vermittelt wird.
Das Problem ist, dass viele der Agenturen argumentieren, dass eine solches Outsourcing der Kommunikation sinnvoll sein kann, wenn dem Auftragsunternehmen die Zeit fehlt. Die Zeit kann aber nur dann fehlen, wenn ein Erfolgszusammenhang nicht ausreichend sichtbar ist, denn sonst würden natürlich sofort Leute für diese Tätigkeit eingestellt werden. Es ist also vielmehr die Aufgabe von Beratern und Agenturen, diesen Erfolgszusammenhang herzustellen und erkennbar zu machen. Denn u.a. in den Bereichen Marktforschung, Erfolgsmessung und Konzeption – beim Know-how-Ausbau allgemein – kann eine externe Unterstützung durchaus sinnvoll sein. Im Idealfall setzt eine „Social-Media“-Beratung dort an und macht sich schnellstmöglich selbst überflüssig.
Wenn aber „Social Media“ tatsächlich Persönlichkeitsverstärker für Unternehmen sind, die zutage tretende Persönlichkeit aber weder positiv noch anziehend ist – was sollte dann getan werden? Da gibt es zumindest zwei Ansatzpunkte:
1.) Wenn ein Unternehmenscharakter für die Kunden nicht attraktiv genug ist, bleibt nur, ihn zu ändern. Hier kommt sogleich das Unternehmensberatungs-Buzzword „Change Management“ ins Spiel. Es geht also nicht darum, ein paar Marketingprogramme o.ä. anzupassen, sondern den Kern des Unternehmens zu verändern. Also nicht primär das, was es tut, sondern das, wie es ist. Die Diskussion, wie so etwas gelingen kann, wird zu selten geführt, obwohl ich sie für sehr wichtig halte.
2.) Der zweite Ansatzpunkt betrifft die Frage, wen ich als Unternehmen überhaupt einstelle. Viele Unternehmen schauen noch immer vor allem auf die fachliche Eignung von Bewerbungskandidaten. Doch gerade in Zeiten von „Social Media“ wird die Persönlichkeit der Mitarbeiter – also der „culture fit“ – immer wichtiger, weil sie sehr stark die Persönlichkeit des Unternehmens prägt. Ich vermute, dass wir uns in vielen Bereichen dem Ansatz des Internet-Schuh/Mode-Versands Zappos annähern werden. Zappos stellt Bewerber auch bei allerbester fachlicher Eignung nicht ein, wenn sie nicht zur Unternehmenskultur passen. Zappos bezahlt den Mitarbeitern sogar Geld, wenn sie das Unternehmen verlassen, damit wirklich nur die Überzeugungstäter an Bord bleiben. Zappos betrachtet aber auch das Telefon als Social-Media-Instrument und betreibt sein Call-Center inhouse, um so den Kundenkontakt im eigenen Sinne zu gestalten. Dieses Video gibt einen kurzen Einblick.
Wenn also das Social Web tatsächlich die Zukunft ist, wie Viele es annehmen, dann hängt der Unternehmenserfolg künftig wesentlich von der Kommunikation und Interaktion mit den Kunden ab. Es kommunizieren und interagieren aber auch in Unternehmen immer Menschen. Menschen unterscheiden sich am Ende vor allem durch ihre Persönlichkeit. Das gilt in Zeiten von häufig stark austauschbaren Produkten auch für Unternehmen. Die Persönlichkeit eines Unternehmens ist also einer der wichtigsten USPs, den es im Social Web gibt. Persönlichkeit lässt sich nicht outsourcen.
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Originalbeitrag: leanderwattig.de
Leander Wattig ist als Berater in Frankfurt am Main tätig. Er unterstützt führende Medienunternehmen beim Marketing im Social Web und bloggt über dieses Themenfeld auf leanderwattig.de. Mit der Initiative „Ich mach was mit Büchern“ trägt er zur stärkeren Vernetzung der Buchbranche bei und mit dem Virenschleuder-Preis macht er erfolgreiches Social Media Marketing sichtbar. Daneben engagiert er sich als Vorstandsmitglied der Theodor Fontane Gesellschaft und als Lehrbeauftragter an Hochschulen.
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