Wer die Schriftstellerkarriere Hans-Ulrich Treichels von Beginn an verfolgt habe, vom überragenden Debüt „Der Verlorene“ bis hin zum im Jahr 2008 erschienenen Roman „Anatolin„, der müsse spätestens nach letzterem das ungute Gefühl haben, dass hier ein Autor an einem Punkt angekommen sein könnte, an dem er ausgeschrieben hat, schreibt die „FR“. Was noch den Roman „Menschenflug“ geprägt habe – der Witz, die Leichtigkeit, mit der ernsthafte biografische Friktionen literarisiert wurden – erwies sich in „Anatolin“ nur noch als ein lauer Aufguss, aufgepeppt mit durchschaubaren Verwirrungseffekten. Im neuen Roman „Grunewaldsee“ komme einem zwar auch einiges bekannt vor, das sei jedoch nicht ärgerlich. Vor allem der Anti-Held Paul sei in seiner Disposition eine geradezu klassische Treichel-Figur, die durch die Welt ihrer akademischen Existenz stolpere und alles dafür tue, um bloß nicht erwachsen zu werden. In der Beschreibung seiner Milieus, sei es Pauls Braunschweiger Heimat oder sei es der Kreuzberger Kiez, sei Treichel ein Meister wie eh und je. In ihnen spiegele sich das Deutschland der Bonner Republik in all seinen Facetten, in all seiner Beengtheit und Beschränktheit einerseits, aber auch in all seinem Charme und seiner wenig selbstbewussten Genügsamkeit. Der gesamte Roman stelle ein gezieltes strukturelles Chaos dar, eine höchst amüsante Assoziationsverkettung, die einzig und allein Pauls Bewusstsein folge, angetrieben von verschiedenen Motoren. Bei allem nostalgischen Potenzial sei Treichels wenig spektakulärer, aber unterhaltsamer Roman dabei glücklicherweise nicht von der Idyllenkrankheit befallen.
Hans-Ulrich Treichel: Grunewaldsee. Suhrkamp, 19,80 Euro
fr-online.de
NACHGELESEN – Bücher in der Presse
Belletristik
Airen: Strobo. Verlag sukultur, 17 Euro
tagesspiegel.de
James Ellroy: Blut will fließen. Roman. Ullstein Verlag, 24,90 Euro
tagesspiegel.de
Sebastian Leber: Abgeblitzt. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 9,95 Euro
welt.de
Hanna Lemke: Gesichertes. Stories. Kunstmann Verlag, 17,90 Euro
„SZ“ (S. 14)
Javier Marías: Dein Gesicht morgen. 3. Gift und Schatten und Abschied. Roman. Klett-Cotta, 29,90 Euro
faz.net
Ronald M. Schernikau: Irene Binz. Befragung. Rotbuch Verlag, 16,95 Euro
„SZ“ (S. 14)
Susan Sontag: Wiedergeboren. Tagebücher 1947–1963. Hanser Verlag, 24,90 Euro
fr-online.de
Gerald Stern: Alles brennt. Gedichte. Verlag Matthes & Seitz, 29,90 Euro
„FAZ“ (S. 24)
Martin Walser: Leben und Schreiben. Tagebücher 1974–1978. Rowohlt Verlag, 24,95 Euro
„Spiegel“ (S. 136)
Josh Weil: Herdentiere. Eine amerikanische Novelle. DuMont Verlag, 16,95 Euro
spiegel.de
Sachbuch
Manfred Bogisch: Die LDPD und das Ende der DDR. Karl Dietz Verlag, 19,90 Euro
„FAZ“ (S. 6)
Günter Butzer/Joachim Jacob: Metzler Lexikon literarischer Symbole. J. B. Metzler Verlag, 39,95 Euro
„SZ“ (S. 14)
Victor Dönninghaus: Minderheiten in Bedrängnis. Sowjetische Politik gegenüber Deutschen, Polen und anderen Diaspora-Nationalitäten 1917–1938. Oldenbourg Verlag, 54,80 Euro
„FAZ“ (S. 6)
Hans-Olaf Henkel: Die Abwracker. Heyne Verlag, 19,95 Euro
„FAZ“ (S. 10)
Heinz D. Kurz (Hg.): Klassiker des ökonomischen Denkens, Band 2. Verlag C. H. Beck, 14,95 Euro
„FAZ“ (S. 10)
Bernhard Kuschnik: Der Gesamttatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Herleitungen, Ausprägungen, Entwicklungen. Verlag Duncker & Humblot, 98 Euro
„FAZ“ (S. 6)
Kathrin Passig/Aleks Scholz: Verirren. Eine Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene. Rowohlt Berlin Verlag, 18,95 Euro
„FAZ“ (S. 24)
Ute Scheub: Heldendämmerung. Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist. Pantheon Verlag, 14,95 Euro
„Spiegel“ (S. 134)
Helmut Schmidt/Fritz Stern: Unser Jahrhundert. Ein Gespräch. Verlag C. H. Beck, 21,95 Euro
„SZ“ (S. 16)
Peter Sloterdijk/Sven Voelker (Hg.): Der Welt über die Straße helfen – Designstudien im Anschluss an eine philosophische Überlegung. Fink Verlag, 14,90 Euro
„SZ“ (S. 14)
Reinhard Wilke: Meine Jahre mit Willy Brandt. Die ganz persönlichen Erinnerungen seines engsten Mitarbeiters. Hohenheim Verlag, 19,90 Euro
„FAZ“ (S. 6)
Comic
Robert Crumb: Genesis. Carlsen, 29,90 Euro
nzz.ch
VORAUSGESEHEN – Bücher in Kino und Fernsehen
Fernsehen
Heinrich Mann: Der Untertan. MDR, 22.50 Uhr
Kino
Rajiv Chandrasekaran: Green Zone. Start am 18.03.10
VORAUSGEHÖRT – Bücher im Radio
Achim von Arnim: Die Verkleidungen des französischen Hofmeisters und seines deutschen Zöglings (1/6). MDR Figaro, 15.10 Uhr
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