Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit befindet sich der Buchhandel in einer Phase des Umbruchs, die an strukturellen Grundwerten rüttelt. Vor allem die Hiobsbotschaften, die seit Monaten aus den USA kommen, alarmieren und werfen Fragen auf. Warum hängt sich ein milliardenschwerer Konzern wie Barnes & Noble ohne echte finanzielle Nöte ein Verkaufsschild um? Wieso konnte es so weit kommen, dass die Borders Group als zweitgrößter Buchhändler des Landes und mit ihrem Ruf als innovativer Vordenker heute ums nackte Überleben kämpft?
Die massiven Umwälzungen im Filialbuchhandel jenseits des Atlantiks sind Ausdruck nicht nur eines einzigen, sondern eines mehrfachen Strukturwandels, der die Amerikaner in dieser Geballtheit unvorbereitet getroffen hat. Spätestens seit dem konjunkturellen Zusammenbruch im Herbst 2008 ist im US-Buchhandel Sand im Getriebe. Die Ketten zahlen den Preis für größenwahnsinnige Expansion im Hauruckverfahren und die Konzentration auf Großflächen. Jetzt bauen sie dramatisch zurück und suchen verzweifelt nach Perspektiven und zukunftsfähigen Konzepten.
Faustregel greift nicht immer
Wer will, kann da Parallelen zur Flächenernüchterung im deutschen Buchhandel sehen. Dass der Wettbewerbsdruck auf die Filialisten in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist und insbesondere OnlineHändler Amazon ihnen das Leben schwermacht, ist aber keine neue Entwicklung und trifft hier wie dort zu. Natürlich werden E-Books sowie die ganze Bandbreite digitaler Optionen und mobilen Kommunizierens auch hierzulande breitflächig an Einfluss gewinnen.
Warum also bringt, was sich in Deutschland (noch) als vergleichsweise milde Umbruchsituation darstellt, jenseits des Atlantiks die Filialisten so sehr ins Schlingern, dass der Notarzt gerufen werden muss? Wer die Krise der US-Buchketten auf das Internet und das digitale Geschäft reduziert, macht es sich zu einfach. Die Digitalisierung ist zweifellos das Thema, das alle umtreibt, und der Sektor, der schneller Marktanteile gewinnt, als selbst Optimisten erwartet haben. Doch um den Markt in diesem Umfang umzurühren, reicht auch ein für 2011 prognostizierter E-Book-Umsatz von 1,3 Mrd Dollar nicht aus.
Bewährte Kalkulationen sind ausgesetzt
Draufgesattelt die Umsatzverschiebung vom stationären zum Online-Handel plus der Durchbruch der E-Produkte – und das tradierte Geschäftsmodell des stationären Handels passt nicht mehr. Jahrelang bewährte Kalkulationen sind mit einem Mal obsolet. Aber wenn dann auch noch die Finanzdecke zu dünn gestrickt ist (wie im Falle von Borders, dessen aktueller Liquiditätsengpass nicht der erste ist) oder ein renitenter Großaktionär mit eigenen Plänen für sein Investment den Aufstand plant (wie Ron Burkle bei Barnes & Noble), ist das Desaster perfekt.
Dass deutsche Großbuchhändler scharf im Auge behalten, was in den USA passiert, ist richtig und wichtig, wenn es um Trends und Entwicklungen geht. Da eignet sich der amerikanische Markt mit seinen heftigeren Ausschlägen und geringerem Beharrungsvermögen als Anschauung. Die Botschaft, dass sich die Gewichte zwischen Print- und E-Book, stationärem und Online-Handel schnell und nachhaltig verschieben können, ist in Deutschland angekommen.
aus: buchreport.magazin 2/2011
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