Viele Jahre mussten besonders Sachbücher über einen gewissen Umfang verfügen, um nach Einschätzung der Lektoren und Vertreter im Buchhandel reüssieren zu können. Doch allmählich verabschieden sich die Verlage vom Primat der Opulenz, wie Beispiele aus Deutschland, dem Ausland – und besonders der Online-Welt zeigen. Schneller (auf aktuelle Themen reagieren), kürzer (unter 100 Seiten) und möglichst provokant ist die neue Devise.
Dass in Frankreich kurze Essays mit möglichst provokanten Themen auf dem Buchmarkt gut funktionieren, ist seit dem Erfolg von „Indignez-vous!“ von Stéphane Hessel (bei Indigène erschienen, die verkaufte Auflage nähert sich der 2-Mio-Marke) bekannt. Aktuell schwimmt auch Arnaud Montebourg mit seinem 3-Euro-Buch Buch „Votez pour la démondialisation!“ (Flammarion, 86 Seiten) auf der Hessel-Erfolgswelle. Der frühere Sprecher der französischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal zeigt sich darin globalisierungskritisch – und belegt aktuell Platz 5 im Ranking der meistverkauften Sachbücher.
Hierzulande versucht der Murmann Verlag an das Hesselsche Erfolgsprinzip anzuknüpfen. „Entschuldigung! Ich bin deutsch“, lautet der Titel einer schmalen Streitschrift (48 Seiten) von Detlef Gürtler (Video zum Buch am Ende des Artikels), die vor zehn Tagen erschienen ist und von Murmann als „Buch-Innovation des Jahres“ gefeiert wird:
- Der 5-Euro-Print-Titel ist gleichzeitig als E-Book für 3,99 Euro in sieben Sprachen erschienen, neben der deutschen Version in Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Niederländisch und Türkisch.
- Folgende Shops bieten den Titel an: e-buchkatalog.de, amazon.de, libri.de, buecher.de, iBookstore, kobobooks.com.
- Von der Startauflage (100.000 Stück) hat Murmann jeweils rund 30.000 Exemplare an Buchhandel und Pressegrosse geliefert. Auch im Direktvertrieb wird das Buch angeboten.
- Bei Amazon war das Buch einen Tag lang kostenlos als Download erhältlich.
Trotz des erst kurzen Anlaufs zeigt sich Murmann-Programmdirektor Peter Felixberger gegenüber buchreport.de hochzufrieden mit dem Test: Im In- und Ausland sei über das Konzept berichtet worden (sowohl von klassischen Medien als auch über die Social-Media-Kanäle); die Nachfrage sei im Inland groß – in der kommenden Woche werde die ARD-Talkshow „Hart aber fair“ Buch und Thema aufgreifen, Autor Gürtler werde im Studio sein. Fazit für den Verlag: Im Frühjahrs-Programm 2012 soll der Test ausgeweitet werden, möglicherweise in Form eines eigenen Programms für solche Mini-Bücher.
„Wir wollen mit dem Buch auch eine Debatte anstoßen über die Zukunft von von kleinen und mittleren Verlagen, die oft von Krisen geschüttelt werden“, so Felixberger. „Wir müssen dringend neue Publikationsformate erfinden.“
Murmann knüpft mit der „ersten ,Single’ in Deutschland“ (so Verleger Sven Murmann gegenüber dem „Handelsblatt“) nicht nur an französische Beispiele, sondern insbesondere Innovationen aus dem digitalen Bereich an:
- 2005 startete in den USA „Amazon Shorts“, ein Programm, in dem Bestsellerautoren Kurzgeschichten veröffentlichen sollten.
- Im Juni 2010 wurden die „Shorts“ von Amazon ad acta gelegt, um die „Singles“ in den Fokus zu rücken: Seit Oktober 2010 veröffentlicht der Onliner in einem eigenen Programm gezielt Bücher mit einem Umfang zwischen 5000 und 30.000 Wörtern (kosten zwischen 0,99 und 4,99 Dollar).
- Bis dato wurden laut „Publisher’s Weekly“ 75 kürzere E-Book-Titel veröffentlicht, die teilweise von Autoren selbst, teilweise von Verlagen eingereicht wurden; das Angebot wachse pro Woche um etwa drei Titel an.
- Sechs der 75 „Singles“ konnten sich bis dato in den Top-20-Kindle-Bestsellern platzieren.
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