Die Frankfurter Buchmesse lädt Games- und Buchverleger zum Dialog ein. Im Interview beschreibt Jörg Müller-Lietzkow, Professor für Medienorganisation und Mediensysteme an der Universität Paderborn und selbst passionierter Spieler, die Schnittstellen zwischen den Branchen, erläutert das Potenzial von „Serious Games“ im Buchhandel und skizziert, wie in naher Zukunft gespielt wird.
Die Dekade der „Gamifizierung“ sei angebrochen, heißt es. Sind Games das Unterhaltungs-Medium der Zukunft, im Vergleich zu anderen Medien wie Bücher/Printmedien oder Fernsehen?
Games sind ebenso, wie Bücher, Musik, Film oder auch Fernsehen ein Unterhaltungsmedium. Im Gegensatz zu den passiv rezipierten Medien ist allerdings die Parallelnutzung deutlich eingeschränkt. Games sind etwas einfach formuliert schon heute und nicht erst in der Zukunft das interaktive Unterhaltungsleitmedium. Dies manifestiert sich dabei nicht nur an den 60 Mrd. US-Dollar Jahresumsatz allein mit Software sondern auch an den stetig, seit vielen Jahren steigenden Nutzerzahlen, die sich letztendlich aus der Tatsache ergeben, dass die Gamer der ersten Generationen immer noch spielen und viele jüngere hinzu gekommen sind. Das Cryptic Label „Gamifizierung“ passt an dieser Stelle allerdings nicht. Gamification, wie der US-Trend heißt, beschreibt eben nicht das Spielen, sondern die Integration von Spielelementen in andere Zweckbeziehungen – z. B. Anreize Rabattsysteme zu nutzen. Gamification ist prinzipiell aus praktischer Sicht dem Marketing zuzuordnen, wenn auch eigentlich darüber hinausgehend die Forschung den Trend zur zunehmenden Durchdringung zahlreicher Lebensbereiche damit beschreiben könnte.
Buch und Games und Online-Communities verschwimmen, wie „Pottermore“ zeigt. Ist das ein Weg für die Zukunft?
Lineare und non-lineare Medien werden wie bei vielen Medienprodukten zunächst über „Marken“ verbunden. „Harry Potter“ dürfte neben dem „Herrn der Ringe“ und „Star Wars“ eine der TOP-3-Medienmarken überhaupt sein. Man könnte sogar Fische mit dem Aufdruck Harry Potter als magische Wechselfische verkaufen, und diese würden wahrscheinlich noch ein Erfolg, wenn J.K. Rowling dem zustimmen würde. Viel schwieriger, aber eben auch, positiver formuliert, herausfordernder ist die Nutzung der kulturellen Allmende im Kontext von Spielen. Die unendliche Vielfalt und der Reichtum des Buchmarktes in Einklang zu bringen mit interaktiven, partiell verspielten Formen ist einerseits sehr reizvoll, andererseits aber auch durchaus zu hinterfragen. Gerade digitale Spiele haben sich ja neben anderen Kulturmedien mit eigenen Geschichten und Kulturtechniken positioniert und rechtfertigen dadurch eine individuelle Betrachtungsweise. Allein schon die Vielzahl von Romanen, die aus Spielszenarien (z. B. World of Warcraft) entstanden sind, die eine Bereicherung der Fantasyliteratur sein können – wobei dies sicherlich nicht so viele sind –, zeigt, dass es sich hier nicht um eine Einbahnstraße handeln muss, es wohl aber prinzipiell einfacher erscheint, ein non-lineares Erzählmedium in die tradierte Form der Erzählung zu überführen als umgekehrt. Einen Königsweg für die Zukunft gibt es dabei sicherlich nicht, aber es wird zu Verschmelzungen kommen, die letzten Endes auch unter dem Stichwort „Augmented Reality“ behandelt werden können – ein Beispiel: Ein QR-Code in einem Buch ermöglicht dem Leser, zusätzliche interaktive Inhalte am Bildschirm zu aktivieren.
Wie können Games-Publisher von Verlagen profitieren?
Von Verlagen profitieren die Publisher wenig. Wenn profitieren die Publisher von Marken bzw. Franchises, und diese sind ja nicht selten an die Autoren gebunden. Es hängt sicherlich in Zukunft sehr stark davon ab, welche Rechte wo liegen. Und man sollte darüber hinaus auch nicht vergessen, dass neben der literarischen nicht selten auch eine filmische Vorlage existiert, die aus Sicht der Publisher häufig attraktiver und hochwertiger bewertet wird, z. B. die „Herr der Ringe“-Lizenz an den Filmrechten/Darstellung, die Electronic Arts lange Zeit inne hatte. Umgekehrt profitieren die Verlage durchaus von den neuen durch Games geschaffenen Marken. Die Verlage werden sich überlegen müssen, ob und wie sie ihrer Klientel eine integrierte Alternative schmackhaft machen können. Um es noch ein wenig drastischer zu formulieren: Die Jungs spielen deutlich lieber, als dass sie lesen. Die Herausforderung sehe ich daher ganz klar auf der Seite der Verlage, was es für Gamespublisher leicht macht. Man sollte aber nicht vergessen: Die neuen Hybride – Browser- und Socialgamesanbieter – entkoppeln sich noch weit mehr von den Notwendigkeiten literarischer Vorlagen. Diese Entwicklung ist für die traditionellen Anbieter digitaler Spiele sicherlich die weit größere Herausforderung.
Welches Potenzial haben „Serious Games“ im Buchhandel?
Der Buchhandel ist sicherlich immer noch ein Ort für eine bestimmte Zielklientel, die auch bereit sein würde, für digitale Serious Games zu zahlen. Allerdings kommen wir hier sehr schnell an den Punkt zu fragen: Was sind eigentlich Serious Games – die leider allzu leicht mit Lernspielen verwechselt werden –, und wollen diejenigen, die im Buchhandel kaufen, selber spielen, oder handelt es sich nicht vielmehr um die Käufer, die diese Spiele dann weitergeben. Letzteres vermute ich aufgrund vieler Erfahrungswerte. Die Folge ist nicht selten, dass Eltern wohlmeinend Lernspiele käuflich erwerben, verschenken und sich dann meistens wundern, dass sie keinerlei Erfolg bei der beschenkten Zielgruppe haben. Der Buchhandel wird daher lernen müssen, mit Serious Games anders umzugehen. Hierzu ist die Selektion sowie die Möglichkeit des Ausprobierens – ähnlich dem Lesen einiger Seiten im Laden – notwendig. Selektion meint, dass man gezielt für die Klientel Spiele benötigt, die diese selber nutzen wollen, und Ausprobieren meint auch, dass das Fachpersonal den potenziellen Kunden helfen muss, die Nutzung und den Mehrwert zu verstehen. Dies ist sicherlich ein weiter, aber durchaus lohnenswerter Weg. Der Markt ist da, das Personal heute leider noch nicht, und insofern wird der Buchhandel vorher in Schulungen und Eigenerfahrungen investieren müssen, will er nachhaltig von diesem Markt profitieren.
Wie wird in drei bis fünf Jahren gespielt werden?
Diese Frage zu beantworten, entspricht dem 100 Mio.-Euro-Scheck, wenn ich dies präzise sagen könnte. Klar ist, dass der Markt weiter ausdifferenziert und immer mehr und immer unterschiedlichere Angebote existieren werden. Der Mainstream bei den Core-Gamern (Intensivspielern) wird dabei ebenso bestehen, wie es für die zahlreichen Standard und Casual Gamer einen sehr breiten Free-to-Play Markt gibt – also viele Spiele, in denen lediglich Verbrauchs- oder Verschönerungsgüter durch die Nutzer optional käuflich erworben werden, die grundsätzliche Nutzung aber nichts kostet. Dieser erlaubt es, über das Internet nahezu alle Spielbedürfnisse zu befriedigen. Sicher ist auch, dass die Trendwende in Richtung einer Kommunikationsindustrie deutlich voranschreiten wird. Games sind eben nicht nur digitale Spiele sondern entwickeln sich durch Interkonnektion zunehmend zu Kommunikationsplattformen unterschiedlicher sozialer Gemeinschaften. Ich würde aber eher die Frage stellen: Was wird nicht mehr gespielt? Diese Antwort ist durchaus auch nicht leichter, wohl aber erklärbarer. Ich denke, dass aufgrund des zunehmenden Reifegrades der Spieler, die Herausforderungen an den Markt deutlich steigen. Insofern wird es insbesondere für diejenigen schwer werden, die einfach und schlecht produzierte Produkte positionieren wollen. Geschäftsmodellwandel (Free-to-Play) sowie Plattformveränderungen (Mobile Gaming mit Touch-Geräten jeder Art, starke Onlineorientierung) fordern von den kreativen Produzenten neue und bessere Angebote um sich gegen die Mitbewerber abzugrenzen. Auch ist eine Marktkonsolidierung nicht ganz auszuschließen, denn es besteht jetzt schon ein deutliches Überangebot an Me-too-Produkten (insbesondere im Social Gaming Markt). Und tatsächlich – auch wenn es sich niemand vorstellen kann – könnte auch die Frage auftreten, ob nicht (neben den alten) ein neues Unterhaltungsmedium in seiner Attraktivität die Spiele überholt und somit an deren Zeitkuchen nagt. Ich allerdings möchte zu Schluss durchaus betonen, dass auch das älteste Kulturmedium Buch gut für die Zukunft gerüstet ist, denn die Phantasie im Kopf kann heute noch keine Spielmechanik ersetzen.
Die Fragen stellte Daniel Lenz
Zur Person: Jörg Müller-Lietzkow
ist seit 2008 Professor für Medienorganisation und Mediensysteme an der Universität Paderborn. Zuvor studierte, lehrte und arbeitete er an den Universitäten Wuppertal, Bamberg und Jena. Er hat sich insbesondere mit Organisationstheorie, Gründungsmanagement, Softwareökonomie, Medienmanagement sowie mit digitalen Spielen aus einer ökonomischen Perspektive beschäftigt. Daneben hat er vor einigen Jahren ein Unternehmen mit Partnern aufgebaut und geführt. Seine Forschung konzentriert sich heute auf (digitale) Unterhaltungsmedien, strategisches Medienmanagement sowie aktuelle Fragen der Medienregulierung. Daneben ist Müller-Lietzkow als strategischer Berater für Politik und Medien tätig und hat zudem zahllose Fachaufsätze und Bücher veröffentlicht. Aktuell hat er eine Weltmarktanalyse zur Gamesindustrie erarbeitet, welche 2011 auch als Buch erscheinen wird.
Müller-Lietzkows Spielerkarriere begann bereits in frühen Kinderjahren (Nintendo Dual Screen, Donkey Kong Junior II 1979). Seinen ersten Computer (c64) bekam er schließlich im Mai 1984. In den 80er Jahren hat er dann nicht einfach nur gespielt, sondern auch kleinere Spiele selbst entwickelt. Während seiner Schulzeit und des Studiums waren Videospiele eines seiner vielen Hobbys. Seit dem Aufkommen von 3D-Grafikkarten interessiert sich Müller-Lietzkow insbesondere für Shooter, von denen er, nach eigenen Aussagen, rund 50% aller bekannten Blockbuster selbst gespielt hat. Darüber hinaus, durch sein Kind und die Juryvertretung beim deutschen Entwicklerpreis, kennt er fast alle deutschen Kinderspiele der letzten Jahre. Alle Theorie bedarf guter Praxis. Zu diesem Zweck entwickelt er Spiele mit Studierendenteams, wie den preisgekrönten „Edushooter“, „Shah Mat“, „Politworld“ oder ganz frisch „UrbanLife2060“.
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