Älteren Menschen fällt das Lesen auf einem Tablet leichter als auf gedruckten Büchern, haben Forscher Universität Mainz herausgefunden. Was Verlage aus den Studienergebnissen lernen können, erläutert Dominique Pleimling (Foto) im Interview mit buchreport.
Foto: © Alex Becker
Sollte sich jeder über 60-Jährige ein Tablet zum Lesen anschaffen?
Wir wollen mit unserer Studie keine bestimmten Produkte bewerben, sondern untersuchen, ob sich das Lesen auf elektronischen Geräten vom Lesen auf Papier unterscheidet.
Immer wieder taucht ja die Behauptung auf, das digitale Lesen sei in irgendeiner Weise schlechter oder oberflächlicher. Diese Vorurteile haben wir widerlegt und gleichzeitig festgestellt, dass ältere Leser sogar vom Lesen auf einem Tablet profitieren können.
Inwiefern?
Der höhere Kontrast führt zum Beispiel zu einem schnelleren Lesen. Die Schriftgröße ist variabel einstellbar und einige Geräte bieten noch zusätzliche Funktionen, um den Text optimal an die eigenen Vorlieben anzupassen.
Dennoch greifen die Älteren seltener zum Tablet…
Ja, dies wurde auch bei unserer Studie deutlich, allerdings überwog bei den jüngeren Teilnehmern ebenfalls die Skepsis. Es gibt einen krassen Unterschied zwischen den Messergebnissen einerseits und der subjektiven Einschätzung der jungen und älteren Probanden andererseits: Bei den jungen Menschen zeigten sich bei den drei Lesemedien Buch, E-Ink-Reader und Tablet kaum Unterschiede und bei den älteren sogar Vorteile auf dem Tablet.
Die große Mehrheit der Probanden gab allerdings an, am liebsten auf Papier gelesen zu haben und schätzte auch die Lesbarkeit des Textes bei diesem Medium am höchsten ein. Hier kommen kulturelle Prägungen ins Spiel, die die Akzeptanz von Readern und E-Books hemmen.
Dieses Phänomen lässt sich bei Innovationen immer wieder beobachten; so wurde beispielsweise auch die Einführung des Taschenbuchs in den 1950er Jahren von vielen kritisch beäugt: Das Bild des buchzerreißenden Amerikaners tauchte hier auf, die Aura des Buchs ging angeblich verloren – kurz: ein Taschenbuch war kein „richtiges“ Buch. Das kommt einem doch aus aktuellen E-Book-Debatten recht bekannt vor.
Hinzu kommen technische Nachteile von Tablets und E-Readern: Die Bedienung muss erlernt werden und dann braucht man ja auch noch Bücher auf dem Gerät. Hier wirken ein umständlicher Kopierschutz (DRM) und geschlossene Systeme (z.B. beim Kindle von Amazon) auf viele Konsumenten abschreckend.
Strengt das Lesen auf Tablets durch die Hintergrundbeleuchtung nicht die Augen an?
Das war nicht Teil unserer Untersuchung, weil es das Studiendesign gesprengt hätte. Wir haben das Leseverhalten der Probanden mithilfe von EEG und Eye Tracking untersucht und Texte auf drei verschiedenen Medien lesen lassen – dieses Verfahren dauert schon gute drei Stunden. Um die Ermüdung der Augen zu untersuchen, hätten die Probanden also noch deutlich länger lesen müssen – da wären wir in eine Situation gekommen, die wahrscheinlich die Ethikkommission auf den Plan gerufen hätte.
Aber Spaß beiseite: Bisherige Studien deuten darauf hin, dass beim Lesen auf hintergrundbeleuchteten Displays keine stärkere Augenermüdung auftritt als bei Papier oder E-Ink. Viel störender dürfte für die meisten Leser vor allem das starke Reflektieren von Tablet-Displays sein: Bei direkter Sonneneinstrahlung sind sie eher Spiegel als E-Reader.
Bieten E-Reader mit integriertem Leselicht – etwa der Kobo Glo oder der Kindle Paperwhite – ähnliche Vorteile?
Zum Zeitpunkt unserer Erhebung waren diese Geräte noch nicht auf dem Markt. Ich nehme allerdings stark an, dass sie den Unterschied zu den Tablets nivellieren, da sie einen wesentlich höheren Kontrast bieten als die E-Ink-Geräte der Vergangenheit. Für Vielleser, die auf die übrigen Funktionen von Tablets verzichten können – oder diese gerade beim Lesen sogar als störend empfinden, stellen E-Reader mit Leselicht eine optimale Lösung dar.
Wie sollten sich Verlage auf die Erkenntnisse der Studie einstellen?
Die Verlage in Deutschland sind meiner Meinung nach auf einem recht guten Weg. Eine überzeugende Strategie ist die Kombination von Büchern mit E-Books – beim Kauf eines Buches erhalte ich die digitale Ausgabe kostenlos dazu. Damit kann man vor allem Leser erreichen, die das „gute“ Buch besitzen wollen, ohne auf die Vorteile von E-Books verzichten zu müssen. Um E-Books einer breiteren Menge von Lesern zugänglich zu machen, sollten Verlage allerdings DRM in die Wüste schicken.
Auf der Herstellerseite überzeugen vor allem die Geräte mit den besten Konfigurationsmöglichkeiten, etwa in der Schrift oder Textausrichtung. Hier sehe ich etwa beim Kobo Glo Vorteile gegenüber anderen E-Readern. Durch das integrierte Leselicht bei einigen aktuellen E-Readern sind die Probleme beim Kontrast zudem behoben. Bei den Tablets wird es um den Preis, das Gewicht und die Akkulaufzeit gehen – vor allem wenn sie hauptsächlich zum Lesen eingesetzt werden sollen.
Die Fragen stellte Lucy Mindnich.
Dominique Pleimling
ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zuvor war er Pressereferent und Social-Media-Redakteur im Eichborn Verlag.
Gibt es Ihre Studie auch auf Deutsch, denn nur dann kann ich diese unseren LeserInnen auf unseres Internetauftritts (Magazin66) empfehlen, bzw. verlinken?
Lieber Herr Büschel, die Studie gibt es nur auf Englisch, aber die zentralen Ergebnisse haben wir hier zusammengefasst: http://www.uni-mainz.de/presse…
Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter?
Eine Stichprobe unter Laborbedingungen (Personen mit Gleitsichtbrille wurden aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht zugelassen) mit nur 36 jüngeren und 21 älteren Lesern als „Studie“ zu bezeichnen, würden manche wissenschaftlich arbeitenden Personen als „gewagt“ bezeichnen.
Siehe Studie:
„Thirty-six younger adults (18 females), mainly students at the
University of Mainz (mean age: 25.7 years, range: 21–34), and twenty-one
older adults, mostly retired senior citizens, (13 females, mean age:
66.8 years, range: 60–77) participated in the experiment.“
und
„Note that a pilot study revealed that our experimental setup was incompatible with progressive bi- or trifocal glasses, because parts of the texts would not fall within the focal area used for reading. We therefore opted to not collect data from older participants who only had progressive multifocal glasses.“
Da multifokale Brillen bei älteren Personen keine Ausnahme sind, verfälscht allein dieses Vorgehen das Ergebnis meiner Ansicht nach deutlich.
Danke für das Feedback. Die Stichprobengröße ist in den Neurowissenschaften üblich und hängt u.a. mit dem aufwändigen Setting zusammen. Das Argument mit den Gleitsichtbrillen verstehe ich allerdings nicht ganz … warum genau „verfälscht“ das die Studie?
Und anders als unter Laborbedingungen hätten wir das Leseverhalten kaum untersuchen können … ich denke, die wenigsten wären bereit, mit einem Eye Tracking-Gerät und einer EEG-Haube auf dem Kopf gemütlich im heimischen Sessel zu schmökern.
Ich halte zum einen die Personenzahl nicht ausreichend für eine repräsentative Aussage. Zum anderen sind Gleitsichtbrillen bei Personen ab ca. 40 Jahren keine Seltenheit. Personen mit solchen Sehhilfen auszuklammern, weil das Testverfahren nicht dafür geeignet ist, führt zu einem Ergebnis, das mit der Realität nicht vergleichbar ist. Daraus dann „Ältere Menschen können auf Tablets besser lesen“ abzuleiten, halte ich für äußerst gewagt, wenn nicht vernachlässigbare Teile der älteren Bevölkerung gar nicht in die Ergebnisse eingegangen sind.
Für die bessere Lesbarkeit sorgt der höhere Kontrast bei Tablets – das ist doch auch bei Gleitsichtbrillenträgern gegeben, oder?
Die Frage beinhaltet eine Annahme, keine experimentell bestätigten Ergebnisse, oder? 😉
Wir haben die Gleitsichtbrillenträger nur ausgeschlossen, weil das Eye Tracking aufgrund der Gläser nicht funktioniert hat … eben deshalb gibt es keine experimentell bestätigten Ergebnisse dazu. Logisch, oder? 😉
Übrigens ist auch die Annahme, das Gleitsichtbrillenträger anders abgeschnitten hätten – nun ja – eine Annahme. Und keine besonders überzeugende.
Wir könnten uns jetzt sicherlich lange über Annahmen streiten, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Meine Meinung bleibt aber, dass die Untersuchung aufgrund der geringen Personenzahl und des Auslassens der Gleitsichtbrillenträger nicht repräsentativ ist und deswegen die Schlussfolgerungen zumindest fragwürdig bleiben.
Als kleinen Hinweis erlaube ich mir noch diesen Link auf eine aktuelle Studie amerikanischer Augenärzte, deren Ergebnisse gut zu unserer Untersuchung passen: http://www.aao.org/newsroom/re…
Eine Annahme, die auf eine Annahme antwortet. Hier kommen wir also leider nicht weiter, lieber Herr PhantaNews.