Mit dem Verlag André Thiele kehrt (nach Christopher Schroer) ein weiterer kleiner Buchverlag Amazon den Rücken. Der Verleger führt jedoch nicht nur die Arbeits-Bedingungen der Mitarbeiter ins Feld, sondern auch die „katastrophal schlechten Konditionen“ für kleine Verlage.
Laut Thiele ergibt sich ein Rabatt zu Amazons Gunsten von über 65%. Er habe das Unternehmen seit 2008 „immer wieder auf diesen Wahnsinn“ aufmerksam gemacht und ein Geschäftsmodell moniert, das darauf beruhe, „dass am Ende eine der beiden Partner Verluste macht“. Dieses Geschäftsmodell, das weder den Lieferanten noch den eigenen Mitarbeitern die Luft zum Atmen lasse, habe keine Zukunft.
Auf Facebook lobt die Autorin Carla Berling den Schritt ihres Verlegers. Thiele springe nicht auf einen fahrenden Zug auf. In Ihren VAT-Verträgen – sie sei seit 2012 bei VAT – sei eine Klausel enthalten, nach der sie ihre Bücher nicht zu Amazon verlinken dürfe. „Ich denke, dass nur Verlage, die vernünftig wirtschaften, ihre Autoren und alle anderen Verlagsmitarbeiter vernünftig bezahlen. Wenn ein Gigant wie Amazon kleinen Verlagen Bedingungen diktiert, die sie nicht erfüllen wollen, empfinde ich Thieles Entscheidung als verantwortungsbewusst seinen Mitarbeitern gegenüber.“
Hier der Kündigungsbrief von Thiele im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Bezos,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe mir ein paar Tage Zeit gelassen, um meinen Entschluss nach dem Bekanntwerden dessen, was mittlerweile wohl tatsächlich »der« Amazon-Skandal geworden ist, gründlich zu überdenken.
Mein Verlag ist kein Verlag für »Nein-Sager«. Billige Werbeeffekte, Boykotte, triumphierende Wichtigtuerei, all das liegt mir fern.
Trotzdem muss ich nun »Nein« sagen: Nein zu unserer weiteren Zusammenarbeit.
Ich kündige hiermit den zwischen Ihnen und mir 2008 geschlossenen Kooperationsvertrag für den VAT Verlag André Thiele zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Dabei will ich nicht so tun, als geschähe dies allein aufgrund der allerdings erheblichen Empörung über die unglaublichen Bedingungen, mit denen Sie dem bekannten ARD-Bericht zufolge ihre Mitarbeiter behandeln.
Seit 2008 habe ich die katastrophal schlechten Konditionen, die Sie mir als Kleinverleger gewährten, »geschluckt«. Der Kollege Christopher Schroer aus Berlin hat diese in seiner Pressemitteilung vom 15. Februar zusammengefasst, ich ergänze um ein paar Punkte:
50 % Rabatt, zzgl. 5 % Lagermiete, zzgl. Alleintragung aller Portokosten, zzgl. Jahresmitgliedsgebühr, zzgl. nahezu jedesmal für mich nicht nachvollziehbare zusätzliche Abzüge bei den verbleibenden Summen.
De facto dürfte sich allein hieraus ein »Rabatt« zu Ihren Gunsten von über 65 % ergeben. Von den verbleibenden 35 % – wenn es denn bei denen bliebe! – soll ich den Druck und die Autoren bezahlen? Träumen Sie?
Das alles vor dem Hintergrund, dass wir selbst die monatliche Rechnung mühsam ausstellen und zusenden müssen. Schon geringste Fehler in dieser wurden von Ihrer Rechnungsabteilung als Vorwand benutzt, wiederum erst etliche Wochen später auszuzahlen, obwohl Sie sowieso schon sehr spät auszahlen.
Wir müssen alle unsere Produkte in Ihrem Warenwirtschaftssystem selbst einpflegen, Fehler werden nur mit extremer Zeitverzögerung korrigiert und dann meist wiederum falsch. Sie senden Bücher ohne Lieferschein und Begründung zurück – und bestellen oftmals am selben Tag dieselben Bücher erneut, was vollkommen unnötigen Portoaufwand bedeutet.
Ihre Mitarbeiter am Telefon wechseln ständig, sind oft des Deutschen kaum mächtig, reden in Standardformeln und lösen die Probleme, die üblicherweise Sie verursacht haben, in der Mehrzahl der Fälle nicht.
Seit 2008 habe ich Sie immer wieder auf diesen Wahnsinn aufmerksam gemacht und Ihnen gesagt, dass ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass am Ende eine der beiden Partner Verluste macht, nicht funktionieren kann. Es hat sich nichts geändert. – So viel zu Ihrer Anpassungsfähigkeit.
Mag sein, dass Sie großen und etablierten Verlagen andere Konditionen bieten, man hört da so einiges. Und von denen hört man wiederum auch jetzt, nach dem Skandal, nichts Negatives über Amazon, was darauf schließen lässt, dass sie fröhlich und zufrieden sind. Das freut mich!
Wir jedenfalls werden nie ein solcher großer und etablierter Verlag, wenn wir uns auf Konditionen einlassen, wie wir sie uns von Ihnen haben aufzwingen lassen.
Nun ist aber der Mensch in nahezu beliebigem Umfang zur Sebsttäuschung fähig. Und so habe ich mich immer wieder selbst mit verschiedenen Argumenten überzeugt, dass es doch wichtig sei, mit einem zukunftsträchtigen Unternehmen wie dem Ihren zusammen zu arbeiten.
Aber der Punkt ist ja – und das ist es, was der ARD-Bericht zutage gebracht hat –, dass Sie keine Zukunft haben.
Ein Geschäftsmodell im Vertrieb, das weder den Lieferanten noch den eigenen Mitarbeitern die Luft zum Atmen lässt, hat keine Zukunft.
Wer soll denn meine Bücher kaufen? Ihre misshandelten Leiharbeiter etwa? Da lachen ja die Hühner. Und die Nazi-Schläger, die Sie laut ARD eingesetzt haben, lesen, fürchte ich, meine Bücher auch nicht.
Eines aber muss ich Ihnen lassen: Ihr System funktioniert prima! Zwanglos herumstöbern, ein Buch aussuchen, bestellen, es in einem oder zwei Tagen portofrei in Händen halten – großartig!
Leider sind Sie damit nicht allein auf weiter Flur. Wir haben dieses System in Deutschland schon seit langem, bis hinein ins kleinste Dorf. Es nennt sich: der Buchhandel.
Dort arbeiten kompetente Menschen mit Herz und Verstand daran, unsere anspruchsvollen Bücher einem interessierten Publikum nahe zu bringen. Hier begegnen wir als Kleinverlag, wenn wir denn gut genug sind, auch großen und etablierten Verlagen auf Augenhöhe.
Auch im Buchhandel werden keine riesigen Gehälter gezahlt, aber doch welche, von denen man leben kann. Und keiner muss sich vor Nazi-Schlägern fürchten, weil er nicht spurt.
Und im Buchhandel bekommt man noch etwas, was man bei Ihnen ganz sicher nicht bekommt: kompetente und individuelle Beratung. Diese mögen Ihre Algorithmen nachäffen, so viel sie wollen, sie können sie nicht ersetzen.
Ich und meine Mitarbeiter werden die Zeit und die Mühe, die wir bisher mit der Pflege Ihres schrecklichen Warenwirtschaftssystems verschwendet haben, dafür einsetzen, unser Angebot für den Buchhandel attraktiver zu machen – und für unsere Leser.
Bitte bestätigen Sie mir den Erhalt der Kündigung schriftlich.
Mit freundlichen Grüßen,
André Thiele
VAT Verlag André Thiele
www.vat-mainz.de
Diese
Kündigung ist, wenn man die Hintergründe, so wie sie hier geschildert
werden, längst überfällig. Gut, dass sie öffentlich gemacht wurden,
damit die vielen ahnungslosen Buchhandels-Kunden von Amazon das „System
Amazon“ zu verstehen lernen. Dass es einen Buchhandel vor Ort, leider
nicht (mehr) flächendeckend in Deutschland gibt, ist vielen nicht
bekannt. Es wird Zeit, diesen kennen zu lernen und zu erobern.
Amazon hat mit den e-readern der Kindle Reihe hervorragende Produkte auf
den Markt gebracht und somit die Verlage und den Buchhandel weltweit
unter Druck gesetzt. Das ist gut so! Allerdings ist es sehr engstirnig,
sich mittlerweile gängigen Standardformaten wie epub zu verweigern und
das eigene Süppchen, in der Hoffnung, wir werden den Rest schon bald
aushungern, weiterzukochen.
Vielleicht bewirken die in den letzten
Wochen bekannt gewordenen Vorfälle ein Umdenken und die Bereitschaft zur
Kooperation bei den Lenkern dieses Weltimperiums.
Gruß aus Mainz!
Wenn dieser Brief an „Amazon“ echt ist und auch tatsächlich dorthin verschickt wurde, dann gehört dem Schreiber meine Hochachtung. Er benennt Dinge beim Namen und verliert sich nicht in Floskeln! Es bleibt natürlich abzuwarten, ob sich dem weitere „Geschäftspartner“ auch aus anderen Branchen anschliessen. Auf eine Reaktion von Seitens „Amazon“ bin ich auch gespannt, wenn denn eine erfogen sollte 😉
….chapeau !!!!!!!!
„…Ihre Mitarbeiter am Telefon wechseln ständig, sind oft des Deutschen kaum mächtig, reden in Standardformeln und lösen die Probleme, die üblicherweise Sie verursacht haben, in der Mehrzahl der Fälle nicht…“
Man muss mittlerweile bei den großen Dienstleistern aus Übersee glücklich sein, wenn alles reibungslos verläuft. Wenn nicht, Gute Nach!