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Ohne Fanfiction verlieren wir Generationen von Lesern

Anna von Veh (Foto), Chefin beim neuseeländischen E-Book-Dienstleister Say Books, ist Spezialistin für die Fanfiction-Welt. Den Vorstoß von Amazon wertet sie als kleinen Schritt in die richtige Richtung. Die Möglichkeiten der Fanfiction-Community aber würden mit „Kindle Worlds“ längst nicht ausgeschöpft. Jetzt seien traditionelle Verleger gefragt. 
Amazon will es jetzt mit Fanfiction versuchen. Was denken Sie: Wird Kindle Worlds ein Erfolg?
Ich habe gemischte Gefühle gegenüber Kindle Worlds. Auf der einen Seite war ich begeistert, dass ein „Verleger“ endlich den Wert von Fanfiction erkannt hat. 
Betrachtet man die Sache aber ein wenig genauer, so wird klar, dass es  bei Kindle Worlds weniger um Fan-Fiction als um sorgfältig geplante Tie-Ins geht. Alle Rechte gehören Amazon und den Lizenzgebern. Vermutlich glaubt Amazon, dass Fanfiction-Autoren zurzeit keinerlei Rechte haben und sich deshalb über jede Form von Honorierung freuen – selbst wenn sie alle Rechte abgeben müssen. Jene Autoren, die in der Fan-Community tief verwurzelt sind, dürfte das Angebot kaum ansprechen. Denn die Fankultur basiert auf dem Gedanken, dass Fanproduktionen ein Geschenk für die Leser sind – keine kommerziellen Projekte.
Amazon hat meiner Meinung nach eine große Möglichkeit verpasst: Mit Kindle Worlds geht das Unternehmen zwar einen kleinen Schritt in eine neue Richtung, beschränkt sich aber auf die Veröffentlichungswege des klassischen Buches, statt das interessanteste Markmal von Fanfiction zu übernehmen: Die Online-Welt.

Das liegt vermutlich daran, dass a) die Lizenzinhaber eigene Online-Fan-Seiten haben und keine Verwirrung im eigenen Lager stiften wollen; dass es b) sehr schwierig ist, die verschiedenen Lizenzgebiete in der Online-Welt voneinander zu trennen und dass es c) genauso schwierig ist, die Inhalte online so zu überwachen, wie es die Lizenzinhaber vielleicht gerne hätten. Also beschränkt Kindle Worlds das Angebot auf den Kindle und zementiert damit den Markennamen. Vielleicht schenkt ihnen die kürzlich übernommene Social-Reading-Plattform Goodreads die Popularität, die sie dafür benötigen. 

Kann es trotzdem funktionieren?

Das ist schwer abzusehen. Sicherlich werden einige Autoren für Kindle Worlds schreiben, schließlich ist es eine schöne Möglichkeit, Geld zu verdienen – ich gehe aber nicht davon aus, dass viele klassische Fanfiction-Autoren bei Kindle Worlds vertreten sein werden. Spielt das für Amazon oder die Leser eine Rolle? Nicht wirklich. 
Die andere Frage: Wer kauft diese Bücher? Es besteht kein Zweifel daran, dass Amazon es vor allem auf die vielen Serienfans im Teenageralter abgesehen hat, aber auch auf andere Fans. Ich bin nicht davon überzeugt, dass sie die Bücher wirklich kaufen werden. Wer Fanfiction bereits auf den kostenlosen Seiten liest, wird das auch weiterhin tun – besonders, wenn sich die redaktionellen Eingriffe von Kindle Worlds in (sehr) engen Grenzen halten. Vielleicht werden andere Leser gern dafür bezahlen, es gibt schließlich bereits Millionen Leser, die andere günstige E-Books kaufen.
Die Geschichte hat gezeigt, dass man nicht gegen Amazon setzen sollte. Man sollte aber auch nicht gegen die Macht missverstandener Fans setzen – das hat uns der Fall Fanlib gelehrt.
Die meisten Verleger stehen Fanfiction eher zurückhaltend gegenüber. Sehen Sie einen Wandel in dieser Einstellung seit „Fifty Shades“, das ja aus Fanfiction stammt?
Die Zurückhaltung ist verständlich. Ich war im vergangenen Jahr mit Wattpad beim Forum „The Evolving Role of Readers´” bei der „Tools of Change“-Konferenz in Frankfurt und habe dort erklärt, dass man Fanfiction-Autoren als Partner und nicht als Außenseiter betrachten sollte und einen Weg finden muss, sie stärker einzubinden. Die Idee wurde damals nicht sehr herzlich aufgenommen, auch wenn Fifty Shades kommerziell ein großartiger Erfolg war. 
Ich kann die Sichtweise der Verleger sehr gut nachvollziehen. Ich war ihrer Meinung, bis ich ein Fan der TV-Serie Castle wurde und 2011 schließlich selbst Fanfiction-Leserin geworden bin. Auch wenn es viel furchtbare Fanfiction gibt, gibt es auch ganz wunderbare Autoren. Die Leser sind dem jeweiligen Fankosmos und den Autoren sehr verbunden. Es wäre also eine „Win-Win“-Situation für Verleger und Fanfiction-Autoren, wenn ein vernünftiges Model gefunden würde. 
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fifty Shades der Wertschätzung von Fanfiction-Autoren oder der Fanfiction-Qualität irgendeinen Gefallen getan hat. Aber man sollte Fifty Shades im Kontext von Fanfiction beurteilen: Es beginnt mit bereits etablierten Charakteren und dringt dann auf Gebiete vor, in die sich der Original-Autor nicht getraut hat. Dann versteht man es besser und muss es auch nicht so ernst nehmen oder kritisch beurteilen.
Es sieht so aus, als ob die Verleger Fanfiction in erster Linie dazu verwenden, um – gemessen an der Online-Popularität des Autors – den nächsten „Hit“ zu finden. Dieser wird dann in klassischer Form veröffentlicht. Bei Fifty Shades of Grey hat das ohne Zweifel funktioniert, aber ich glaube, dass Fanfiction noch viel mehr Interessantes zu bieten hat.
Was können Verleger von Fanfiction lernen?
Was Fanfiction großartig hinbekommt, ist die Pflege der „Community“. Die Autoren schreiben für die Leser. Weil es online passiert, kann jeden Tag geschrieben und veröffentlicht werden und die Leser können unmittelbar in Interaktion mit den Autoren treten und das Geschriebene kommentieren. Die „Beta“-Leser dienen quasi als Lektoren, die der Geschichte grünes Licht geben und der Qualitätskontrolle dienen.

Leser-Empfehlungen, die Anzahl der Kritiken und Tweets erhöhen die Popularität des Autors. Es gibt kuratierte Listen, Wettbewerbe, Fan-Kunst, YouTube-Videos und vieles mehr. Aufbauend auf einem Buch oder einer Serie entsteht eine florierende Online-Gesellschaft, die von Kreativität lebt. Die Leser sind zwar auf der ganzen Welt verstreut, bilden aber dennoch eine Welt. Dieses hohe Level an Engagement und Konversation zwischen Lesern und Autoren wäre bei einem klassischen E-Book unmöglich. Wie gesagt: Das Online-Format ist der Schlüssel. Davon können viele Verleger lernen.

Warum sollte man Leser und Fans von Fernsehsendungen nicht einbeziehen? Entweder finden wir eine Lösung, wie wir die Online-Welt einbeziehen oder wir verlieren sukzessive Generationen von Lesern oder richten uns nur noch auf die ältere Bevölkerung aus.
Wie würden Sie das Fanfiction-Modell von Say Books beschreiben? 
Das Fanfiction-Modell unseres Unternehmens, Say Books, basiert auf den Aspekten, die ich beschrieben habe. Die Geschichte beginnt online. Das erste Kapitel ist kostenlos und über eine öffentliche URL zugänglich. Interessierte Leser „spenden“ eine Summe ihrer Wahl und erhalten Zugang zu einer Webseite, auf der täglich neue Kapitel veröffentlicht werden und auf welcher der Leser mit dem Autor und anderen Lesern in Kontakt treten kann. Den meisten Abonnenten gefällt die Idee, einen Autoren und seine Arbeit zu unterstützen. Jeder ist quasi ein Förderer der Kunst. Wir betrachten die Partnerschaft zu unseren Autoren immer als gemeinschaftliche Arbeit, was sich auch in den Honoraren wiederspiegeln soll.
Da die Geschichten online sind, können wir für die verschiedenen Internetseiten auf Google Analytics zurückgreifen, wodurch wir die (Lese-)Interessen genau analysieren können. Und natürlich ist es einfach, Inhalte über Social-Media-Kanäle zu teilen.
Dazu braucht man Autoren, die sich wohl dabei fühlen, online zu veröffentlichen, die die Interaktion mit ihren Lesern mögen und die bereits eine Fangemeinde haben. „Chezchuckles“ ist eine der produktivsten und besten Fanfiction-Autorinnen zur Serie Castle. An sie bin ich für unser Pilot-Projekt herangetreten. Laura Bontrager ist eine Bibliotheksangestellte und – wenig überraschend – extrem belesen.

Jetzt wollen wir das Modell erweitern: Vor allem wollen wir den E-Commerce-Aspekt mit der Buchproduktion verbinden und ein Forum für Leser und Autoren entwickeln, über die wir die Geschichten anreichern können.

Wir haben noch viele weitere Ideen. Wir arbeiten fleißig an einem eigenen Honorarmodell für die Fanfiction-Autoren. Zudem bin ich auf der Jagd nach einem bekannten „traditionellen“ Autoren, der bereit wäre, sich mit uns in das Abenteuer zu stürzen.
Die Fragen stellte Daniel Lenz, Übersetzung: Torge Frühschulz

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