Die Kulturpessimisten beklagen das Aussterben des Buches, besingen die Haptik des gedruckten Buches und beschimpfen das E-Book. Dabei vergessen sie oft, dass auch das E-Book ein Buch ist, meint Verleger Jochen Jung vom österreichischen Verlag Jung und Jung. Und wirft einen erfrischend anderen Blick auf die Marktentwicklungen.
Mit Blick auf das E-Book verteidigten überraschend viele das gedruckte Buch, schreibt Jung in der Online-Ausgabe der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“: Wer dies tut, „versucht gar nicht erst, an ihm zu rühmen, was es leisten kann, wie man das bei jedem anderen Arbeitsmittel täte, sondern man liebt es auf einmal, seine Materialität zu rühmen. Wie es sich anfasst oder besser noch: anfühlt, wie es riecht und wie es in der Hand liegt.“
Dies sei nicht zuletzt deshalb seltsam, weil die Herstellungskultur des Buches zunehmend verschwinde. Aus „den Prunkstücken der mittelalterlichen Buchmalerei auf Pergament und mit Inkunabeln in Gold und Purpur“ seien kleine gelbe Heftchen geworden, die „Buchumschläge sind immer weniger individuell, also immer austauschbarer“.
Die Aussichten des stationären Buchhandels verändere zwar auch das E-Book, noch mehr aber unser Kaufverhalten. Jung: „Heute sind reale Geschäfte für immer mehr Menschen nur noch eine Art Musterausstellung: Man schaut sich die Dinge an, probiert sie aus, entscheidet sich und geht dann nach Hause und bestellt am Computer.“ Es sei nicht übertrieben, dies als Diebstahl zu betrachten. Die Konsequenz dieses Kaufverhaltens: Die Läden müssen auf lange Sicht schließen.
Auch der Buchhandel habe in diesem Prozess vieles falsch gemacht: „Oft wurde an der Ausbildung des Nachwuchses gespart und kein Wert mehr gelegt auf die Beratungsqualitäten des Fachhandels. Wie oft hat man den Buchhändler nach etwas gefragt, und dessen Weg führte sofort zum Computer.“ Zudem hätten sich Händler und Medien zunehmend auf Bestseller eingeschworen, sodass auch das Sortiment austauschbar geworden sei.
Man sollte das E-Book mit anderen Augen betrachten und die wahren Stärken des gedruckten Buches betonen, meint der Verleger. Denn: „Das E-Book wird es schwer haben, die Konkurrenz zu einem schön gemachten Buch aus Papier, Farbe, Leim und Fantasie zu gewinnen, und es sollte auch niemand weiterhin versuchen, argumentativ das Schöne durch das Praktische zu ersetzen. Aber geben wir den elektronischen Geräten ruhig noch ein wenig Zeit – wer weiß, welch schöne Stücke wir eines Tages in der Hand halten werden, wenn wir wissen wollen, was es mit dem wirklich Schönen auf sich hat.“
Was dann aus dem Handel wird? „Es gibt ja durchaus Anzeichen, dass die Buchhändlerinnen selbst Fantasie genug haben, sich ihren Platz unter uns zu bewahren“.
Ich finde es im Prinzip richtig, den Konsumenten nahezulegen, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Präsentationsaufwand eines Buches und „Belohnung“ durch den Kauf des Ware – in sofern verstehe ich das Anliegen von Herrn Jung.
Ein vernünftiger Mensch versteht dies von selbst – anderen muß man es vielleicht sagen.
Aber sehr glücklich bin ich mit Herrn Jungs Formulierungen („Diebstahl“, „unanständiges Verhalten“) nicht. Was soll denn unter dem Strich die Botschaft sein: „Wenn Du ein Buch anfaßt, mußt Du es auch kaufen“? Um Läden, die das austrahlen, mache ich einen ziemlichen Bogen…
Ich habe eine Buchhandlung im Internet. Wir verschicken an ca. 30.000 Empfänger solche Newsletter:
http://www.kohlibri.de/newslet…
Vor kurzem telefonierte ich mit einem Empfänger, er bestellte ein paar Bücher bei mir.
Am Ende des Telefonats sagte er: »Wissen Sie, ich erhalte jetzt schon so lange Ihre schönen Newsletter und freue mich immer darüber, da dachte ich mir, es wäre vielleicht sinnvoll, wenn ich die vorgestellten Bücher auch mal bei Ihnen bestellte statt bei Amazon oder bei meinem Laden an der Ecke.«
Dem konnte ich nicht widersprechen.
Vielleicht zitiere ich ihn im nächsten Newsletter – mal sehen, ob ich es elegant genug hinbekomme; aber unanständig würde ich niemanden nennen wollen, der unsere Newsletter nur liest, aber nichts bei uns kauft.
Lieber Herr Wattig,
bei den elektronischen Büchern wurde die erste Ebene noch gar nicht durchquert, jedenfalls nicht in D. Hinter „uns“ haben wir da noch gar nichts. Aus meiner Sicht als Verleger und Buchhändler ist alles zerrissen: Verlage, Händler, Großhändler und Distributoren ziehen alle an der eigenen Schnur, die am linken Bein festgebunden ist, während Großkonzerne einfach leider gute Arbeit leisten und den Markt an sich binden. DARIN liegt die eigentlich Gefahr, nicht an den kleinen philosophischen Scharmützeln.
Sehr treffendes Bild, das mit der Schnur am eigenen Bein!
Wer kassiert eigentlich wenn man für einen wissenschaftlichen Aufsatz aus einem Tagungsband oder einer Zeitschrift 20, 30 oder 40 Euro zahlen soll? (Das muss man sich dann auch noch selbst ausdrucken, wenn man es nicht elektronisch lesen will!) Wie in der Musik („industrie“!) wird in zwanzig, oder weniger Jahren, nichts mehr sein wie heute. Es werden sich Scheren bzw. Abgründe auftun, zB zwischen einem Massenmarkt und inhaltlich wie formal guten Büchern, mit deutlich günstigeren eBuch Ausgaben (Bindung bis Umschlag und Bilder entfallen).
Anders gesagt: Man versucht zu halten was nicht zu halten ist, vielmehr schon lange in vollem Gang: So sind einst renommierte Verlage wie S. Fischer in Konzern-Konglomeraten verschwunden, nicht wieder zu erkennen. – Vielleicht schließen sich Lektoren als Dienstleister zusammen und ersetzen Makler und Verlage im alten Stil…
„Es sei nicht übertrieben, dies als Diebstahl zu betrachten.“
So ein Unsinn. Ich dachte, diese Ebene hätte wir so langsam hinter uns …
Mein Kommentar: http://leanderwattig.de/index….