Wer sich in den Führungsetagen von Printverlagen nach Geschäftsmodellen und deren Aussichten umhört, ist seit einigen Jahren verhaltene Töne gewohnt. Ein Gespräch mit Gerd Waldenmaier, dem Verlagsleiter des Schwäbischen Tagblatts (Bild rechts), lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er keineswegs gedenkt, sich in den Chor der Ratlosen einzureihen. Seit März können Leser für 15 Cent einzelne Artikel des Schwäbischen Tagblatts freischalten, die hinter einer Bezahlschranke liegen. Eigentlich genügend Zeit für eine Ernüchterung, aber Waldenmaiers Zwischenbilanz im Hinblick auf das neue Paid-Content-Angebot ist von keinerlei Zweifel getrübt: „Gute Erfahrungen“ habe sein Verlag mit dem neuen Angebot gemacht. Punkt. Seit dem Start im März hätten sich weit über 1000 Nutzer für das Angebot registriert, trotz eines Startguthabens von einem Euro pro Nutzer habe das Projekt vom ersten Tag an schwarze Zahlen erbracht. Auch seine Einschränkung, die Umsätze hätten „noch nicht das Niveau erreicht, das wir gerne hätten“ bringt der Verlagsleiter frohgemut herüber, denn allein entscheidend sei: „Die Kurve zeigt stetig nach oben.“ Und auch deutlich: Seit der Startphase hätten sich die Umsätze aus dem digitalen Angebot verdreifacht.
Nicht nur die direkten Micropayment-Erlöse erfreuen Waldenmaier, sondern auch ein erkennbar positiver Effekt auf die E-Paper-Abos, da mancher Einzelkäufer sich dazu entschließt, den Aufpreis von € 4,60 monatlich für die E-Paper-Ausgabe – zusätzlich zum Print-Abo – zu berappen. Denn ab monatlich 31 einzeln bezahlten Artikeln ist der Aufpreis für das E-Paper-Abo günstiger. Der Zusammenhang sei signifikant – seit Angebotsstart gab es bei den E-Paper-Abos ein Plus von rund 40 Prozent, wie Waldenmaier berichtet.
„Erhebliches Potenzial, wenn auch andere Verlage ein Paywall einführen“
Das Potenzial „echten“ Micropayments mit Minipreisen wie beim Schwäbischen Tagblatt – andere ähnliche Angebote wie etwa die freiwillige Zahlung, die die taz von ihren Lesern erbittet, beginnen bei 30 Cent -, schätzt der schwäbische Zeitungsmanager sogar als „erheblich“ ein – und zwar dann, „wenn auch andere Verlage eine Paywall einführen“. Womit er auf der Linie des Axel-Springer-Vorstandschefs Mathias Döpfner liegt, der ebenfalls das Errichten von Bezahlschranken von seinen Verlagskollegen gefordert hat – mit dem Unterschied, dass Waldenmaier nicht die überregionale Presse, sondern vor allem den Schwarzwälder Boten und den Reutlinger Generalanzeiger im Blick hat.
Der Trend bei der Tagespresse geht offensichtlich zur Paywall, wie ein Blick auf eine entsprechende Übersicht des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zeigt. Allerdings setzen die meisten Verlage eher auf Abo-Lösungen, wie auch das Schwäbische Tagblatt mit seinem E-Paper-Abo. Waldenmaier, der erst vor einem guten Jahr nach einer langjährigen Managertätigkeit bei der Ippen-Gruppe zum Schwäbischen Tagblatt stieß, wollte aber noch einen draufsetzen. Schon seit längerem ließen ihn die Ergebnisse von Analysen und Umfragen keine Ruhe, die übereinstimmend ergaben, dass der User wegen der Gratismentalität im Internet eher bereit sei, einzelne Artikel mit kleinem Geld zu bezahlen als Abos abzuschließen. Die Hemmschwelle sei bei Micropayment deutlich niedriger – „und das ist tatsächlich so“, fasst Waldenmaier die in den vergangenen Monaten gesammelten Erfahrungen zusammen.
„Leser loben faires Angebot“
Die Redaktion packt täglich rund 30 Artikel hinter die Paywall – viel Sport, aber auch Lokalpolitik, natürlich eher Themen, die das Tagblatt exklusiv hat. Insbesondere Sportvideos – die wie die Texte 15 Cent kosten – würden sehr intensiv genutzt, womit das Tagblatt auch „sportaffine junge Leute“ erreiche.
Waldenmaier nennt einen weiteren Pluspunkt des Micropayment-Angebots: Die Verlagsleitung könne nicht nur wie in jedem Weblog in Echtzeit sehen, welche Artikel die Nutzer auswählen, sondern auch, für welche sie – einzeln – zu zahlen bereit sind. Das ermögliche, anders als bei kostenlosen oder Aboangeboten, „tiefgreifende Schlussfolgerungen“.
Die Tagblatt GmbH, an der auch die Südwestpresse beteiligt ist, hat sich für die Züricher Firma milliPay als Dienstleister entschieden. Obwohl es eine Reihe namhafter Anbieter für Bezahlservices gibt, fiel den Schwaben die Entscheidung leicht – es handle sich, so Waldenmaier, „um die einzige Firma, die Kleinstbeträge wirtschaftlich sinnvoll transferierbar macht“. Die Implementierung des Zahlungstools war mit keinerlei Kosten verbunden, der Züricher Dienstleister ist dafür an den Umsätzen beteiligt. Zum Micropayment kam ein zweiter Pluspunkt: „Wenn er sich einmal registriert hat, muss der Kunde die Website zum Bezahlen nicht verlassen“. Die Einrichtung der Bezahlfunktion habe insgesamt nur zwei Monate gedauert.
Und wie haben die Leser auf das Angebot reagiert? Es gab zwar die eine oder andere Mail von enttäuschten Usern – die erst am Tag der Scharfschaltung informiert wurden – anderseits habe der Verlag auch Zuspruch bekommen, mehrere Leser hätten die Fairness des Angebots gelobt, berichtet der Verlagsleiter.
Als Early Bird hat Waldenmaier seit Start des Angebots viele Anfragen von Zeitungen und Zeitschriften – auch letztere hält er für „absolut geeignet“, Micropayment einzusetzen – erhalten, die ebenfalls über den Einzelartikelverkauf nachdenken. Er gab zu dem Thema einen Vortrag an der Universität Tübingen und auch Radiointerviews. Ein erstes Anzeichen könnte darauf hindeuten, dass die Saat aufgeht. So will die Ippen-Gruppe Pressemeldungen zufolge im Herbst ebenfalls mit Micropayment starten, auch hier ist milliPay Partner der Wahl.
In einer Woche:
Ein Cent ist nicht wenig genug – milliPay-Geschäftsführer Sprock über das Schürfen nach digitalem Kleingeld
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