Der E-Book-Markt steuert in eine neue Entwicklungs-Phase. Besonders im Vertrieb und Marketing ergeben sich neue Perspektiven. buchreport sondiert die Zukunft mit einer internationalen Umfrage. Mike Shatzkin, Gründer und Geschäftsführer von The Idea Logical Company, über die Internationalisierung des E-Book-Vertriebs, Preiskämpfe und neue Geschäftsmodelle.
An der Umfrage, die im buchreport.magazin Oktober 2013 (ET: 28. September) zu lesen ist, haben außerdem u.a. Oliver Pux (Bastei Lübbe), Stefano Mauri (Gruppo editoriale Mauri Spagnol) und Anne Stirnweis (Verlagsgruppe Random House) teilgenommen.
Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse widmet sich Shatzkins Konferenz „Publishers Launch“ (hier das Programm) ebenfalls der Zukunft der E-Book-Märkte. Die Tagung wird gemeinsam mit der Frankfurt Academy (wo die Frankfurter Buchesse ihre Konferenz-Aktivitäten bündelt) veranstaltet.
Immer mehr Verlage übersetzen ihre Bücher selbst und publizieren sie für ausländische Märkte digital (statt die Rechte anderen Verlegern zu verkaufen). Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Entscheidend ist die Qualität der Übersetzung und die Marketingstärke. Es kann gut sein, dass diese Strategie der Verlage zu einem Verkauf der Rechte führt, wenn ein Titel international an Zugkraft gewinnt. Selfpublishing-Autoren wurden auf diese Weise von Verlagen unter Vertrag genommen; das lässt sich analog sehen. Verleger, die in solchen Fällen schnell reagieren, fahren sowohl in redaktioneller Hinsicht als auch bei der Vermarktung besser. Allerdings bedarf es eines engagierten Marketingaufwands für die ganze Idee, damit es wirklich funktioniert. Übersetzungen kosten Geld, und diese Investition bekommen Verlage nur zurück, wenn sie die Käufer auf das Buch aufmerksam machen.
Besonders Amazon drückt bei den E-Books aus den eigenen Verlagen die Preise. Was bedeutet das für das zukünftige Preisgefüge des Digitalbuchs?
Ich befürchte, die Verkaufspreise für E-Books werden weiter sinken. Amazon und andere Online-Shops befördern diese Entwicklung, aber auch Guerilla-Autoren (einige haben als Selfpublisher begonnen, andere arbeiten auf der Grundlage ursprünglich von Verlagen publizierter Titel) und – zunehmend – etablierte Verlage beteiligen sich an diesem Preisverfall. 99 Pence sind längst nicht mehr die Untergrenze; wir hatten bereits 20-Pence-Kampagnen, und E-Books wurden schon zu Werbezwecken kostenlos abgegeben. Was aussieht wie das Ende der Preisgestaltung durch Literaturagenturen und Verlage scheint ebenso dafür zu sorgen, dass alle Bremsen beseitigt werden, die die Preise am weiteren Sinkflug hindern.
Was kommt nach dem klassischen E-Book und wohin entwickeln sich perspektivisch Formate, digitale Inhalte, Vertriebswege, Geschäftsmodelle?
Das Digitale ermöglicht alle Arten von Veränderung in Form und Inhalt, u.a. Video, Interaktivität, Animation und Audio. Aber wir als Verleger stehen vor drei Problemen: Erstens gibt es keine Zauberformel, deren Zugkraft sich als kohärent und zuverlässig erwiesen hat. Wir befinden uns also immer noch in einem Versuchsstadium. Zweitens sind diese Funktionen kostspielig, in doppelter Hinsicht. Sie sind keinesfalls trivial aus der Perspektive der Entwicklung, und sie trennen die Verbindung zwischen dem digitalen und dem Printprodukt bzw. erschweren die Synergien zwischen beiden. Und das führt uns zum dritten Punkt: Sollte sich eine dieser alternativen Präsentationsformen durchsetzen, werden die Verleger diejenigen sein, die sie umsetzen? Oder werden das Filmstudios, Spieleentwickler etc. sein? Welchen Mehrwert werden Verleger einbringen, wenn gedruckte Bücher nicht mehr eine alternative Darreichungsform für den Inhalt sein und die Fähigkeiten der Buchgestaltung keine Rolle mehr spielen werden beim Entstehungsprozess des Produktes?
- Vertriebswege: Die Herausforderung im Digitalen heißt nicht Distribution, sondern Entdeckung. In der physischen Welt müssen Verleger mit Einzelhändlern über die Investition von Kapital und Regalfläche verhandeln, um einen Titel zum Erfolg zu bringen. In der digitalen Welt will der Einzelhändler jeden nur möglichen Titel anbieten, Investitionen in den Lagerbestand sind nicht mehr nötig, und die Regalfläche ist nicht mehr begrenzt. Vor diesem Hintergrund hat der Verlag mit der besten Berichterstattung nicht mehr länger einen gewaltigen Vorteil bei der Distribution. Entdeckung ist eine andere Herausforderung und Größe ist nicht notwendigerweise die Lösung, um diese Herausforderung zu meistern, so wie Größe noch eine Rolle gespielt hat für eine gesunde Distribution von Printtiteln.
- Geschäftsmodelle: Die bisherigen Geschäftsmodelle stehen zur Disposition. Meines Erachtens wird es die Idee eines Spotify für E-Books schwer haben, mit Ausnahme vielleicht bei Kinderbüchern und Genre-Unterhaltungsliteratur. Das Problem ist, dass die Bedürfnisse nicht die gleichen sind wie bei Musik und Filmen, bei denen die Leute Dutzende, wenn nicht Hunderte Titel pro Monat konsumieren. Nur sehr wenige Menschen brauchen mehr als ein neues Buch pro Monat, daher ist die Anziehungskraft eines All-you-can-eat wesentlich geringer. Gleichzeitig haben die erfolgreichsten Autoren in geschäftlicher Hinsicht gute Gründe, bei diesen Aggregatoren nicht mitzumachen. Aus der Sicht des Verlegers und des Autors scheint das Kunststück viel- mehr darin zu bestehen, das Buch zum Beginn der Auseinandersetzung mit dem Leser/Kunden zu machen und nicht zu seinem Ende. Aber das ist sehr viel leichter gesagt als getan und trifft wahrscheinlich auch auf weit weniger als die Hälfte der Bücher zu.
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