Warum Metadaten-Management kein Hobby von Erbsenzählern ist
Die Discoverability wächst
Glaubt man gestandenen Vertriebsleitern, entscheidet über den Erfolg eines Buchs das Leuchten in den Augen der Vertreter, wenn diese es den Kunden vorstellen. Hört man auf den Pressesprecher, zählt die Qualität der Weine beim Pressegespräch. Der Marketingleiter ist überzeugt, man müsse nur genügend „Buzz“ erzeugen, und schon würde sich der Ruhm des Buchs lawinenartig verbreiten und mit ihm die Verkaufszahlen. – Eine Stimme in diesem Chor meldet sich immer lauter zu Wort: der Ruf des Informationstechnikers nach sauberen Metadaten.
buchreport widmet sich in einem zweiteiligen Webinar dem Thema Metadaten in Strategie und Praxis. Der Autor dieses Artikels, Michael Lemster, gehört zu den drei Referenten. Hier weitere Infos.
Um diesen Ruf geht es in diesem Beitrag. Verlage und Handel sollten ihn nicht überhören, wenn sie das Potenzial ihres Programms voll ausschöpfen wollen. Und sie hören darauf – die Taskforce Metadatenbank hat ihn aufgegriffen und ihr Schlussergebnis vorgelegt. Höchste Zeit – denn ca. 60% der Buchabsätze hängen bereits davon ab, dass Titel in Katalogen leicht gefunden und überzeugend dargestellt werden. Im E-Book-Geschäft sind es noch mehr.
Essentieller Bestandteil der Wertschöpfung
Stammdaten sind im Zuge der Technisierung des Vertriebs ein essentieller Bestandteil der Wertschöpfung geworden: Weit mehr als jeder zweite Euro im Buchhandel wird heute kataloggestützt umgesetzt: die ca. 25% des Großhandels plus die etwa 20% des Internet- und des Gebrauchthandels von Amazon bis ReBuy plus die Anteile, die die Warenwirtschaftssysteme des stationären Handels auslösen. Der Detailreichtum in den Artikeleinträgen und die Auffindbarkeit unter den passenden Suchroutinen sind damit entscheidende Faktoren für den Verkaufserfolg geworden.
Unter der Überschrift „The Link Between Metadata and Sales“ analysierte die Nielsen Group im Januar 2012 die Top 100.000 Titel des Jahres 2011 auf Zusammenhänge zwischen ihren Absätzen und ihrer Ausstattung mit Metadaten-Attributen in den elektronischen Katalogen. Dabei kamen die Marktforscher u.a. zu folgenden überraschenden Ergebnissen:
im Offline-Vertrieb steigerte eine Ausstattung gemäß der BIC-Norm den Absatz um durchschnittlich 33 % gegenüber den Titeln, die diese Norm nicht erfüllten. Als BIC-Norm ist definiert: Autor, Titel, Reihen- und Auflageninformation, Umfang, Maße, Sprache, Medientyp, Zielgruppe, Sachgebiet liegen vor
im Online-Vertrieb lag die Steigerung bei 178 %
Titel mit Bild wurden um den Faktor 2,7 besser verkauft – es ist leicht vorstellbar, dass Größe und Qualität des Bildes eine gewichtige Stellgröße ist.
Erstaunlich, dass viele Verlage dieses Erfolgspotenzial noch nicht konsequent angezapft haben und das Stammdatenmanagement mitsamt der Metadaten-Distribution an den Handel („Titelmeldung“) auf untergeordneter Ebene irgendwo zwischen Vertrieb, Herstellung und IT deponiert haben. Fast die Hälfte der Verlage – darunter viele große! – liefert dem Großhandel noch keine Daten im ONIX-Standard, sondern bestenfalls in fehleranfälligen und aufwändigen Excel-Prozeduren. Mit Versäumnissen dieser Art stehen sie im Vergleich der Branchen nicht besonders schlecht da: Gartner, der führende amerikanischer IT-Analyst, stellte fest, dass die „US Fortune 1.000“ für das Ausmerzen von Fehlern in Stammdaten dreimal so viel Geld aufwenden müssen wie für ERP, CRM und Business Intelligence zusammengenommen. Dieses Aufmerksamkeits-Defizit hat vielleicht Gründe: Dem Stammdaten-Management fehlt der Glamour des Marketings, das Jagdfieber des Verkaufs mit seinen spektakulären Abschlüssen, die ruhige Macht des Einkaufs. Stammdaten-Management bedeutet sehr sorgfältige, penible Analyse auch von größten Datenmengen, Sammeln, Vergleichen, Importieren, Testen, Messen; mühevolle Kleinarbeit mit Frustpotenzial, aber hohen Erträgen, wenn alles richtig gemacht wird. Für den Handel resultieren diese Erträge nicht nur aus besseren Absätzen, sondern auch aus geringeren Retourenzahlen dadurch, dass die Kunden ein klareres Bild von dem Artikel gewinnen, den sie kaufen. Die Mühe lohnt also: „bücher.de integriert über 40 Datenquellen und priorisiert sie auf Ebene des einzelnen Datenfelds,“ erläutert Gerd Robertz, bücher.de-Geschäftsführer.
Unklare Begriffe – klare Konzepte
Ein babylonischer Begriffswirrwarr verunklärt das Thema Stammdatenmanagement. Die Rede ist von „PIM“ (Produktinformationsmanagement), „MDM“ (Master Data Management), „MAM“ (Media Asset Management), „DAM“ (Digital Asset Management) oder „ECM“ (Enterprise Content Management), ganz zu schweigen vom „ERP“, dem Enterprise Resource Management. Die Verwaltung von Produktstammdaten – bei Medien sind es die Metadaten – liegt im Funktionsbereich all dieser und noch mancher anderer Informationssysteme. Wie sind „Stammdaten“ (Master Data) eigentlich definiert? – Es sind Daten bzw. Datenattribute, die sich im Lauf der Lebenszeit eines Datensatzes nie oder selten ändern. Bei Buch-Daten etwa ändert sich die ISBN nicht, solange überhaupt nur ein Exemplar eines Titels verkauft wird (= Stammdaten-Attribut). Dagegen ändert sich die Bestandszahl im Auslieferungslager nahezu täglich (= Bewegungsdaten-Attribut). Bei Kunden-Daten ändert sich die Verkehrsnummer der Firma, die mit dem Buch beliefert wird, ebenfalls nie (= Stammdaten-Attribut). Dagegen ändert sich die vom Kunden erzielte Absatzzahl nahezu täglich (= Bewegungsdaten-Attribut). Aus dem letzten Gedanken resultiert, dass es außer Produktstammdaten noch andere Kategorien gibt – als wichtigste zählen Kunden-Stammdaten, die in Vertriebs-, ERP- oder CRM-Systemen oder in E-Commerce-Systemen verwaltet werden. Aber essentiell und allen gemeinsam sind die Prozessschritte
Erzeugung bzw. Import, sog. „Onboarding“, mittels „Extract Transform Load“(ETL)-Verfahren
Integration ins eigene Datenmodell
laufende Analyse und Qualitätssicherung, auch „Data Governance“ genannt
Anreicherung und Veredlung während des Produktlebenszyklus
Verwertung in eigenen Systemen
Export in Fremdsysteme, zu denen immer neben den User-Interfaces auch Suchsysteme zählen.
Multiple Ausgabekanäle
Abfragen auf Produktstammdaten kommen heute aus den unterschiedlichsten Richtungen: Stand früher die gezielte Suche in buchhändlerischen Katalogen durch geschultes Fachpersonal im Vordergrund, nutzen heute die Verbraucher selbst Absatz-Trigger des E-Commerce wie Stöbern und Promotions, Suchmaschinen und Multichannel, Affiliate, Preissuchmaschinen oder Marktplätze. Das bringt neue Herausforderungen für die Qualität des Datensatzes und für die Breite des Datenformats. Logistische Attribute wie Produktdimensionen und -gewicht oder Verfügbarkeit nach Ländern, beschreibende und animierende Media Assets, Produkthistorie, Prüfsiegel und Herkunftszeichen, Schlagworte und Zuordnung zur Produkt-Systematik, Zubehör und die Zuordnung ähnlicher Artikel entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg eines Produkts. Erfolgt in der Stammdatenverwaltung eine präzise Zuordnung solcher Attribute zum Layout etwa einer Artikeldetailansicht, sieht der Kunde genau, was er später geliefert bekommt – Datenqualität als Kaufauslöser und Retourenbremse. Und auch die beste, teuerste Katalogsuche findet nur in einem guten Katalog gute Treffer, denn gefunden werden kann nur das, was im Katalog steht. Bei aller Begeisterung über multimediale Produktwerbung ist es daher wichtig, sich bewusst zu machen, dass nach wie vor die Suche – egal ob in Shops oder in Web-Suchmaschinen – primär textbasiert ist. „Suchmaschinenoptimierung heißt für uns zuallererst: mehr Texte, bessere Texte, richtig verknüpfte Texte,“ bringt es ein Profi für Suchmaschinenoptimierung (SEO) auf den Punkt. Also brauchen textuelle Attribute wie Produktbeschreibungen oder Schlagworte hohe Aufmerksamkeit.
Nicht weniger Aufmerksamkeit gebührt dem Zusammenwirken von Stammdatenmanagement und anderen notwendigen Systemen wie Suchindex, ERP oder Warenwirtschaft, Database Publishing für verschiedene Ausgabekanäle wie gedruckte Kataloge oder mobile Anwendungen. Hier ist das Ziel ein Single Source Publishing: Die Ausgaberegeln wandeln sich, der Datenstamm bleibt derselbe, und alle redaktionellen Änderungen werden im Stamm erledigt, wo der perfekte Datensatz, der „Golden Record“, das Maß aller Dinge ist. Denn wenn die Quelle nicht sauber ist, ist auch die Mündung schmutzig.
Wie üblich gilt auch hier: je größer und verzweigter das Geschäft, je komplexer die Quellenlage, desto mehr muss investiert werden in Menschen, Systeme und Prozesse. Wer international, B2B oder „multi-channel“ unterwegs ist, wer wie die meisten Onlinehändler Artikel vieler Hersteller in seinen Katalog integrieren muss, wer medienübergreifende Werbung mit Print-Katalogen betreibt oder für wen Fragen der Produkthaftung wichtig sind, der braucht eine große technische Lösung. Die Frage „Make or buy“ wird heute meist mit „Buy“ beantwortet, und es stehen Dutzende von Lösungen nationalen und internationalen Zuschnitts zur Verfügung. Neben den MDM-Systemhäusern besetzen auch Content-Aggregatoren mit teilweise hochspezialisierten Angeboten den Markt: “Unser Datengeschäft beginnt mit der Lieferung von Produktdaten und endet mit Wettbewerbsanalysen,” sagt etwa Peter Starke, Geschäftsführer der kanadisch-deutschen Baysoft. Für die meisten Verlage reicht das Verlagsinformationssystem und für Bild- und Textdaten zusätzlich ein Media Asset Management-System. Aber ob Maxi-, ob Mini-Infrastruktur: die Aufmerksamkeit fürs Detail entscheidet über die Qualität – und den Verkaufserfolg.
Michael Lemster ist Berater bei alVoloConsult und beschäftigt sich u.a. mit E-Commerce, Content Management und Process Management. Beim buchreport-Ableger pubiz.de ist Lemster zuständig für redaktionelle Beratung und Content Management.
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