Autoren und Digitalisierung, Teil 8: Oliver Pötzsch
Zu viel gejammert und zu wenig gekämpft
Das Internet hat in den vergangenen Jahren viele Lebensbereiche verändert. Welchen Einfluss es auf das Geschichtenerzählen hat, hat die „New York Times“ verschiedene englischsprachige Autoren gefragt. buchreport hat sich unter deutschen Schriftstellern umgehört und stellt die Antworten zu den Einflüssen der Digitalisierung vor. Im 8. Teil unserer Reihe äußert sich Oliver Pötzsch (Foto: Gerald von Fortis).
Pötzsch gehört zu den wenigen deutschen Autoren, die jenseits des Atlantiks eine steile Karriere hingelegt haben. Der Autor, der hierzulande bei Ullstein erscheint, hat in den USA mit Hilfe von Amazon Publishing einen Siegeszug hingelegt. Im Sommer 2013 wurde er zum erfolgreichsten Amazon Publishing-Autor gekürt. Seit 2013 ist Pötzsch hauptberuflich Autor.
Inwiefern hat sich Ihr Arbeitsalltag in den vergangenen Jahren durch die Digitalisierung verändert?
Vor allem die Recherche hat sich verändert. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mühsam in meinem abgegriffenen Lexikon das Thema „Gerberei“ nachgeblättert habe oder wegen ein paar Jahreszahlen in die Bibliothek musste. Da ist das Internet eine riesige, nicht mehr wegzudenkende Hilfe. Schwierigkeiten habe ich mit dem, was man Social Media nennt. Es gibt Kollegen, die posten jeden Badewannenbesuch bei Facebook, offenbar, um im Gespräch zu bleiben. Ich kann und will das nicht, auch auf die Gefahr hin, Leser zu verlieren. Vor kurzem regte sich eine Dame via Internet auf, weil ich auf ihre Facebookanfrage nicht geantwortet habe – sie würde nun kein Buch mehr von mir kaufen. Schade. Doch ich möchte eben gerne schreiben und nicht Seelendoktor und Grußaugust einer anonymen Internetgemeinde sein. Das frisst zu viel Zeit.
Was sind Ihre größten Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf die Digitalisierung?
Im Moment erlebe ich die Digitalisierung im Buchmarkt als schwer fassbare, brodelnde Aufregung. Keiner weiß, wohin die Reise geht, was die nächsten Jahre bringen. Das ist spannend, es erfordert aber vom Autor (und seinem Agenten) einen wachen Charakter. Eines lässt sich meiner Meinung nach jetzt schon sagen: Der Buchmarkt wird in zwanzig Jahren ein komplett anderer sein als heute, und jeder Akteur in diesem Geschäft muss sich neu positionieren: Autoren, Verlage und Buchhändler. Ich finde, zur Zeit wird zu viel gejammert und zu wenig gekämpft. Wir sollten unsere Chancen suchen – ändern können wir die digitale Entwicklung ohnehin nicht.
Wie schätzen Sie den E-Book-Markt ein?
So wie ich es sehe, werden E-Books in gewissen Genres noch weitaus größere Anteile bekommen: Krimis, SF, Fantasy, Erotik … Als ich vor drei Jahren auf meiner ersten Lesereise durch die USA tourte, war ich baff, wieviel E-Books die Leute in den Flugzeugen, Bushäuschen und Zügen lasen. Heute ist dieses Bild auch bei uns in Deutschland völlig normal. Die Entwicklung geht eben sehr schnell, doch ich denke, dass es noch sehr lange dauert, bis wir die gleichen E-Book-Anteile wie in den USA haben. Das liegt auch an der technikaffineren älteren Klientel und den größeren Distanzen dort drüben – und natürlich an den aussterbenden US-Buchhandlungen. Gott bewahre uns vor dieser Entwicklung!
Ist der wachsende Selfpublishing-Markt Chance oder Bedrohung für Autoren, die vom Schreiben leben wollen?
Wenn jeder Hobbyschriftsteller sein Buch für 99 Cent vermarkten kann, wird es für uns Berufsschriftsteller immer schwerer, zu begründen, warum unsere Bücher so viel teurer sind. Lektorat, akribische Recherche, die tägliche Arbeit des Verlags … All das sieht der Leser ja nicht. Auf der anderen Seite kann ich Jungautoren verstehen, die von Verlagen bislang nur Absagen bekommen haben, dass sie es auch mal alleine probieren wollen. Wer weiß, wenn ich keinen Verlag gefunden hätte, hätte ich es vermutlich auch so gemacht … Man muss aber wissen, dass ein guter Self-Publisher viel mehr leisten muss als nur schreiben: Es muss sich selbst vermarkten, sich einen Lektor suchen, sich um Cover, Lesungen, Internet und die Presse kümmern. Eben all das, was sonst ein Verlag macht. Ich bin jedenfalls froh, dass ich mich aufs Schreiben konzentrieren kann.
Wie groß ist die Gefahr, die von E-Book-Piraterie ausgeht?
Ich habe mittlerweile meinen Job beim Bayerischen Fernsehen gekündigt und konzentriere mich voll aufs Schreiben – das heißt, ich muss meine Familie davon ernähren. Dieser ganze Streit ums Urheberrecht vor einiger Zeit hat mich unglaublich wütend gemacht. Einem Bäcker klaue ich doch auch nicht die Hälfte seiner Brötchen und sage, die seien Allgemeingut. Zur Zeit ist der E-Bookmarkt in Deutschland ja noch begrenzt, aber in ein paar Jahren kann das ein wirkliches Problem werden. Im Gegensatz zu Rockstars können wir Autoren nämlich schlecht allein von unseren Konzerten respektive Lesungen leben.
Sind die Buchverlage schon fit fürs digitale Zeitalter? Was wünschen Sie sich von ihnen?
Wie kann man für etwas fit sein, das sich zur Zeit noch ständig verändert? Ich denke, dieser Prozess wird noch Jahre dauern. Ich wünsche mir von den Buchverlagen, dass sie trotz aller Ökonomie (die sein muss) nicht ihre eigentliche Aufgabe aus den Augen verlieren: Wahrer von Kultur zu sein. Bücher sind eben keine Hamburger oder Waschmaschinen, die man allein nach finanziellen Maßstäben produziert.
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