Auch vor den akademischen Verlagen macht der Kostendruck nicht Halt. Stagnierenden Absätzen stehen steigende Vertriebs-Aufwände gegenüber – Programm-Verkleinerung ist für viele das Gebot der Stunde. Wissenschaftsverlage könnten dabei die Strategien und Instrumente nutzen, die ihren belletristischen Kollegen bereits helfen. Genau das tut nun De Gruyter. Ein Spiel nicht ohne Risiko.
De Gruyter ist in den letzten Jahren vor allem als „Sammler“ von akademischen Labels aufgetreten und unverdächtig, sein Programm reduzieren zu wollen. Im Gegenteil: der größte geisteswissenschaftliche Fachverlag erprobt immer wieder innovative Wege, seine Substanzen zum Drehen zu bringen und den Kostendruck zu dämpfen.
Das neueste Baby aus dem Berliner Ideen-Brutkasten heißt „Publoris“ und ist ein Selfpublishing-Portal für Dissertationen, Habilitations- und Konferenz-Schriften und auch sonst für jede Art gehobenen akademischen Schrifttums. Vom klassischen Modell der akademischen Zuschuss-Verlegerei unterscheidet Publoris sich durch ein umfangreiches Leistungs-Spektrum und ein Vergütungs-Modell, das ab dem ersten verkauften Stück ein Autorenhonorar vorsieht.
Neu ist auch die Markenführung: Publoris tritt als eigener Brand auf; der Name De Gruyter tritt nicht in Erscheinung. Und unter der Publoris-Haube steckt viel Fremdtechnik: die White-Label-Lösung des niederländischen Publikations-Dienstleisters Mybestseller für Publishing, Konvertierung, Distribution und Abrechnung.
Academic Selfpublishing – „the next big thing“
De Gruyter-Geschäftsführer Sven Fund ist sicher, dass im wissenschaftlichen Publizieren das Selfpublishing ein großes Thema wird: „Service wird wichtiger als die Marke.“ De Gruyter lehnt viele Manuskripte ab, die andere Verlage später ins Programm nehmen. Zudem gibt es Titel mit betriebswirtschaftlichem Optimierungspotenzial.
Beides will der Verlag unter die Lupe nehmen. Er setzte die Online-Marketing-Expertin Linda Steglich an das Projekt Selfpublishing. Die frühere Ullstein-Webmasterin betreut ansonsten die Social-Media-Aktivitäten von De Gruyter. Neben der Aufgaben-Beschreibung und der Suche nach passenden System-Dienstleistern galt es, das Geschäfts- und Betriebsmodell festzulegen.
Bei der Dienstleister-Auswahl spielte dem Verlag seine ausgeprägte Innovationskultur in die Hände. Die Mitarbeiter werden ermutigt, technische und marketingbezogene Innovationen laufend zu beobachten. Beim alljährlichen Infomarkt präsentieren sie diese Innovationen und unterziehen sie der Evaluierung unter Business-Gesichtspunkten. So war auch ein Kontakt zu Mybestseller aus dem holländischen Rotterdam entstanden.
Dieser betreibt einerseits analog zu Anbietern wie Epubli oder Books on Demand das Portal meinbestseller.de. Andererseits stellt er Selfpublishing-Portale in deutsch, englisch, spanisch, französisch und niederländisch für andere Unternehmen bereit. De Gruyter wird neben der deutschen eine englische Benutzeroberfläche anbieten und hat sich durch diese Kooperation Expansionsspielraum in die anderen Sprachräume offengehalten. Mybestseller wird auf Provisionsbasis aktiv.
Was De Gruyters „Publoris“ leistet
Publoris funktioniert nach dem üblichen grundlegenden Schema der Selfpublisher: registrieren, zahlen, Daten hochladen, veröffentlichen, Honorar kassieren, Verkaufsreports prüfen. Der Leistungsumfang von Publoris überschreitet den des Wettbewerbs bei weitem, wie die Konkurrenzanalyse ergeben hat. Bereits im Basispaket für zur Zeit 149 Euro steckt eine Plagiatsprüfung des Textes mit der US-Software Ithenticate.
Das „Advanced“-Paket enthält zusätzlich Language Editing (Korrektorat in deutscher oder englischer Sprache) und die Erstellung eines professionellen E-Books. Dafür ruft Publoris schon EUR 1.899,- auf. Wer für “Professional” nochmals EUR 1.100,- mehr hinlegt, erhält den vollen Produktions-Service mit individuellem Layout von Innenteil und Umschlag. Den First-Level-Support leistet Mybestseller, das sich für die Sprachen Deutsch und Englisch langfristig exklusiv an de Gruyter gebunden hat. Für den Second Level sind die De Gruyter-Dienstleister gefragt, aber auch zwei Verlagsmitarbeiter widmen Publoris einen Teil ihrer Kapazitäten.
In jedem Paket stecken ein eigener Autoren-Onlineshop – betrieben als White Label und ausgerüstet mit den gängigen Bezahlverfahren von Mybestseller – sowie die Option einer Verbreitung als Print on Demand, als E-Book und als Open Access E-Book. Mit Open Access kommt De Gruyter einer besonderen Anforderung der Hochschulen nach. In Deutschland ist die Produktionsstraße von BoD hinter die digitale Fertigung geschaltet. Die relevanten wissenschaftlichen Retailer und Distributeure sowie viele international wichtige Open Access-Repositorien sind ins Vertriebsnetz integriert bzw. sollen nach Bedarf integriert werden. Damit ist für eine wissenschaftliche Autorenkarriere alles gegeben.
Wie dieser Bedarf sich entwickelt, darüber soll ab Anfang Oktober der Produktivbetrieb von Publoris Auskunft geben: eine Kernaufgabe von Mybestseller war es, ein umfassendes Reporting zu entwickeln. Dieses Reporting soll insbesondere Aufschlüsse über Bedürfnisse und Trends aller Art – nicht nur im wissenschaftlichen Selfpublishing – geben. Damit soll es zurückwirken auch auf die Aktivitäten des Verlages unter eigenem Namen. Und das ist vielleicht die größte Innovation an Publoris.
Quelle: pubiz.de
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