Kaum einer kennt den Selfpublishing-Markt so gut wie er. Matthias Matting, geboren 1966, ist einer der erfolgreichsten deutschen Selfpublishing-Autoren. Er ist Programmleiter E-Book bei der Münchner Verlagsgruppe, außerdem als „Focus“-Kolumnist und als Autor für die Zeitschrift „Federwelt“ und das Online-Magazin „Telepolis“ aktiv. Matting betreibt den Blog Selfpublisherbibel.de und ist Vorsitzender des im Februar 2015 gegründeten Selfpublisher-Verbands.
Im Interview mit Michael Lemster in der Reihe „Seitenwechsel“ bescheinigt Matting den Verlagen gewachsene Flexibilität und klopft laut beim Buchhandel an.
Matthias Matting ist Referent beim buchreport.webinar zum Thema „So nutzen Verlage den Selfpublishing-Trend“ am 15. April 2015, 13.30 Uhr. Hier weitere Infos zum Webinar.
Matthias Matting, manche Menschen halten Physiker für die schlauesten Leute. Würden Sie da widersprechen?
Ja. Es gibt auch dumme Physiker.
Wenn sich ein Physiker im Anschluss an sein Diplom als Zeitschriften-Redakteur verdingt wie Sie, ruft das in Kollegenkreisen keine Verwunderung hervor?
Das rief keinerlei Verwunderung hervor, weil zu dieser Zeit keine Physiker gesucht wurden. Der Arbeitsmarkt der Physiker war und ist Schweinezyklen unterworfen. In unserer Ausbildung wurden wir darauf getrimmt, dass ein Physiker alles kann. Sehen Sie sich zum Beispiel die Beratungsunternehmen an. Physiker sind dort gern gesehen.
Was interessierte Sie am publizistischen Beruf?
Ich habe schon immer gern geschrieben. Dann gefiel mir die Vielfalt.
Und was fasziniert Sie bis heute so sehr, dass Sie nicht nur Bücher zu Quantenphysik, dem Commodore C64 sowie Ostasien und dazu Krimis geschrieben haben, sondern den einflussreichen Blog „Selfpublisherbibel“ ins Leben gerufen haben?
Der Journalismus gab die Initialzündung. Natürlich musste ich Amazons KDP…
…die Selfpublishing-Plattform Kindle Direct Publishing…
…ausprobieren, als es 2011 damit losging. Zufällig war der Test erfolgreich. Das hat mich bewogen dabeizubleiben.
Lieben Sie die Vielfalt?
Es macht Spaß, unterschiedliche Dinge zu tun. Es wird nie langweilig.
Wie viele Bücher haben Sie bisher publiziert?
Ich habe bei etwa 50 zu zählen aufgehört. Einige davon – etwa Handbücher zu elektronischen Geräten – sind aber relativ einfach zu schreiben.
Wie viele pro Jahr hinzu kommen, das zählen Sie aber?
So fünf, sechs sollten es dieses Jahr werden. Wenn etwas Neues dazwischenkommt, könnten es am Ende mehr sein.
Ist es richtig, dass keines Ihrer Bücher in einem klassischen Verlag mit Vorschuss, Außendienst-Konferenz und Novitäten-Vorschau erschienen ist?
Nicht zu 100%, denn sonst hätte ich den Autoren-Zugang zur Literatur-Community Lovelybooks nicht bekommen, die nur Verlagsautoren aufnimmt. Im Wesentlichen haben Sie aber recht.
Warum – wollten Sie nicht?
Es hat sich einfach nie ergeben, zumindest nicht zu Rahmenbedingungen, zu denen es sich für mich gelohnt hätte. Die Verlage waren oft zu unflexibel.
Was müsste Ihnen ein klassischer Verlag bieten, damit Sie nach seinem Vertrag greifen?
Der Verlag muss mehr können, als ich selber kann. Entweder ermöglicht er mir den Zugang zum stationären Buchhandel und beweist mir, dass mein Buch dort auch verkauft werden kann, oder er macht ein Marketing, das mir weiterhilft. Meine Rechnung muss mit Verlag besser aussehen als ohne Verlag. Mein letztes Verlagsprojekt ist an den Verwertungsrechten am E-Book gescheitert. Daraufhin bin ich zu BoD gegangen und habe neben dem E-Book einige Tausend gedruckte Bücher verkauft. Allerdings sind gerade im vergangenen Jahr viele Verlage flexibler geworden.
Steht am Beginn Ihrer Bücher die Idee, die Konzeption oder die Marktanalyse?
Bei den Handbüchern steht am Anfang die Marktanalyse, denn wenn ein Gerät sich voraussichtlich gut verkauft, wird das Handbuch sich vermutlich auch gut verkaufen. Bei allen anderen Büchern steht die Idee am Anfang, manchmal sogar ein Cover, das ich beim Grafiker in Auftrag gebe. Das Briefing zwingt zur Klärung der Buchidee.
In Verlagen überwiegt die Ansicht, für ein gutes Buch brauche man eine Art Sechs-Augen-Prinzip: Den Autor, einen Gutachter und einen Lektor, der den Text notfalls intensiv schrubbt. Wer begutachtet und schrubbt bei Ihren Texten?
Das ist unterschiedlich. Für die Belletristik habe ich einen Lektor, der auch für Verlage arbeitet. Für die Sachbücher habe ich eine Lektorin, die Germanistin und praktischerweise mit mir verheiratet ist.
Was gibt Ihnen beim Selfpublishing den „Kick“?
Wenn mich die Verkaufszahlen eines Buches überraschen. Das war etwa bei meinem Handbuch zu Amazons Fire TV der Fall. Ansonsten lebe ich von der täglichen Eigenmotivation für die Arbeit.
Denken Sie, dass es vielen anderen Selfpublishern genauso geht?
Was man von anderen professionellen Selfpublishern hört, ist ähnlich. Wenn man ernsthaft schreibt, darf man nicht warten, bis einen die Muse küsst, sondern muss sich dransetzen. Aber der Appetit kommt mit dem Essen.
Sie schicken sich an, in anderer Hinsicht für Ihre Kollegen zu sprechen. Unter Ihrer Ägide wurde gerade ein Selfpublisher-Verband gegründet. Warum müssen Sie sich organisieren, wo liegen die gemeinsamen Interessen?
Selfpublisher haben eine ganz spezifische Mischung von Interessen: Die des Autors und die des Verlegers. Die wird von keinem anderen Verband getragen. Nach innen gerichtet, wollen wir uns weiter professionalisieren, etwa im Marketing. Da geht es zum Beispiel um die Profilierung der einzelnen Autoren als Experten für bestimmte Themen und um leichtere Findbarkeit unserer Arbeit für die Presse. Nach außen gerichtet gilt es die Rahmenbedingungen in der Buchbranche zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Zum Beispiel fehlen die notwendigen Strukturen, um für sich allein den Zugang zum Buchhandel zu schaffen. Oder man kann nur als Verlag ISBNs günstig kaufen. Das ist auch im allgemeinen Branchen-Interesse: Viele Selfpublisher verzichten auf ISBNs, weil sie sie bei KDP nicht brauchen. In den USA spricht man schon vom bevorstehenden Tod der ISBN.
Wo sehen Sie gemeinsame Arbeitsfelder mit Organisationen wie dem Börsenverein? Der streckt ja bereits die Hand nach dem Selfpublisher-Verband aus.
Berührungspunkte gibt es überall dort, wo unsere Verlegerrolle ins Spiel kommt. Ein Selfpublisher ist ein Kleinverleger. Die meisten Selfpublisher würden zustimmen, dass die Buchpreisbindung erhalten bleiben sollte. Sie wünschen sich eine Verbesserung der Strukturen im Buchhandel. Sie wünschen sich Fairness im Umgang zwischen Verlag und Autor.
Wie das? Ein Selfpublisher könnte ja nur sich selbst gegenüber fair sein.
Die wenigsten Selfpublisher werden reine Selfpublisher bleiben, sondern ein Hybridmodell anstreben oder versuchen, werkbezogen die Rechte aufzuteilen.
Wie viel Umsatz wird in fünf Jahren im deutschen Sprachraum mit klassischer Verlagsproduktion gemacht werden, wie viel mit Selfpublishing?
Bei einer solchen Prognose muss ich vom ungünstigen Fall ausgehen, dass der Zugang zum Buchhandel schwierig bleiben wird. Dann bliebe das Selfpublishing auf den E-Book-Markt beschränkt. 2020 wird das E-Book 20% des deutschsprachigen Buchmarktes haben, von denen Selfpublisher 50% halten. Wenn wir besseren Zugang zum Buchhandel erhalten – wofür wir uns einsetzen –, werden wir stärker wachsen.
Foto: Birgit-Cathrin Duval
Zur Serie: Ein Seitenwechsel ist spannend, birgt Chancen und Risiken und verändert die Perspektive. Michael Lemster hat mehrfach die Seiten gewechselt: Vom Journalismus zum Verlag, zum Versandhandel, zum E-Commerce, zum Consulting. Für buchreport befragt er Seitenwechsler nach ihren Motiven und Erfahrungen. Bislang in der Serie erschienen:
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