Reiche Juden, gefährliche Muslime – und lebenslustige Franzosen: „Provokateure“ von Martin Walker (Foto) steckt voller Stereotypen. In der SPIEGEL-Bestsellerliste steht der Roman auf Platz drei. Wir beantworten die entscheidende Frage: Und das soll ich lesen? Von Maren Keller und Sebastian Hammelehle.
An dieser Stelle nehmen wir uns jede Woche den wichtigsten Neueinsteiger, Aufsteiger oder den höchstplatzierten Titel der SPIEGEL-Bestsellerliste vor – im Literatur-Pingpong zwischen Maren Keller (KULTUR SPIEGEL) und Sebastian Hammelehle (SPIEGEL ONLINE).
Keller: Wenn es nicht all diese Provinzkrimis gäbe, in denen irgendein Polizist aus persönlichen Gründen in die Pampa zieht, wäre unser aller Wissen über die Urlaubsregionen dieser Welt weitaus kleiner. Was erfährt man in Martin Walkers „Provokateure“ über das Périgord?
Hammelehle: Das Essen ist hervorragend – und man isst auch viel. Ähnliches gilt für den Wein. Bruno, der Kleinstadtpolizist, der bei Walker die Hauptrolle spielt, grüßt vor lauter Weinseligkeit beim Vorbeifahren sogar die Weinberge, um ihnen seine Reverenz zu erweisen. Du siehst schon: Ein wahrer Bilderbuchfranzose, selbstverständlich mit einem gewissen Hang zur Amour fou. Wenn nur diese Dschihadisten aus dem nahegelegenen Toulouse nicht wären. Das Frankreichbild in „Provokateure“ entspricht in etwa dem von Marine Le Pen. Deren Partei, der Front National, kommt allerdings im ganzen Roman genau einmal vor.
Keller: Zut alors!, wie es in meinem Französisch-Schulbuch in so einem Fall geheißen hätte. Dass man noch nicht einmal als Dorfpolizist in Frieden ein paar Hundert Seiten lang Wein trinken kann! Was genau hat Bruno denn mit dem Dschihad zu tun?
Hammelehle: Der lebenslustige Franzose ist ausersehen, die sinistren Muslime in Schach zu halten: Auf der ersten Seite des Romans wird eine Leiche gefunden. Wenig später ist klar, dass der Mann der Racheaktion zweier Dschihadisten zum Opfer gefallen ist. Weil Bruno ein ganz besonders vertrauenswürdiger Dorfpolizist ist, wird ihm von Armee und Geheimdienst bald darauf die Fürsorge für einen jungen Afghanistan-Heimkehrer übertragen, der in einige spektakuläre Anschläge verwickelt war. Offenbar fand Martin Walker dies alles noch nicht klischeehaft genug. Im zweiten Strang der Handlung geht es um Juden. Muss ich extra erwähnen, dass die reich sind? Das ist nicht nur haarsträubend platt, sondern angesichts des wachsenden Judenhasses, gerade in Frankreich, ein gefährlicher Rückgriff auf einen der ältesten antisemitischen Stereotypen: Die Juden haben das Geld.
Keller: Klingt so, als müsste man spätestens da aus dem Roman aussteigen.
Hammelehle: Walker hat das Buch vor den Terroranschlägen in Paris geschrieben. Das müsste die Aktualität seines Stoffes nicht schmälern. Doch ist der Versuch, einen Land- und Genusskrimi politisch aufzuladen, in diesem Buch überhaupt nicht geglückt. Es gibt von Bruno auch ein Kochbuch – das ist vermutlich die lohnendere Lektüre.
Keller: Der Ermittler Bruno könnte doch unmöglich so viele Fans haben, wenn es nicht wenigstens einen guten Satz in diesem Buch gäbe.
Hammelehle: Wäre das nicht so, als ob man in einem schlechten Wein wenigstens einen guten Schluck sucht? „Provokateure“ ist ein sehr konventionelles, stilistisch unterambitioniertes Buch mit allem, was einen Kolportageroman auszeichnet: zu viele Adjektive, schlichte Dialoge, abgegriffene Sprachbilder, unbeholfen eingearbeitetes Halbwissen und eine geradezu dämlich eindimensionale Weltsicht. Dass die Masse der Leser ein Zeichen für die Qualität eines Buchs sein könnte, wäre mir neu. Aber ich gebe gern zu, dass auch ich seit dem ersten Band mit Bruno, dem Chef de police, aus irgendeiner Sentimentalität heraus neugierig war auf die Krimis mit ihm: Die Hauptfigur, der Handlungsort, das wirkt unbesehen durchaus vielversprechend. Um auf deine erste Frage zurückzukommen: Vermutlich lernt man in diesem Buch über das Périgord vor allem, dass man den dort spielenden Krimis misstrauen sollte.
Keller: Und das soll ich lesen?
Hammelehle: Gelegentlich beschweren sich Leser, dass wir uns dieser Frage zu sehr durch die Blume näherten. Das soll heute nicht geschehen. Meine Antwort ist: Nein! Von den Kriminalromanen, die wir in den vergangenen Kolumnen besprochen haben, von Tess Gerritsen, Jan Weiler, Martin Suter oder Jussi Adler-Olsen, ist „Provokateure“ mit Abstand der schlechteste. Eigentlich ist dieses Buch nicht einmal ein Krimi. Die Täter stehen nach wenigen Kapiteln fest.
Sebastian Hammelehle ist Kulturredakteur bei SPIEGEL ONLINE. Sein liebster französischer Krimi ist „Maigret und die junge Tote“ von Georges Simenon.
Maren Keller ist Redakteurin beim KULTUR SPIEGEL. Sie mag Kommissar Georges Dupin, der mehr Kaffee als Wein trinkt .
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