Die Westernparodie „Colt Express“ (Verlag Ludonaute) gewann die Auszeichnung als „Spiel des Jahres“ 2015. Der Preis ist den meisten Deutschen ein Begriff und hat eine massive ökonomische Bedeutung. Mit der Auszeichnung soll die Sensibilität fürs Thema Spiel bei Medien und Kunden erhöht werden.
Was haben die Spiele „Heimlich & Co.“, „Elfenland“ und „Qwirkle“ gemeinsam? Sie alle wurden mit dem bedeutsamsten Preis der Spielebranche ausgezeichnet und dürfen sich „Spiel des Jahres“ nennen. Seit 1979 prämiert der gleichnamige Verein qualitativ herausragende und zugleich massentaugliche Spielpublikationen.
Die Spiele müssen nicht von deutschen Autoren stammen oder ursprünglich bei einem deutschen Verlag erschienen sein, aber im deutschen Handel in einer deutschsprachigen Ausgabe erhältlich sein. Nach diesem ersten Filter bleiben 300 bis 400 Spiele übrig, die jährlich von den Jurymitgliedern geprüft werden müssen. Neun Juroren stellen eine Empfehlungsliste von etwa 50 Titeln zusammen. Jeder bringt üblicherweise zehn bis 20 Titel ein, die er favorisiert. Bei der anschließenden Abstimmung votieren alle nicht bloß für ihre Lieblingsspiele, sondern für den Titel, der in ihren Augen den Anspruch voll erfüllt, den die Verbraucher ans „Spiel des Jahres“ stellen. Anschließend werden Empfehlungslisten und die für die drei Hauptpreise nominierten Spiele veröffentlicht. Später erfolgt die Bekanntgabe der Gewinner.
Niedrigschwelliges für den Hauptpreis
Die Differenzierung in mittlerweile drei Preise ist zum einen der großen Vielfalt auf dem Markt geschuldet, zum anderen ist der Hintergedanke, dass nicht nur ein einziger Verlag von der Strahlkraft der Auszeichnung profitieren soll. Zudem lassen sich weder großartige Kinder- noch Kennerspiele als „Spiel des Jahres“ prämieren, weil jeder hier ein Familienspiel für ein möglichst breites Publikum erwartet. Werden zu viele Leute beim blind-vertrauensseligen Griff zum Siegertitel enttäuscht, könnte das Siegel womöglich über kurz oder lang seine immense Multiplikatorenwirkung einbüßen.
Bernhard Löhlein, seit 2003 Jurymitglied und inzwischen zudem Vereinssprecher, legt großen Wert darauf, der Erwartungshaltung der Verbraucher und den eigenen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden: „Für Spiele existieren kaum Bestenlisten. Das heißt, es gibt aus Kundenperspektive wenig Möglichkeiten, sich kundig zu machen und aus Anbieterperspektive wenig Möglichkeiten, die eigenen Produkte zu vermarkten. Wir sehen uns in einer Vermittlerposition.“ Löhlein zufolge hat das „Spiel des Jahres“ zwei Funktionen:
- Spielmotivation: Mit dem Logo, das sich dezidiert an Erwachsene richtet, wird das Thema Spielen aus der Kinderecke herausgeholt. Der leichte Zugang und Einstieg ermuntert Leute, die nur ein begrenztes Spielinteresse haben, diesem immerhin gelegentlich nachzugehen.
- Qualitätssicherung: Die Verlage bemühen sich, die Anforderungen der Jury bei möglichst vielen ihrer Produkte zu erfüllen, um die bestmöglichen Chancen auf einen Sieg zu haben. Folglich bringen sie mehr hochwertige Spiele auf den Markt.
Lizenznehmer finanzieren den Verein
Löhlein arbeitet hauptberuflich als verantwortlicher Redakteur für den kirchlichen Hörfunk der Diözese Eichstätt; wie alle Jurymitglieder ist er auf ehrenamtlicher Basis für Spiel des Jahres e.V. tätig. Kosten fallen trotzdem an, unter anderem für:
- Die Geschäftsstelle und die Gehälter der dort angestellten Mitarbeiter,
- Messestände,
- die Spesen der Jurymitglieder,
- die Förderung spielerischer Projekte wie Ausstellungen oder Buchprojekte.
Die Finanzierung erfolgt zu einem großen Teil über Lizenzgebühren, die jeder Verlag zahlt, wenn er das Logo auf die Packung seiner Spiele drucken und damit werben will: Ein paar Cent gehen von jedem verkauften Spiel an den Verein. Da er keinerlei direkte Gelder erhält, ist er auf die Zahlungen angewiesen. Dennoch versichert Löhlein, die Jury wähle die Siegertitel nicht nach dem Einnahmepotenzial aus, es könnte auch mal ein Verkaufsflop dabei sein, der dann weniger Geld einbringe.
Dass ein prämierter Titel komplett enttäuscht, ist allerdings ausgesprochen unwahrscheinlich. Die Sogwirkung des Preises ist schlichtweg zu groß. „Wir sind uns der großen Verantwortung bewusst, die wir gegenüber den Verlagen wegen der Auswirkungen haben, die der Preis mit sich bringt“, erklärt Löhlein. „Viele Leute kaufen schließlich jährlich nur ein einziges Spiel: Das jeweilige ‚Spiel des Jahres‘.“
Spiel des Jahres fungiert als Indikator
Von den Auswirkungen des „Spiels des Jahres“ weiß auch Moritz Brunnhofer zu berichten. Der Geschäftsführer des Spieleverlags Hans im Glück verfügt über einen gewissen Erfahrungsschatz: Sechsmal ging die Auszeichnung seit dessen Gründung 1983 aufs Konto des Verlags. „Das ‚Spiel des Jahres‘ hat einen bedeutenden Anteil an der Spielelandschaft und ist mitverantwortlich für die Größe des Marktes“, ist Brunnhofer sicher. In keinem anderen Land gebe es einen derart populären und erfolgreichen Spielepreis. Meist sei die Auszeichnungslandschaft schlichtweg zu unübersichtlich: „Händler und Kunden wollen eine klare Empfehlung haben.“ Das „Spiel des Jahres“ bediene dieses Bedürfnis mit einer stets soliden Titelauswahl.
Brunnhofer kann gut nachvollziehen, dass sich Laien, die tatsächlich nur ein oder zwei Spiele im Jahr kaufen, nicht in der Recherche verlieren wollen und daher oft zu prämierten Titeln greifen. Er beobachtet, dass als zweites Auswahlkriterium anstelle der Empfehlung des Fachhändlers zunehmend Online-Bewertungen herangezogen werden, was auch daran liege, dass sich der Handel immer stärker auf die reine Sortimentspflege beschränke. Neue, unbekannte Titel (jenseits der Erweiterungen und Spin-offs) gut zu platzieren, ist für die Spieleverlage eine große Herausforderung, zumal neben den Verlagen insbesondere auch die Autoren in der öffentlichen Wahrnehmung nicht annähernd so bedeutsam seien wie im Buchbereich, urteilt Brunnhofer. Ohnehin sei „Marketing für Spiele immer schwierig“. Das „Spiel des Jahres“ lasse zumindest ein paar wenige Leute auf den Siegerverlag und seine Produkte aufmerksam werden.
Zwar existieren in Deutschland, Österreich und der Schweiz diverse weitere Spielepreise, aber die meisten von ihnen sprechen eine besondere Klientel an oder fokussieren auf einen speziellen Unterbereich. So werden hervorragend illustrierte und gestaltete Spiele mit dem „Graf Ludo“ prämiert, die beste Spielanleitung wird mit der „Essener Feder“ ausgezeichnet. Zudem existieren beispielsweise ein „Deutscher Lernspielpreis“ und der österreichische Fantasyspielpreis „Griffin Scroll“. Eine wirklich übergeordnete Relevanz hat einzig der „Deutsche Spielepreis“ – der aber „ökonomisch gesehen nicht interessant“ ist, bekundet Brunnhofer, der mit „Russian Railroads“ den Preisträger 2014 im Programm hat.
Mehr zur Auszeichnung „Spiel des Jahres“ und dem Verkauf von Spielwaren im Buchhandel im buchreport.magazin 5/2015 mit dem Schwerpunkt Hobby/Freizeit/Spiele, hier zu beziehen.
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