Lesen macht glücklich und klug. Warum sind die, die den Menschen dieses Zaubermittel erst geben, so oft deprimiert, resigniert oder zynisch? Eine chronisch negative Grundstimmung ist in Medienunternehmen eine weit verbreitete Störung. Sie macht nicht nur die Mitarbeiter unglücklich, sie verschlechtert auch die Ergebnisse: „Aus einem verzagten A**** kommt kein fröhlicher F***,“ formulierte es Martin Luther derb, aber treffend. Wie Manager ihre Teams konkret aus der Negativität zu positiven Ergebnissen führen können, zeigt ein exklusiver Auszug aus „Der Positiv-Effekt“ von Sven C. Voelpel und Fabiola H. Gerpott.
Das Herz in die Hand nehmen
Wer sich in Bewertungsportalen für Arbeitgeber umsieht, stellt immer wieder fest: der Fisch stinkt vom Kopf her. Nie schreibt jemand: Die Führung ist Klasse, aber die Kollegen unmöglich. Umgekehrt heißt es oft sinngemäß: Wenn die tollen Kollegen nicht wären, wäre es bei diesem Arbeitgeber nicht auszuhalten. Leadership, gerade in der Medienbranche, bedeutet also auch: das Herz in die Hand zu nehmen, sich aus der Suggestionsspirale negativer Stimmungen und Erwartungen zu befreien und dem anvertrauten Team Optimismus und positive Tatkraft vorzuleben.
Das Fachbuch zeigt, wie Führungskräfte mit einer Umstellung der Einstellung Positives bewirken und die Ergebnisse nachhaltig zum Guten beeinflussen können.
„Die schnelle Dosis Vitamin +“ – zur Orientierung
- Zur Unternehmensstrategie gehören langfristig verfolgte Ziele sowie das Bündel von Aktivitäten, welches ein Unternehmen von anderen unterscheidet.
- Etwa 70 Prozent aller entwickelten Strategien scheitern. Der Hauptgrund: Die menschliche Komponente wird nicht ausreichend berücksichtigt.
- Das strategische Management unterliegt einem radikalen Wandel, der weg von traditionellen, linearen hin zu agilen Strategieentwicklungsprozessen geht. Eine Poised Strategy setzt auf die Erzeugung positiver Veränderungsenergie durch die Balance von inkrementellen und radikalen Geschäftsmodellen.
- Die Behavioral-Strategy-Forschung wendet Erkenntnisse aus der Kognitions- und Sozialpsychologie auf das strategische Management an, um realistische Strategien zu entwickeln und umzusetzen.
- Beim Gruppendenken passen die Teammitglieder ihre Meinung an die angenommene Gruppenmeinung an und treffen schlechte Entscheidungen. Rollenzuordnungen können dieser Tendenz entgegenwirken.
- Nach dem Carnegie-Modell sind Organisationen politische Arenen, in denen Manager mit limitiertem Informationszugang bedingt rationale, durch organisationale Sub-Gruppierungen beeinflusste Entscheidungen treffen. Für gute Entscheidungen müssen diese Tendenzen transparent gemacht werden und einer kritischen Verzerrungsprüfung standhalten.
- Teams und Organisationen haben wie Menschen Persönlichkeitszüge. Entwickeln Sie Ihr Unternehmen zu einem charismatischen Charakter!
Anders sein als die anderen: Positive Strategieentwicklung
Die Unternehmensstrategie beschreibt nach Michael E. Porter eine Anordnung von Aktivitäten, die Organisationen von Wettbewerbern unterscheidet. Sie bezieht sich auf die langfristige Vorstellung davon, welche durch das (Top-)Management definierten Ziele erreicht werden sollen. Während sich das operative Management damit befasst, die Dinge richtig zu tun, geht es bei der Strategieformulierung darum, die richtigen Dinge zu tun. Damit stellt die Unternehmensstrategie den zentralen Stellhebel für den künftigen Erfolg eines Unternehmens dar.
Entsprechend umfassend ist auch die vorhandene Literatur zu dem Thema: Von anekdotischen Ratschlägen über detaillierte Beschreibungen des Strategieprozesses bis hin zu Anleitungen für die Gestaltung von Strategie-Workshops lässt sich zu jedem Aspekt der Strategieformulierung eine Vielzahl von Büchern und Artikeln finden. An erfolgreich formulierten Strategien scheint es also nicht zu mangeln – und doch scheitern etwa 70 Prozent aller Strategien. Sie werden nie oder nur unvollständig in die Umsetzung gebracht oder verstauben als wohlformuliertes Konzeptpapier in den Schubladen. Häufige Gründe dafür sind die Veränderungsresistenz der Führungskräfte und der Belegschaft, eine unpassende Unternehmenskultur oder ein mangelndes Gefühl der Dringlichkeit.
Im vorherigen Kapitel haben wir uns bereits damit befasst, welche emotionalen Zustände Individuen bei Veränderungsprojekten durchlaufen und wie der Positiv-Effekt für einen erfolgreichen Umgang damit genutzt werden kann. In diesem Kapitel soll es darum gehen, wie der Positiv-Effekt bei der Strategieformulierung zur Anwendung gelangt. Dafür stellen wir das Konzept der Poised Strategy (zu Deutsch: souveräne/ selbstsichere Strategie) vor, welches sich als Gegenentwurf zu traditionellen Strategieentwicklungsansätzen versteht. Außerdem greifen wir auf Befunde aus der Behavioral-Strategy-Forschung zurück. Diese wendet wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Kognitions- und Sozialpsychologie auf das Management von Unternehmensstrategien an. Dahinter steht die Idee, dass Menschen auch bei der Strategieformulierung nicht streng rational agieren; vielmehr lassen sie sich durch Umwelteinflüsse positiv oder negativ beeinflussen.
Veränderungen des strategischen Managements: Poised Strategy
Der Prozess der Strategieformulierung hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Abbildung „Strategieschwerpunkte“ vergleicht den früheren Fokus von Unternehmensstrategien mit den heutigen Schwerpunktsetzungen.
Unternehmen agierten in der Vergangenheit wie Maschinen, bei denen ein Zahnrad in das andere griff. Mitarbeiter stellten die schnell ersetzbaren Zahnräder dar, die als weniger wichtig als die Maschine an sich angesehen wurden. Effizienz und Kalkulierbarkeit leiteten Investitionsentscheidungen. Heute bauen Internetfirmen wie Google Autos; Privatpersonen werden zur Konkurrenz für Hotels, indem sie über Plattformen wie Airbnb ihre Wohnungen vermieten. Die alte, neoklassische Logik funktioniert nicht mehr: Entwicklungen sind weniger vorhersehbar, Investitionen müssen nach „Impact-Kriterien“ und nicht mehr nur nach finanziellen Gesichtspunkten getroffen werden. Amazon-Gründer Jeff Bezos zum Beispiel priorisiert das Unternehmenswachstum konsequent höher als die Gewinnmaximierung. Erfolgreich ist, wer Einfluss auf die Kunden hat und ein Element ihres Lebens wird. Die Definition einer disruptiven Innovation hängt nicht vom Grad der Kreativität ab, sondern von der Reichweite und dem ausgeübten Einfluss auf das Marktgeschehen.
Unternehmen haben eine Aufwertung von der starren Maschine zum lebenden Organismus erfahren. Damit steigt auch die Bedeutung der Mitarbeiter, die als Zellen des Organismus alle Informationen der Organisation in sich tragen. Agilität ist heute das leitende Prinzip der Strategieentwicklung, um auf komplexe, unsichere und nicht immer eindeutige Umweltzustände reagieren zu können. Agilität bezeichnet Reaktionsfähigkeit, Flexibilität, Schnelligkeit und eine umgehende Kompetenzanpassung an neue Umweltzustände. Anstatt lange und detailliert die Ziele der Zukunft zu planen, werden im agilen Strategieentwicklungsprozess in kurzen Meetings – in der Regel dauern sie einen halben Tag bis maximal zwei Tage – mögliche Richtungen entworfen und priorisiert. Um die Diskussion diverser Perspektiven zu fördern, nehmen an diesen Meetings neben dem Topmanagement auch Vertreter verschiedener Belegschaftsgruppen sowie Themenexperten teil. Im Anschluss kümmern sich Verantwortliche, welche von den Teilnehmern im Meeting bestimmt werden, um eine Prüfung der Realisierbarkeit. Bestehen die entwickelten Ziele den Check, werden sie Teil der sich ständig verändernden Strategie-Landkarte. Ein ad hoc zusammengesetztes Projektteam kümmert sich im nächsten Schritt um die unternehmensübergreifende Umsetzung. Durch die Regelmäßigkeit der kurzen Strategiemeetings (etwa alle drei Monate) bleibt die Strategie stets an aktuelle Umweltereignisse anpassbar. Gleichzeitig trägt dieser Ansatz der Tatsache Rechnung, dass Strategieentwicklung kein linearer Prozess ist, sondern Analyse-, Ausarbeitungs- und Umsetzungsaspekte parallel laufen und ineinander verwoben sind.
Der Fokus der Strategieentwicklung liegt dabei auf der Entdeckung sogenannter „Blue Oceans“. Der Ansatz wurde von den INSEAD-Wissenschaftlern W. Chan Kim und Renée Mauborgne basierend auf Fallstudien und empirischen Erhebungen vorgeschlagen. Ziel einer Blue-Ocean-Strategie ist es, außerhalb der bestehenden sogenannten roten Märkte neue Industriezweige zu entdecken und damit der Konkurrenz zu entkommen. Anstatt Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln und zu optimieren, sollen mittels Geschäftsmodellinnovationen neue Kundengruppen erschlossen werden. Kim und Mauborgne geben dem anwendungswilligen Praktiker in ihrem Buch „Der Blaue Ozean“ als Strategie verschiedene Instrumente an die Hand, die bei der systematischen Erschließung neuer sogenannter blauer Märkte helfen können. Unabhängig davon mittels welcher Instrumente Unternehmen auf innovative Geschäftsmodellideen kommen: Fest steht, dass Firmen wie der Fahrdienstleister Uber oder der Wohnungsvermittler Airbnb mit derartigen Geschäftsmodellinnovationen die bestehenden Marktlogiken auf den Kopf stellen. Damit sinkt die Überlebenschance von traditionell orientierten Unternehmen, die sich nach wie vor auf Ressourcenansammlung und Kernkompetenzausbau konzentrieren.
Während sich Unternehmen früher für eine Kostenführerschafts-, Differenzierungs- oder Nischenstrategie entschieden, beschreibt der Poised-Strategy-Ansatz einen Gegenentwurf für die heutige, innovationsgetriebene Welt. „Poised“ bedeutet so viel wie „selbstsicher“ oder „souverän“ und bezieht sich auf ein Mindset der positiven Veränderungsenergie. Das Konzept steht mit der Fokussierung auf verschiedene Geschäftsmodellinnovationen im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen der inkrementellen Geschäftsmodelloptimierung. Der Strategieentwicklungsprozess wird als nicht linearer, evolutionärer Anpassungsprozess betrachtet. Anstatt sich auf Kernkompetenzen zu konzentrieren, geht es darum, ein Portfolio neuer Businessmodelle in den verschiedensten Bereichen auszuprobieren, die sich im Grad der Radikalität unterscheiden. Ein Businessmodell umfasst dabei die Beschreibung der Architektur für ein Produkt oder einen Service inklusive der für die Umsetzung notwendigen Businessakteure. Es sagt also aus, wie eine Geschäftsidee funktionieren soll. Durch die Kombination aus inkrementellen Verbesserungen von bewährten Businessmodellen sowie im Radikalitätsgrad variierenden innovativen Businessansätzen entsteht neue organisationale Energie. Diese bezeichnet nach der Professorin Heike Bruch die Kraft, mittels derer Unternehmen arbeiten und zielgerichtet Dinge bewegen können. Während die traditionelle Strategieentwicklung eher auf resignativer Energie oder angenehmer Trägheit fußt, orientiert sich der Poised-Strategy-Ansatz an der Erzeugung produktiver Energie durch einen Mix aus inkrementellen und radikalen Innovationsbemühungen.
Auch die Organisationsprinzipien, mittels derer Strategien umgesetzt werden, verändern sich. Die Tendenz geht weg von bürokratischen Kontrollsystemen hin zu meritokratischen Steuerungsprinzipien, also nach Leistung und Fähigkeiten. Es zählt weniger, wer etwas sagt, sondern vielmehr, was gesagt wird. Das Auflösen von Organisationsgrenzen führt dazu, dass Strategien immer öfter in Kooperation oder Abstimmung mit Stakeholdern außerhalb des Unternehmens entwickelt werden. Anstatt nur die Marktposition des eigenen Unternehmens zu optimieren, muss in einem solch komplexen, kooperativen Strategieentwicklungsprozess deutlich ganzheitlicher und nachhaltiger gedacht werden.
Sie ahnen sicherlich, dass eine häufige Reaktion von Unternehmensvertretern auf diese zunehmenden Herausforderungen keine sonderlich positive ist. Damit stehen diese Menschen sich selbst im Weg: Anstatt kreativ zu werden, ihre Aufmerksamkeit zu weiten und andere Menschen mit neuen Ideen anzustecken, sitzen in einem Strategiemeeting schlecht gelaunte Manager herum, die mit inkrementellen Verbesserungsvorschlägen das Unternehmen zu retten versuchen. Diese Einstellung steht in starkem Kontrast zur Reaktion von Kindern auf scheinbar unlösbare Situationen. Zur Illustration einer optimistischen Lernorientierung beschreibt Professorin Carol Dweck, wie sie in einem Experiment versuchte, den Umgang von Kindern mit Fehlern zu studieren: Dazu mussten die Kinder verschiedene Puzzles lösen, angefangen von leichten Herausforderungen bis zu schier unlösbaren Puzzles. Die Wissenschaftlerin erwartete, dass die Kinder entweder gefasst oder frustriert darauf reagieren würden, wenn sie Fehler machten und die Puzzleaufgabe nicht lösen konnten. Was aber passierte, überraschte sie: Die Kinder schienen die Herausforderung zu lieben! Sie dachten nicht in einem Mindset von „Fehlern“ oder „Niederlage“, sondern sahen die Situation vielmehr als ein Geschenk zum Lernen an. Die Kinder waren fest davon überzeugt, dass sie sich selbst verändern können, und dann würden sie die Situation bewältigen. Diese Einstellung steht in starkem Kontrast zu dem inneren Glaubenssatz, dass die Dinge nun einmal sind, wie sie sind, und sich auch in Zukunft kaum verändern werden. Carol Dweck nutzt dieses Beispiel, um zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass Menschen mit Führungsverantwortung an ihrem Mindset arbeiten.
Verändern Sie Ihre innere Einstellung und die Ihres Unternehmens weg von einer reinen Gewinnausrichtung hin zu einer Lern- und Verbesserungsorientierung. Selbstverständlich sind wirtschaftliche Erfolgskennzahlen wichtig. Aber diese kommen von selbst, wenn Ihr Unternehmen die grundsätzlich richtige Ausrichtung hat.
Was können Sie tun, um bei der Strategieentwicklung in Ihrem Unternehmen negative Wahrnehmungsverzerrungen zu vermeiden? Wie erhöhen Sie die organisationale Energie und füllen einen Poised-Strategy-Ansatz mit Leben? Neben den grundsätzlichen Regeln des positiven Selbstmanagements (siehe Kapitel 2), des positiven Primings (siehe Kapitel 3) und der konstruktiven Kommunikation (siehe Kapitel 5) helfen Befunde aus der Behavioral-Strategy-Forschung bei der Entfaltung des Positiv-Effekts.
Aufbauend auf der hohen Versagensquote von Unternehmensstrategien haben sich die Anhänger dieser Wissenschaftsrichtung das Ziel gesetzt, das strategische Management um realistischere Annahmen über menschliche Kognition, Emotionen und soziales Verhalten zu bereichern. Ihre Annahme ist, dass Strategietheorien deshalb nicht funktionieren, weil sie die „menschliche Komponente“ außer Acht lassen. Gute oder schlechte Strategien entstehen durch eine Analyse der Ist-Situation, das Abwägen künftiger Entwicklungen, die Entwicklung möglicher strategischer Richtungen und schließlich eine Entscheidung für die künftig zu verfolgende Strategie. Für jeden dieser Schritte gibt es Theorien, Konzepte und Ratgeber – und doch handeln Manager nicht immer im Einklang damit. Der Trend zu nicht linearen, multiplen Strategien missfällt ihnen, weil das menschliche Gehirn Ordnung, Klarheit und Eindeutigkeit bevorzugt. Wie jeder Mensch unterliegen auch Manager bestimmten Denkmustern, Heuristiken und erfahrungsbedingten Verhaltenstendenzen, die rationales Entscheiden verhindern können. Nutzen Sie an dieser Stelle den Positiv-Effekt! Durch Ihr eigenes zuversichtliches und reflektiertes Verhalten können Sie irrationale Entscheidungen abwenden und in eine realistische Richtung drängen. Durch das Verbreiten von Optimismus verhindern Sie zudem, dass das Managementteam unter Stress gerät – eine schlechte Grundlage für gute Entscheidungen.
Innerhalb der Behavioral-Strategy-Forschung können drei verschiedene Strömungen unterschieden werden, die sich auf unterschiedliche Ebenen des menschlichen Handelns beziehen.
- Die Reduktionisten konzentrieren sich auf individuelle sowie teambezogene Entscheidungsfindung, Heuristiken und Wahrnehmungsverzerrungen. Ihre Grundannahme ist, dass Unternehmensentscheidungen durch Topmanager beziehungsweise Topmanagementteams getroffen werden. Die Quelle für Fehlentwicklungen liegt darin, dass strategische Entscheidungen das Resultat subjektiver Präferenzen sind.
- Bei den Pluralisten stehen Verhandlungen zwischen verschiedenen Gruppen, politische Ränkespiele, Konfliktlösungen, organisationales Lernen und Ressourcenverteilungen im Vordergrund. Sie stützen sich auf die Leitidee, dass Unternehmen aus verschiedenen Sub-Gruppierungen mit widersprüchlichen Zielen und Perspektiven bestehen. Strategien werden mittels Verhandlungen und Auflösung von Unstimmigkeiten zwischen diesen Gruppen entwickelt. Um gute Entscheidungen treffen zu können, müssen (Sub-)Gruppen und deren Interessen im Unternehmen verstanden und auf konstruktive Art und Weise integriert werden.
- Die Kontextualisten konzentrieren sich dagegen auf die Analyse des strategischen Managements unter Berücksichtigung der in einem Unternehmen verwendeten Sprache, sichtbaren oder unsichtbar vorhandenen Glaubenssätzen und Ideologien, Symbolen sowie der Unternehmenskultur. Anhänger dieser Strömung halten Organisationen und deren Umwelt für sozial konstruiert. Dementsprechend sind Entscheidungen und Handlungen voneinander abgekoppelt; Organisationsmitglieder sind vor allem bemüht, Sinn und Passung mit den subjektiv empfundenen Unternehmenszielen herzustellen („Sensemaking“-Prozess). Um realistische strategische Pläne zu entwickeln, ist es notwendig, die unsichtbare Firmenkultur und verborgene Überzeugungen zu erkennen und in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen beziehungsweise zu verändern.
Jede der drei Perspektiven kann für zukunftsfähige strategische Entscheidungen hilfreich sein. Im Folgenden betrachten wir aus reduktionistischem Blickwinkel die Vermeidung von Gruppendenken beim Treffen strategischer Entscheidungen. Aus der pluralistischen Strömung ziehen wir Erkenntnisse hinsichtlich der Organisation als politische Arena. Beide Ansätze helfen, sich der menschlichen Irrationalität in scheinbar objektiven Entscheidungs- und Umsetzungssituationen bewusst zu werden. Positiv daran ist, dass Sie mit einem entsprechenden Mindset die besten Seiten Ihrer Kollegen und Mitarbeitern hervorrufen können. Erinnern Sie sich noch einmal an die Botschaften aus Kapitel 2 zum Thema Selbstmanagement: Übereilen Sie strategische Entscheidungen nicht. Praktizieren Sie das Mindfulness-Konzept und stecken Sie damit den Rest des Entscheidungsteams an, ganz nach dem Motto: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam.“
Gruppendenken vermeiden
In einer Befragung von 2207 Managern durch die Strategieberatung McKinsey äußerten sich zwölf Prozent kritisch gegenüber der Qualität der in ihrem Unternehmen getroffenen strategischen Entscheidungen: Sie waren der Meinung, dass gute Strategien eher selten anzutreffen seien. Weitere 60 Prozent der Befragten sagten aus, dass gute und schlechte strategische Entscheidungen etwa gleich häufig auftraten. Damit bleiben nur 28 Prozent der Unternehmensvertreter übrig, welche die Qualität strategischer Entscheidungen in ihrem Unternehmen als generell gut beurteilen. Worin unterscheidet sich der Entscheidungsprozess für Strategien, die sich im Nachhinein als erfolgreich erweisen, von schlechten Strategieformulierungen? Neben den nur wenig beeinflussbaren Industrie- und Umweltfaktoren stellten die Studienverantwortlichen fest, dass der Erfolg vor allem von der Qualität des Entscheidungsprozesses abhing. Die Analysephase war dabei nicht unerheblich: Keine einzige gute Entscheidung wurde ohne fundierte Datengrundlage getroffen. Eine qualitativ hochwertige Analyse ist also notwendig, aber noch lange nicht hinreichend für erfolgreiches strategisches Management. Doch woran liegt es, dass manche Teams, bestehend aus hochkompetenten Managern, bei Entscheidungssituationen schlecht abschneiden – oft sogar schlechter, als wenn jedes Individuum allein eine Entscheidung treffen würde?
Das Phänomen der nachteiligen Entscheidungen von Gruppen wird in der Forschung auch unter dem Aspekt des Gruppendenkens (engl. group think) behandelt. Es beschreibt die Tatsache, dass die Mitglieder von sozialen Gruppierungen aufgrund von Harmoniebestreben ihre Meinung an die angenommene Gruppenmeinung anpassen und so irrationale oder objektiv nicht nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Ein häufig angeführtes Beispiel für dieses Phänomen stellt das Debakel der Schweinebucht-Invasion dar. Ein CIA-Team unter dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy entwickelte 1961 im Zuge der Kubakrise die Idee, Exil-Kubaner auszubilden, um die Regierung des Revolutionärs Fidel Castro zu stürzen. Der vollkommen unausgegorene Plan wurde von einem kleinen, autarken Team erfahrener Experten ausgearbeitet und in die Umsetzung geführt. In der Konsequenz griffen am 17. April 1961 rund 1300 Exil-Kubaner die Schweinebucht an, wo sie von rund 20 000 kubanischen Soldaten empfangen wurden. Die gesamte Operation entwickelte sich zu einem Debakel, bei dem über 1000 Gefangene durch Kuba gemacht wurden. Eine Involvierung der US-Regierung ließ sich nicht mehr verheimlichen. Wie konnte solch ein abzusehendes Desaster geplant und als vielversprechend abgesegnet werden?
Der Wissenschaftler Bertram Raven führt die Invasion als prototypisches Beispiel für das Group-think-Phänomen an: Eine weitestgehend selbstgesteuerte Gruppe fällt Entscheidungen, bevor sie alternative Möglichkeiten realistisch eingeschätzt hat. Typische Merkmale sind die Selbstüberschätzung der Gruppe, die kollektive Rationalisierung, der gefühlte Gruppenzwang (alle gehen davon aus, der Meinung der anderen zu folgen, ohne dass diese explizit diskutiert wird) sowie eine starke Homogenität der Gruppenmitglieder.
Das Beispiel der Schweinebucht-Invasion verdeutlicht die Gefahr von sich verselbstständigenden Gruppendynamiken. Sie haben sicher schon am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, wenn in einem (Strategie-) Meeting das Group-think-Phänomen zuschlägt: Da ist die Bewunderung für bestimmte „Experten“ im Raum, eine leichte Müdigkeit oder ein enthusiastisch erlebter Größenwahnsinn – und schon werden Entscheidungen schneller durchgewinkt, als dies in einem anderen, weniger emotional aufgeladenen Setting der Fall gewesen wäre. Zudem unterliegen auch Topmanager der Neigung, Vertrautes zu bevorzugen; eine gefährliche Tendenz, wenn es um die Entwicklung zukunftsträchtiger Strategien geht. Wie können Sie Gruppendenken vermeiden? Nutzen Sie eine abgewandelte Form des in Kapitel 1 beschriebenen Wertschöpfungsportfolios der verschiedenen Managementtypen für die Verteilung von Rollen in Entscheidungsteams. Jedes Mitglied übernimmt dabei eine der vier Rollen:
- „Der Fähige“ hat die Aufgabe, sich bei der Entscheidungsfindung auf Zahlen, Daten und Fakten zu konzentrieren. Er steht für die klassischen Instrumente der Strategieentwicklung, inkrementelle Innovationen und den Ausbau von Kernkompetenzen. Er kann sich durch unternehmensinterne oder externe Fachexperten beraten lassen oder diese als Vortragende in die Meetings holen. Seine Aufgabe ist es, die gründliche Prüfung aller aussichtsreichen Optionen sicherzustellen.
- „Der Träumer“ vertritt eine uneingeschränkt optimistische Sichtweise. Er setzt sich für disruptive Innovationen, radikale Kulturbrüche und unkonventionelle Ideen ein. Inspirationen kann er sich zum Beispiel bei Start-ups, Bloggern, radikalen Denkern, Anthropologen oder Philosophen einfangen, die er gern in die Sitzung des Entscheidungsteams einlädt. Seiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt; je mehr „out of the box“, desto besser!
- „Der Wertschöpfer“ befindet sich zwischen den Betrachtungsweisen des Fähigen und des Träumers. Er hat sich mit den Grundprinzipien der Poised Strategy auseinandergesetzt und sucht die Balance zwischen disruptiver und inkrementeller Innovation. Seine Aufgabe ist es, die Realitäts- und Zukunftsfähigkeit zu prüfen. Wenn er seine Funktion gut ausfüllt, stehen am Ende des Entscheidungsprozesses sowohl eher traditionell orientierte Businessmodelle als auch experimentelle Strategieideen.
- „Der Kritische“ darf offiziell zur Schwarzmalerei neigen. Er findet die Nachteile in jeder vorgeschlagenen Option; Kritik ist seine Kernkompetenz. Seine Rolle ähnelt der des Gruppen-Sokrates (siehe Kapitel 5): Durch ständiges Nachfragen deckt er Schwachstellen auf und ermöglicht so eine Verbesserung vorgeschlagener Lösungsalternativen.
Die Organisation als politische Arena
Während der strategischen Entscheidungsfindung vertritt jedes Mitglied des Topmanagements seine eigenen Interessen. Das Carnegie-Modell der Entscheidungsfindung – benannt nach der Carnegie-Mellon-Universität, an der die Wissenschaftler Richard M. Cyert und James G. March das Modell entwickelten – basiert auf genau diesen Annahmen: Manager haben limitierten Informationszugang, handeln nur bedingt rational und sind Mitglieder von organisationalen Sub-Gruppierungen, die sie in ihren Entscheidungen beeinflussen. Unternehmensstrategien sind dementsprechend das Ergebnis von politischen Verhandlungen und vielen kleinen Entscheidungen der Vertreter von innerorganisationalen Sub-Strömungen.
Sie können diese (unterschwelligen) politischen Kämpfe in positive Energie umwandeln, indem Sie sie in Ihren Strategiemeetings transparent machen. Beauftragen Sie die Meetingteilnehmer beispielsweise, sich im Raum zu verteilen, indem sie sich nach der Zustimmung zu den verschiedenen strategischen Optionen gruppieren. Lassen sich Cluster erkennen? Wie können diese Sub-Gruppierungen benannt werden? Die verschiedenen „politischen Strömungen“ sollen nun ihren Wahlkampf vorbereiten: Jede Gruppe darf drei Minuten für die eigene Position argumentieren und die Kernargumente schriftlich fixieren. Im Anschluss erfolgt eine kurze Ablösungsphase von den inhaltlich vorgebrachten Argumenten. Machen Sie eine kurze Pause und bringen Sie etwas Humor in die Runde, etwa mithilfe eines lustigen Videoclips.
Im nächsten Schritt gehen Sie weg von den Inhalten und diskutieren mit der Gruppe kognitive Verzerrungseffekte: Neigt das Team momentan zu übermäßigem Aktionismus („Hauptsache, wir tun etwas“)? Gibt es bei einigen Sub-Gruppen Tendenzen zu Schwarz-Weiß-Denken? Überstrahlen vergangene Ereignisse die aktuelle Lösungsfindung? Verliert sich die Organisation in Jammerzirkeln? Ist das Team zu konsensorientiert? Lassen Sie sich von den online und offline verfügbaren Listen zu kognitiven Verzerrungstendenzen inspirieren. Hauptsache, Sie evaluieren die Perspektiven der unterschiedlichen Sub-Gruppierungen unter diesen Gesichtspunkten, bevor Sie zur endgültigen Entscheidungsfindung übergehen!
Die im Anschluss an die Entscheidung notwendige Strategieumsetzung hängt von den emotionalen Fähigkeiten der Organisation ab. Diese beschreiben die Fähigkeiten des Topmanagements, die unterschiedlichen Emotionen aller Organisationsmitglieder zu erkennen, zu beobachten, darauf zu reagieren und sie für die Implementierung der künftigen Vision zu nutzen. So wie Menschen verschiedene Persönlichkeitsmuster haben, so haben auch Arbeitsteams und Organisationen unterschiedliche positive Wesenszüge oder pathologische und neurotische Charaktereigenschaften. Neigen einzelne Teams dazu, zwanghaft, schizophren oder unbeständig zu agieren? Welche Gruppen sind charismatisch, lösungsorientiert und beliebt? Instrumente wie innovative Mitarbeiterbefragungen können an dieser Stelle helfen, die vorhandenen Emotionen im Unternehmen aufzudecken. Diese basieren auf einer Kombination aus psychologisch validierten Testverfahren, Zukunftskonferenzen und Tiefeninterviews. Damit vermeiden sie die Neigung traditioneller Befragungsformate, problemstatt lösungsorientiert und damit retrospektiv ausgerichtet zu sein. Das Ziel innovativer Formate ist die Ableitung von konkreten Ansätzen für Veränderungsmaßnahmen und nächsten Schritten aus der Umfrage. Verlassen Sie sich dafür nicht auf Einheitslösungen. Bestehende Best-Practice-Befragungen werden oftmals mit minimalen Anpassungen auf andere Unternehmen übertragen, ohne die unternehmensspezifischen Wirkzusammenhänge zu berücksichtigen. Damit ist es nur schwer möglich, den „emotionalen Temperaturcheck“ für Ihr Unternehmen passgenau durchzuführen. Entwickeln Sie Ihre eigene Methode, um Unterstützer für neue Strategieansätze zu identifizieren und negativ geprimte Teams in ein neues Mindset zu überführen.
Sven C. Voelpel/Fabiola H. Gerpott
Der Positiv-Effekt. Mit einer Umstellung der Einstellung das Management revolutionieren
216 Seiten, Campus Verlag, Februar 2017
Gebunden mit Schutzumschlag EUR 34,95,- (ISBN 978-3-593-50666-1)
Auch erhältlich als E-Book (MOBI/Kindle und PDF)
Kommentar hinterlassen zu "Leader sind Optimisten, Optimisten sind Leader"