Der heutige volatile und enge Medienmarkt stellt an Verlage widersprüchliche Anforderungen: Flexiblilität und Agilität einerseits, Standardisierung und Automatisierung andererseits. Eine Antwort auf diesen Widerspruch lautet: von einer produktorientierten auf einer prozessorientierte Arbeitsweise umstellen. Mario Kandler von Sitefusion und Tobias Ott von Pagina erläutern im IT-Channel von buchreport.de, wie Verlage den Industriestandard „BPMN“ dafür nutzen können. Das Gespräch führte Ehrhardt F. Heinold, Veranstalter des CrossMediaForum.
Was ist und was kann eine Standardsprache wie BPMN?
Mario Kandler: BPMN steht für „Business Process Model and Notation“ und ist ein Industriestandard der Object Management Group (OMG). Er dient der grafischen Darstellung und Modellierung von Geschäftsprozessen. In der Industrie wird dieser bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzt. Die aktuelle Version 2.0.1 ermöglicht die Speicherung der Prozesse in einem standardisierten XML-Format. Dies kann von verschiedenen Workflow Engines gelesen und interpretiert werden. Von sehr einfachen Ablaufprozessen bis hin zu komplexen Transaktionen können sämtliche Prozesse abgebildet und überwacht werden – so auch Lektorats- und Herstellungsprozesse.
Warum macht es Sinn, mit dieser Sprache auch im Verlagsbereich zu arbeiten?
Tobias Ott: Nach der Erkenntnis, mit medienneutralen Daten zu arbeiten, ist die Arbeit in definierten Prozessen der zweite große Schritt, um wettbewerbsfähig in das digitale Zeitalter zu starten. Hierbei müssen wir zwei Aspekte unterscheiden:
Zum einen, für immer wiederkehrende Arbeitsschritte Workflows zu entwickeln und damit die Arbeiten möglichst zu standardisieren und zu automatisieren – das schafft Prozesssicherheit und Kostenoptimierung.
Und zum anderen, in einer Zeit, in der die Zukunft ungewiss ist, in der digitale Geschäftsmodelle kommen und gehen, agile Methoden anzuwenden, um schnell und effizient Geschäftsmodelle entwickeln, ausprobieren und ggf. auch wieder verwerfen zu können.
BPMN kann beides unterstützen: standardisierte Prozesse im Verlag zu etablieren und gleichzeitig einen Werkzeugkasten anzubieten, mit dessen Hilfe man sehr schnell neue Ideen ausprobieren kann. Dieses „Doppelspiel“ ist ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg der „Industrie 4.0“ – Unternehmen wie beispielsweise Zalando arbeiten sehr erfolgreich und extrem agil auf dieser Basis. Dazu ist es wichtig zu verstehen: Mit BPMN lassen sich Prozesse nicht nur dokumentieren, sondern maschinell steuern. Hierfür kommen sogenannte Workflow Engines zum Einsatz, die einen BPMN-Prozess einlesen können und die entsprechenden Teilprozesse starten und steuern. Dadurch lassen sich Arbeitsschritte automatisieren und beliebige Anwendungen wie ERP-Lösungen, Produktionssysteme, Distributionssysteme, aber auch Onlineportale und Shops intelligent vernetzen, wodurch die gesamten Abläufe optimiert werden. Das Management von Schnittstellen und Microservices wird die Herausforderung der nächsten Jahre im Verlagsumfeld sein – und ohne Standards ist das nicht zu leisten. Diesen Standard stellt BPMN dar.
Wie aufwändig ist es, im Verlag seine Prozesse mit BPMN zu analysieren und zu dokumentieren?
Tobias Ott: Der Aufwand der Prozessanalyse in einem Verlag ist grundsätzlich unabhängig vom Modell, in dem das Ergebnis der Analyse dokumentiert wird. BPMN kann hier aber dennoch helfen: Auf Grund der Tatsache, dass BPMN sehr leicht verständlich und durch zahlreiche zum Teil kostenlose graphische Tools unmittelbar nutzbar ist, lassen sich in der Regel in nur wenigen Workshops die Verlagsprozesse erarbeiten und dokumentieren. Der größere Aufwand steckt in der Erarbeitung der SOLL-Prozesse, nicht in der Dokumentation der IST-Prozesse. Dabei gilt: Vor allem die SOLL-Prozesse sollten gleich in BPMN modelliert werden, damit sie anschließend in eine Workflow-Engine eingespeist werden können. Dann ist der größte Schritt schon getan.
Wie sollte ein solches Analyseprojekt durchgeführt werden?
Tobias Ott: Wir müssen dabei zwischen den IST-Prozessen (also einer Analyse) und der Erarbeitung von SOLL-Prozessen unterscheiden. Ein Analyseprojekt wäre also zu kurz gesprungen, ist nur der erste Teil eines Workflow-Projektes. Aber es sollte am Anfang stehen – nur wer seine IST-Prozesse kennt, kennt auch deren Schwächen. Ob bereits die IST-Prozesse in BPMN abgebildet werden oder ob sich der Aufwand nicht lohnt, wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Für die SOLL-Prozesse findet anschließend eine kurze Einführung in die BPMN-Logik statt.
Das Schöne dabei ist: Da BPMN eine graphische Abbildung von Prozessen ist, bedarf es hier keinerlei technischer Kenntnisse – vielmehr geht es darum, die optimalen Prozesse „hinzumalen“. In dem Kick-Off-Termin wird dem Verlag anhand von Musterprozessen aufgezeigt, wie eine Modellierung in BPMN aussehen könnte, und es werden bereits erste Grundprozesse angelegt. Eine Arbeitsgruppe übernimmt dann die Bearbeitung der einzelnen Prozesse. Dies kann relativ einfach parallel zum Tagesgeschäft erfolgen. Nach unseren Erfahrungen können bereits mit einem Tag pro Woche über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen die Prozesse definiert werden. Idealerweise werden diese dann in einer gedruckten Version an einem gut frequentierten Platz im Unternehmen ausgehängt und für Feedback bereitgestellt. Die eingearbeiteten Rückmeldungen sind dann die Basis für einen Workshop mit uns, um die Prozesse zu finalisieren.
Wie kann ein Verlag die BPMN-Abbildung aktuell halten und den sich ja ständig ändernden Prozessen anpassen?
Mario Kandler: Wie in jedem Qualitätssystem ist es auch hier notwendig, einen Prozessverantwortlichen zu bestimmen. Dieser ist zentrale Anlaufstelle für Rückmeldungen zu den aktuell laufenden Prozessen bzw. bei Anfragen zu neuen Abläufen. Je nach Umfang der Gesamtprozesse muss man hierfür mit einem Aufwand von zwei bis drei Tagen im Monat rechnen. Das Ziel muss aber freilich sein, dass sich die Basisprozesse möglichst wenig verändern, so dass die installierten Systeme stabil und reproduzierbar laufen. Dann ist eine Veränderung von Teilworkflows – zum Beispiel ein neuer Bild-Freigabeprozess – relativ einfach möglich.
Was bringt die Anwendung des BPMN-Konzeptes für das Management von Content?
Mario Kandler: Die Antwort steckt bereits in der Frage: Content muss gemanagt werden. Content einfach nur vorzuhalten und irgendwie zu veröffentlichen reicht lange nicht mehr aus, um damit das Interesse der Nutzer zu erregen und Reichweite zu erzielen. Inhalte müssen mit entsprechenden Metadaten ausgezeichnet, mit Nutzungsrechten versehen und intelligent und flexibel zusammengestellt werden.
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Zudem muss der Weg von der Content-Erstellung bis hin zu den einzelnen Ausleitungen wie Buch, Zeitschrift, E-Book, Microsite oder Onlineshop effektiv, schnell, überprüfbar und reproduzierbar verlaufen. In unserer schnelllebigen Zeit ist das Thema Time-to-Market UND agile Entwicklung von Geschäftsmodellen so aktuell wie nie zuvor. Ohne eine zentrale und gleichzeitig flexible Steuerung der Prozesse ist daran kaum zu denken.
Ihr Vortrag auf dem CrossMediaForum heißt „Standard-Workflows vs. Workflow-Standards – Verlage entdecken BPMN“. Was wird die zentrale Botschaft sein?
Tobias Ott: Die Botschaft ist einfach: Lernen Sie von den großen Playern am Markt innerhalb und außerhalb unserer Branche und setzen Sie etablierte Methoden ein, um als Verlag zu einem agilen Unternehmen zu werden. Die Zeit dafür ist reif und die Methoden stehen zur Verfügung.
Mario Kandler ist Geschäftsführer von Sitefusion, einem Hersteller von Enterprise Content Management-Lösungen (ECM), Tobias Ott Geschäftsführer des Crossmedia-Satzdienstleisters und-Softwareherstellers pagina. Beide sprechen auch auf dem 19. CrossMediaForum am 4. Juli 2017 in München.
Linkhinweis: Eine gute Einführung in das BPMN-Konzept gibt der Artikel auf Wikipedia.
Mit freundlicher Genehmigung von Publishing Business.
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