Eine der Kernkompetenzen und gleichzeitig auch eine der Königsdisziplinen des Buchhändler/innen-Lebens ist die Empfehlung. Tagtäglich kommen Kunden zu uns, die auf der Suche sind. Nach einem Buch für die Großmutter, einem Roman für den Urlaub, einem Abschiedsgeschenk für die Kollegin. Die Anlässe, an denen Bücher geschenkt werden, sind erfreulicherweise sehr vielfältig und natürlich suchen viele nach neuem Lesestoff für sich selbst.
Der ein oder andere hätte vermutlich schon im Supermarkt gerne eine Empfehlung, welche der 20 Sorten Erdbeermarmelade denn die leckerste ist. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass bei der riesigen Menge an Neuerscheinungen ein wenig Orientierungshilfe gefragt ist. Jeder Buchladen bietet eine gewisse Vorauswahl, sorgsam kuratiert von den Buchhändlerinnen und Buchhändlern. Unser Job ist es mit unserem Sortiment Wünsche und Vorfreude zu wecken. Allein unsere Auslagen sind eine erste Empfehlung, ein Aushängeschild dessen, wofür wir stehen und was uns Buchhändler/innen auszeichnet – die Vermittlung und Liebe zur Literatur.
Wenn ich eines gelernt habe, in den 14 Jahren, in denen ich schon Bücher empfehle, dann ist es, dass eine Empfehlung sich nicht darin erschöpft, dem Kunden ein Buch in die Hand zu drücken und zu sagen „Das ist ihr Buch!“ – wobei das auch schon vorgekommen ist.
Das klassische Beratungsgespräch beginnt mit der Anfrage des Kunden, gefolgt von einer groben Abfrage der Parameter durch uns Buchhändler/innen.
- Für wen soll es sein, für einen selbst oder ist es ein Geschenk?
- Ist der zu Beschenkende jemand, der/die gerne liest? (Gerade wenn es sich um Geschenke für Kinder handelt ist das wirklich eine wichtige Frage! Und auch wenn es sich um Vielleser handelt, weil dann oft einiges schon vorhanden ist)
- Ungefähre Alterspanne?
- Gibt es bereits Autor/innen, die bei demjenigen gezündet haben?
- Gibt es ein aktuelles Thema/Hobby, für dass Interesse gezeigt wird?
- Lieber Wälzer oder Novelle?
Zudem oder währenddessen dann die ungefähre Einordnung, die klassischen Schlagworte, etwas fürs Herz, etwas spannendes, nichts trauriges, etwas zum Lachen, etwas aktuelles, politisches oder unterhaltsames?
Diese Auskünfte teilen mir schon ganz viel darüber mit, was mein Gegenüber sucht. Oftmals bitte ich denjenigen, mir etwas über sich oder den/die zu Beschenkende/n zu erzählen. Hier verlassen wir den klassischen Empfehlungspfad und dann wird es erst richtig interessant, denn so entstehen oft Empfehlungen, die man vorab nicht auf dem Schirm hatte, die natürlich auch stark geprägt sind vom eigenen Erfahrungshorizont, der Tagesverfassung und gemeinsam entdeckten Vorlieben.
Eine gute und vor allem passende Empfehlung auszusprechen, ist nicht einfach.
Man kann sogar einiges falsch machen, trotz bester Absichten. Das liegt zum Teil auch in der Natur der Sache, denn manche Bücher haben schlicht ihre Zeit, treffen mit 19 nicht den Nerv, wohingegen man sie mit Anfang 30 geradezu verschlingt. Auch wenn man gerade für eine Neuerscheinung brennt und der Meinung ist, dieses Buch hätte die eigene Welt verändert, so sind wir doch alle zu unterschiedlich, als dass ein Buch auf jeden die gleiche Wirkung haben könnte. Selbst Harry Potter, eine der erfolgreichsten Buchreihen aller Zeiten, hat nicht nur Fans. Es ist also oft auch ein schmaler Grat zwischen der eigenen Begeisterung und der Vorstellung des Kunden. Hier hilft oft schlicht Erfahrung und das eigene Bauchgefühl bei der Einschätzung des Lesewunsches.
Mit das wichtigste Handwerkszeug für eine erfolgreiche Empfehlung ist aufmerksames Zuhören.
Wenn wir wirklich zuhören und uns ganz auf den Kunden einlassen, erkennen wir auch leise Zwischentöne. Was möchte mein Kunde? Was braucht er? Und ebenfalls ganz wichtig – was möchte er nicht? Oft sagt einem auch das, was nicht gewünscht wird, schon eine Menge darüber, in welche Richtung es gehen könnte.
Jemand, der etwas spannendes lesen möchte, will nicht zwangsläufig einen Krimi. Manchmal verrennt man sich auch im Beratungsgespräch anhand der ersten zwei, drei Stichwörter, die man genannt bekommt und muss sich noch einmal neu ausrichten. Oftmals ist der Anlass des Geschenks ein guter Hinweisgeber, oft genug muss ich ein wenig um die Ecke denken. Gerade, wenn die Wünsche sehr spezifisch sind, hilft es, den gedanklichen Radius zu erweitern. Und so landet man manchmal vom zuerst anvisierten Bestseller-Roman bei einer Frauenbiografie oder der Kunde verschenkt den Kinderbuchklassiker, den er selbst noch kannte und dank uns wiederentdeckt. Ich suche stets den versteckten roten Faden. Ein Liebesroman kann noch so gut geschrieben sein, aber wenn ich ihn für die frisch getrennte Freundin empfehle, kann ich trotzdem danebenliegen.
Eine gelungene Empfehlung ist für mich eine, die den Kunden gleich in die Stimmung des Buches versetzt. Ein kurzer Abriss über das Geschehen genügt vollkommen, langatmige Erläuterungen oder gar Spoiler sind kontraproduktiv.
Eine Empfehlung soll Lust machen, sie sollte Neugier wecken.
Der Kunde kommt in den Laden um ein Buch zu kaufen und wenn wir mit Herz und Verstand empfehlen, dann geben wir ihm Gelegenheit, mit uns gemeinsam Entdeckungen abseits der ausgetretetenen Pfade zu machen, können auch mal abraten oder zuraten.
Eine versierte Buchhändlerin will mit ihren Empfehlungen auch gerade alteingesessene Kunden immer noch überraschen können. Wenn die Vorgabe lautet „ein toller Roman“ – dann greifen wir gerne auch zur Backlist, die gut gepflegt einen reichen Empfehlungsschatz bereithält . Wir ziehen Bücher aus unabhängigen Verlagen aus dem Regal und freuen uns mit unseren Kunden an diesen literarischen Funden und unseren Geheimtipps. Oftmals empfehlen wir nicht nur ein Buch, wir erzählen voller Begeisterung Geschichten, die diese Bücher und ihre Verlage herausstechen lassen aus dem Meer der Möglichkeiten.
Es darf beim Empfehlen nie darum gehen, bestimmte Bücher abzuverkaufen. Ich möchte, dass derjenige den Laden mit einem Buch verlässt, welches eine hohe Chance hat, ihm zu gefallen. Das ist mein Anspruch an mich selbst in meinem Berufsalltag.
Natürlich gibt es auch das weniger klassische Beratungsgespräch, in dem Stammkunden sich ganz auf unsere Empfehlungen verlassen und den Pfad nur grob vorgeben. „Welches Buch sollte man in diesem Herbst gelesen haben?“ „Was hat Dich zuletzt begeistert?“. Das sind dann die Momente, in denen wir Buchhändler/innen zur Höchstform auflaufen. Aus meiner Erfahrung heraus hilft dabei die grobe Richtlinie – nie zuviel auf einmal empfehlen (am besten immer nur drei, allerhöchstens fünf Bücher auf einmal, sonst wird es unübersichtlich). Die ersten Seiten sind meist ein verlässlicher Indikator dafür, ob man es miteinander versuchen wird, oder nicht, weshalb ich Kunden gerne dazu rate und die Gelegenheit biete, in Ruhe reinzulesen.
Ich erwähnte ja bereits, dass man trotz aller Erfahrung und Aufmerksamkeit auch mal daneben greift. Deshalb frage ich gerne nach Feedback, wenn das Buch ausgelesen ist. Auch ich habe bei jahrelangen Stammkunden schon falschgelegen und wenn wir darüber ins Gespräch kamen, war das immer wertvoll für mich, es schärft meine Sinne dafür, was in diesem Fall passen könnte.
Eine passende Empfehlung kann etwas verändern.
Es ist zugegebenermaßen nicht allzu oft der Fall, dass ein Buch ein ganzes Leben verändert. Aber nicht umsonst gibt es zig Aufzählungen von Lieblingsbüchern. Von Büchern, die uns begleiten. Die uns in schweren Zeiten Kraft gegeben haben. Eine Empfehlung kann also auch mal jahrelang tragen, es gibt Kunden, die seit mittlerweile über einem Jahrzehnt kommen und auch mal blind kaufen, was ich für sie sorgsam auswähle, weil es „passt“. Das ist natürlich nicht immer der Fall, aber es ist einer der Gründe, weshalb ich diesen Job so sehr liebe.
Empfehlen ist so viel mehr als Alltagsgeschäft, es ist auch eine Art von Verantwortung, die wir keinem Algorithmus überlassen sollten. All diese Bücher und Geschichten, die auf ihre Leser/innen warten. Wir sind in der besonderen Position, sie miteinander bekannt zu machen. Eine passende Empfehlung ist nicht umsonst die Königsdisziplin. Denn mit unseren Buchempfehlungen bringen wir Geschichten in die Welt, zu Leserinnen und Lesern, die vielleicht vorher nicht einmal wussten, dass genau dieses Buch ihnen noch gefehlt hat.
Der Beitrag ist zuerst erschienen bei „Pinkfisch“. Dort bloggt Sarah Reul, die im Buchladen am Freiheitsplatz (Hanau) als Buchhändlerin arbeitet, über ihre Buchlektüre und -empfehlungen.
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