Die Leipziger Buchmesse ist nicht nur alljährlich Schaufenster für die Frühjahrsnovitäten und Lesefest, sondern auch Plattform für die Vergabe etlicher Auszeichnungen. Die größte mediale Strahlkraft geht von den zwei nach der Messestadt benannten Preisen aus:
- Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, der seit 1994 im Rahmen der Eröffnungsfeier im Leipziger Gewandhaus vergeben wird und mit 20.000 Euro dotiert ist, ging in diesem Jahr an die norwegische Autorin und Journalistin Åsne Seierstad für „Einer von uns. Die Geschichte eines Massenmörders“ (Kein & Aber).
Der mit insgesamt 60.000 Euro dotierte Preis der Leipziger Buchmesse wurde wie gewohnt in den drei Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung verliehen. Auf dem Siegertreppchen standen:
- Esther Kinsky, die die siebenköpfige Jury mit ihrem Buch „Hain: Geländeroman“ (Suhrkamp) überzeugte
- Karl Schlögel mit seiner Studie „Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt“ (Edition der C.F. von Siemens Stiftung, C.H. Beck)
- die Übersetzer Sabine Stöhr und Juri Durkot, die den Roman „Internat“ (Suhrkamp) von Serhij Zhadan aus dem Ukrainischen übertragen hatten.
Schöne und phantastische Bücher
Etliche weitere Auszeichnungen verteilten Renommee und teilweise auch Geldprämien:
- Kurt-Wolff-Preis: Der bereits zum 18. Mal verliehene Preis, mit dem die Kurt-Wolff-Stiftung jährlich einen in Deutschland ansässigen unabhängigen Verlag ehrt, ging in Höhe von 26.000 Euro an den Elfenbein Verlag. Den Förderpreis in Höhe von 5000 Euro erhielt die Edition Rugerup.
- Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik: Lyrikkritiker Michael Braun durfte die vom Verbandsmagazin „Börsenblatt“ gestiftete Auszeichnung entgegennehmen, die mit einem Preisgeld von 5000 Euro verbunden ist.
- Schönste Bücher aus aller Welt: Der undotierte Hauptpreis im internationalen Buchgestaltungswettbewerb, die „Goldene Letter“, ging an den Titel „Heimat, Handwerk und die Utopie des Alltäglichen“ (Hirmer Verlag) von Uta Hassler. Weitere 13 Bücher aus den Niederlanden, Venezuela, China, der Schweiz, Deutschland, Japan, Israel und Russland wurden prämiert.
- Indie Autor Preis: Die Selfpublishing-Autorinnen Solveig Engel („Neondunkel“) und Marianne Kaindl („Sechs Katzen und ein Todesfall“) erhielten den Jury- bzw. den Community-Preis. Stifter sind Neobooks und die Leipziger Buchmesse.
- Seraph: Der Preis der Phantastischen Akademie ging in der Kategorie „Bestes Buch“ an Michael Marrak für den Roman „Der Kanon mechanischer Seelen“ (Amrun Verlag), als bestes Debüt wurde der Titel „Die Optimierer“ (Bastei Lübbe) von Theresa Hannig ausgezeichnet. Bester Independenttitel wurde Janna Ruth („Im Bann der zertanzten Schuhe“).
- Leipziger Lesekompass: Die Stiftung Lesen und die Leipziger Buchmesse empfehlen insgesamt 30 Titel für Kinder und Jugendliche in drei Alterskategorien (2–6 J., 6–10 J., 10–14 J.), einzusehen unter www.stiftunglesen.de.
- Preis der Literaturhäuser: Den mit 15.000 Euro dotierten Preis erhielt der tschechische Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor und Publizist Jaroslav Rudiš.
- avj Medienpreis: Von den Pressesprecherinnen und Pressesprechern der avj-Verlage gewählt, heißt die Gewinnerin in diesem Jahr Roswitha Budeus-Budde, Kritikerin bei der „Süddeutschen Zeitung“.
Zwischen Deutung und Geschäft
Wer die Stufen zu den Messehallen in Leipzig hinaufstieg, konnte es step by step und weiß auf schwarz lesen: „Für das Wort und die Freiheit“, Hashtag darf nicht fehlen: #FreeTheWords
Und natürlich für Offenheit, Vielfalt und Austausch. So ein Buchmessenmotto kann Kopfweh machen: erhebend, aufrüttelnd, diskursiv, richtungsweisend und einfach gescheit soll es sein! Die Leipziger Wahl war letztlich nicht allzu schwierig, weil aufgelegt. Wort und Freiheit haben Konjunktur, weisen multiple Bezüge auf und sind rutschfest eingepasst in die aktuelle gesellschaftliche und politische Gemengelage von Sorge, Streit, Deutungshoheitskampf und selbstverordneter Zuversicht – konkret dann vor Ort mit Vorträgen, Diskussionen, Pressekonferenzen, Streitgesprächen, Lesungen und und und.
Praktischen Nutzen muss eine Buchmesse natürlich auch aufweisen als Bedeutungsspender für Leser: Cutting-Edge-Intellektuelle, Comic-Schlinger, Spannungs-Junkies und Zweikäsehoch-Bilderbucheinspeichler vereint im bunten Treiben. Die Bedeutung muss dann auch noch auf die Messe selber abstrahlen, muss sie doch in den Folgejahren wieder wirtschaftlich gesund gestaged werden. Wort und Wert, Emotion und Geldbörserl, Überlebensmittel und Lebensunterhalt – die Dualität von Idee und Endsumme ist allgegenwärtig. Die Inszenierung behübscht das geschäftige Geschehen mit Geist, Toleranz und Giveaway-Gimmicks. Diskurs- und Marketingdurchlauferhitzer, eine Messe muss sich nicht jedes Jahr neu erfinden.
Dem Preis der Leipziger Buchmesse täte gerade das aber gut. Denn dieser wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen, unsexy, nicht eventig, nicht anti-eventig, bemüht, bildungsbürgerlich, bisschen lieblos, Dienst nach selbstgewählter Vorschrift – gäbe es nicht das eine oder andere Filmchen auf der Videowall, das hätte alles vor 40 Jahren genauso stattfinden können.
Da saß sie nun die Preisjury, vier Frauen und drei Männer, ein wenig wie am Pinguinfelsen, besser wie ein um zwei Substitute angereicherter Big Band-Saxophonsatz mit ihren Buchmesse-gebrandeten (Noten)Pulten. Die Juryvorsitzende exemplifizierte die Komplexität des Literaturbetriebs, einzelne Jurymitglieder lasen Buchbesprechungen vor. Das bei den Preisenthüllungen gerade noch ausreichend applaudierende Branchenpublikum schafft es, sich auf den Sesseln zu halten, hinter dem Absperrband dann das gemeine Volk – aber da stehen eigentlich gar nicht viele.
Dank überall: Die Juryvorsitzende dankt der Jury, die Autor_innen danken den Verlagen und ihren Helfern, der Messedirektor dankt der Jury und beglückwünscht die Gewinner. Das Publikum dankt fürs Ende der „Show“. Die danach Bewirteten danken für die Erfrischungen usw. ¬– Abschlussfoto, Klappe. Haben die Gewinner ihre Redezeit genützt, um das Motto der Messe zu befeuern und mit der geschliffenen Klinge des gesprochenen Wortes Kommentare bzw. Forderungen zu brancheninternen oder gesamtgesellschaftlichen Phänomenen abzugegeben? Fehlanzeige.
Sehr fein allerdings die Printpublikation, auch der Märzausgabe des „buchreport“ beigelegt: „Die Jury hat entschieden – Die Nominierten“. Hier kann man in Ruhe alles über die vor den Vorhang geholten Bücher und Autor_innen/Übersetzer_innen inklusive Leseproben nachschlagen, die jeweilige Presseansprechpartner sind ebenfalls genannt.
Sonst soweit alles stabil auf der Messe und in der Stadt: Ab Samstag mangat es heftig in der Glashalle, attraktives Fotofutter für die diversen Kanäle. Und die Anreise zur Messe immer wieder eine Challenge, wenn 3.000 Leute in die 16er Straßenbahn drängen und keine Nachfolgerin in Sicht. Aber viel schwieriger war die Heimfahrt. Da wurden die Züge bzw. der Leipziger Hauptbahnhof zum unfreiwilligen Zuhause.
Donnerstags hatte man den Eindruck deutlich niedrigerer Besucherfrequenz als üblich und sah insgesamt eine lockerere Hallenbespielung mit teilweise weiter von den Wänden abgerückten schwarzen Trennvorhängen, die Ausstellerzahlen deuten allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Die Themen-, Lese- und Infoinseln meanderten auf dem gesamten Areal, und die Attraktivität fürs Nicht-Branchenpublikum scheint ungebrochen. Beim Publishing- und Dienstleistungsbereich ist man über die übliche Teilmenge der Frankfurtfachbesucher vor Ort ja nicht mehr erstaunt. Den Rest wuppen wir dann wieder am Main.
So hatte sich die Branche zwischen Links-Rechts-Orientierungslauf und Toleranzdurchhalteparolen angenehm wenig selbstbespiegelt und die eigene Rolle einfach einmal bis zum nächsten Messeclash unverändert fortgeschrieben: als Bücher erschaffender Zauberlehrling mit industrieller Buchproduktion und Programmplatzbewirtschaftung im Hamsterrad. Die Messe bot vielfältige Impulse zum Mitradeln oder zum Verlassen des Käfigs.