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Fallstricke in der System-Einführung – und wie Publisher ihnen entgehen

Jens Löbbe, Argestes (c) Ehrmann Fotografie.

Jens Löbbe, Argestes © Ehrmann Fotografie.

Enterprise-IT-Systeme zählen zu den teuersten Investitionen, die ein Verlag machen kann. Eine erfolgreiche Beschaffung kann ein Wettbewerbsvorteil sein, während ein gescheitertes Projekt auf Jahre zurückwirft. Ein besonderer Grund, genau hinzusehen – bei der Systemauswahl, aber nicht weniger während der Einführung. Fallstricke lauern manchmal genau da, wo man nicht mit ihnen rechnet.

In einer mehrteiligen Serie im IT-Channel von buchreport.de beschreibt IT- und Organisationsberater Jens Löbbe (Argestes Managementberatung), was alles in Planung und Durchführung schiefgehen kann und wie Entscheider und Projektverantwortliche Fehlentwicklungen entgehen können. In Teil 1 und 2 dieser Serie werden zunächst typische Fallstricke aus der Praxis dargestellt, die immer wieder zu beobachten sind. Der dritte Teil zeigt ein strukturiertes Vorgehen auf, mit dem Sie einige dieser Fallstricke umgehen können, und im letzten Teil erhalten Sie praktische Hinweise für die Umsetzung.

Was kann bei der Auswahl und Einführung von IT-Systemen in Verlagen alles schief gehen? Jede Menge. Schnell wird es kompliziert und fehleranfällig: Warum überhaupt etwas Neues? Was für ein System brauchen wir? Müssen wir die Entscheidung wirklich systematisch vorbereiten, oder reicht es, schrittweise Lösungen einzuführen, die auch bei anderen erfolgreich eingesetzt werden? Wieso passiert es immer wieder, dass die Systeme dann doch nicht leisten, was sie sollen? Warum dauert das alles so lange und kostet so viel Geld? Am Ende ist die Verzweiflung groß: „Warum hat uns das niemand vorher gesagt, wie mühsam dieser Prozess ist, und wie schwer es wird, den Nutzen wirklich zu heben?“

Fallstrick 1: IT-Einführungen als reine Technologieprojekte verstehen

Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass IT-Systemauswahlprozesse und IT-Einführungen maßgeblich Technologieprojekte sind und als solche behandelt und geführt werden müssen. Dafür spricht die hohe technische Komplexität solcher Projekte, die gerne in die IT-Abteilung abgeschoben werden und somit nicht mehr im Kernfokus des Managements sind. Als unbestritten kann aber hingegen inzwischen gelten, dass Technologie und IT einen sehr hohen Anteil an der Wertschöpfung auch bei den Verlagen besitzen und schon aus diesem Grund für den Unternehmenserfolg maßgeblich sind.

Es ist also wichtig zu erkennen, dass es hier um strategische Projekte geht, denn die eingesetzte Technologie liefert den Schlüssel für alle kommenden Innovationen im Verlagsgeschäft. Insofern scheitern IT-Auswahl- und -Einführungsprojekte ebenso wie Innovationsprojekte nicht selten daran, dass die Aufmerksamkeit des Topmanagements fehlt – zumindest bis Kosten oder Zeitpläne unwiderruflich gerissen sind und nur noch eine Sanierung hilft. Dann ist es jedoch definitiv zu spät.

Fallstrick 2: Ziele nicht klar genug definieren und kommunizieren

Auch wenn es wirklich banal klingt, ist in der Praxis immer wieder zu beobachten, dass die Ziele im Rahmen des Auswahlprozesses nicht klar genug gefasst sind und so in der Einführung logischerweise Abwege entstehen. Klare Ziele ergeben sich nicht einfach daraus, dass man den Vorsatz fasst, ein neues Redaktions- oder ERP-System (Enterprise Resource Planning) einzuführen. Vielmehr muss man sich intensiv darüber Gedanken machen, was in der Praxis tatsächlich damit erreicht werden soll, wer welchen Nutzen davon hat und wie dieser gemessen werden kann.

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Und selbst wenn solche Fragen beantwortet sind, ist häufig zu beobachten, dass ein zu kleiner Kreis der Betroffenen in diese Entwicklung einbezogen ist und die Kommunikation der Ziele viel zu spät und zu ungenau oder mit den falschen Mitteln einsetzt. Vielfach setzen die Projektbeteiligten voraus, dass nur sie die Ziele definieren können. „Andere Mitarbeiter, speziell aus den operativen Bereichen, gehen nur ungern oder mit einer falschen Brille an solche Entscheidungen heran“, ist ein immer wieder geäußerter Irrglaube. Mit fatalen Folgen: Dieser Irrglaube führt unweigerlich zu Zielformulierungen, die nicht praxisnah messbar und manchmal sogar gar nicht umsetzbar sind.

Fallstrick 3: Zu klare eigene Vorstellungen schon in der Startphase

Auch nicht selten zu beobachten ist das Phänomen, dass Beteiligte bereits vor der Auswahl eines Systems zu klare Vorstellungen von der Zukunft haben. Sie verstehen den Gesamtprozess nicht als Entwicklung, sondern als notwendige Arbeit zur Erreichung eines schon bekannten Ziels. Leider ist die Welt mittlerweile zu kompliziert, sowohl auf technischer wie organisatorischer und auch auf personeller Ebene, als dass Management, Fachbereiche oder Berater a priori wissen könnten, wie die optimale Zukunft aussehen wird und wie sie zu erreichen ist.

Zu klare Vorstellungen engen den eigenen Handlungsspielraum massiv ein und führen nicht selten zu einem Ergebnis, das die Möglichkeiten unzureichend ausschöpft und keine angemessenen Lösungen für die komplexen Aufgaben der Zukunft finden lässt. Statische Projekte führen zu Systemen, die Sie am Ende nicht mehr brauchen. Definieren Sie flexible Teilschritte, die beherrschbar sind und messbar zur Zielerreichung beitragen.

Fallstrick 4: Zu viel Vertrauen in die Anbieter setzen

Ja, Systemhersteller sind Partner der Verlage. Sie wollen letztendlich, dass ihre Software sachgerecht eingesetzt wird und zufriedene Kunden gut über die Software sprechen. Insofern haben die Systemlieferanten eigentlich die gleichen Ziele wie ihre Kunden. Dennoch muss man bei Auswahl und Einführungsprozessen akzeptieren, dass die Anbieter und Lösungspartner ein anderes Geschäft verfolgen: nämlich möglichst viele Funktionen, Lizenzen, Projekttage oder sonstige Hilfestellungen zu verkaufen. Wer sich nicht durch entsprechende Organisation des Projektes und vernünftige, zielgerichtete Verträge absichert, wird zwangsläufig in Probleme laufen und mit dem Anbieter über Themen diskutieren müssen, die nichts mit dem eigentlichen Projektziel zu tun haben.

Bild: Pixabay.

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Und selbstverständlich ist es auch gut, die Anbieter als Lösungspartner in die Entwicklung der eigenen Vorstellungen und Ziele einzubinden, um zu lernen, welche Standard-Vorgehensweisen bereits vorhanden sind. „Unsere Prozesse lassen sich nicht mit dem Standard des Herstellers abbilden!“ – diese Aussage, die in vielen Projekten vorgetragen wird, belegt vor allem eines: dass ein wichtiger Effizienzschub vernachlässigt wird. Sie schaffen kein effizientes System, indem die Software des Herstellers so entstellt wird, dass hinterher die möglicherweise schon immer falschen Prozesse dann noch falscher in der neuen Software abgebildet werden. Und das mit hohem Aufwand. Das kann in ein absolutes Desaster führen, das nicht mehr behebbar ist und zwangsläufig zum Scheitern führt.

Fallstrick 5: Die eigenen Möglichkeiten überschätzen

Eine gute Systemauswahl und -einführung führt zu neuen, effizienten Prozessen, die den Zielen des Unternehmens dauerhaft und wirklich wirksam dienen. Zumindest in der Theorie klingt das sehr gut. Was aber sind denn effizientere Prozesse, und wie können Sie denn sicher sein, dass es keine besseren gibt? Wie messen Sie die Prozessgüte heute und morgen? Wie bewerten Sie die Zielerreichung? Wie können Sie entscheiden, welche Faktoren in der technischen Umsetzung dafür maßgeblich sind? Wie schaffen Sie es, das System und seine schon vorhandenen Standardprozesse zu nutzen und so einzusetzen, dass sie Ihren Zielen dienlich sind? Wie managen Sie das Gesamtprojekt und behalten den Überblick?

All das sind Aufgaben, die nicht selten die Beteiligten überfordern, weil sie wegen des Tagesgeschäfts überhaupt nicht die Kapazitäten haben, um das Projektmanagement in der notwendigen Qualität umzusetzen. Und selbst wenn Kapazitäten dafür exklusiv zur Verfügung stehen, ist es häufig so, dass Verantwortliche diese Prozesse und Aufgaben noch nie gemacht haben und erst erlernen müssen, wie diese professionell umgesetzt werden.

Das Management erkennt häufig genug diese Diskrepanzen nicht an, weil damit Verzögerungen in anderen Themen, weiteren Projekten oder gar in der Tagesarbeit verbunden sind – die nicht akzeptiert werden. Viel gravierender ist doch aber, das Gesamtprojekt durch eine Selbstüberschätzung zu gefährden und so die Ziele zumindest später zu erreichen, wenn nicht gar ein Scheitern zu riskieren.

Fallstrick 6: Die Ambitionen der Beteiligten unterschätzen

Eine Systemeinführung, die unternehmensweit wirkt, kann viele Beteiligte haben, die zumindest nicht zwangsläufig alle in die gleiche Richtung arbeiten. Die Vorstellung, dass alle schön am gleichen Strang ziehen, ist ehrenwert, trifft aber in der Praxis nicht immer zu. Und schlimm kann es werden, wenn nicht klar ist, wer mit welchen Kräften die Lösung in welche Richtung ziehen will und kann. Die Wirkung von Ungleichgewichten kann hoch und der Drall für das Projekt gravierend sein, wenn man die Ambitionen der Beteiligten falsch einschätzt oder gar nicht kennt.

Und wichtig ist auch, dass sich diese Ambitionen im Verlauf eines Projektes immer wieder ändern können, ohne dass es nach außen tatsächlich kommuniziert oder sichtbar wird. Es ist aus externer Sicht auch völlig nachvollziehbar, dass die Beteiligten eigene Ziele damit verbinden und diese auch verfolgen. Ohne solche Egoismen verkommen Einführungsprojekte zu ungeliebten und damit wenig energiereichen Dauerprojekten.

 

Teil 2 der Serie bringt sechs weitere fatale Fallstricke bei der Auswahl und Einführung von Enterprise-IT-Systemen und zeigt, wie man ihnen entgeht .

 

Jens Löbbe, Dipl. Wirtsch.-Ing., berät und begleitet seit mehr als 25 Jahren Verlage und Medienunternehmen in den Bereichen Innovation, Technologie und Organisationsentwicklung. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter der 2017 gegründeten Argestes Managementberatung GmbH, systemischer Organisationsberater und zertifizierter Trainer für Business Model Generation sowie Dozent verschiedener Hochschulen und Fachverbände. Wirtschaftsingenieur-Studium in Darmstadt, Projektmanager bei den GENIOS-Wirtschaftsdatenbanken und im Fachverlag der Verlagsgruppe Handelsblatt, Geschäftsbereichsleiter Online bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ.net) und der neu gegründeten F.A.Z. Electronic Media GmbH. Danach 15 Jahre als Senior Berater und Account Manager, unter anderem bei Kirchner + Robrecht management consultants.

Die Argestes Managementberatung unterstützt Medienunternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von zukunftsfesten Strategien, Technologien und Strukturen.

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