Belegschaften altern – Fachkräftemangel droht. Viele Unternehmen setzen deshalb darauf, innovative Arbeitsmodelle zu entwickeln. Diese sollen motivieren und glücklicher machen – aber auch zeitgemäß sein und sich an die veränderten Bedürfnisse anpassen.
Aber wie könnten solche Arbeitsmodelle aussehen? Sollten wir einfach weniger arbeiten, anders – oder einfach selbstbestimmter? Mitbestimmung, Autonomie und Vertrauenskultur. Das sind nur einige wenige Begriffe, die uns in den Kopf kommen, wenn wir an neue Formen von Arbeitsmodellen denken.
Im ersten Teil der Serie über „New Work“ im HR-Channel von buchreport.de beschreiben Prof. Torsten Biemann von der Universität Mannheim, Jörg Kiesewalter von der DB Systel, dem Digitalpartner der Deutschen Bahn, und Agenturgründer Lasse Rheingans, was sich im Zuge von New Work an der Mitbestimmung verändern sollte und was New Work in der Praxis bedeutet.
1. Mitbestimmung, ja – aber auf die Art und Weise kommt es an!
Worauf sollten Unternehmen in Sachen Mitbestimmung wirklich Wert legen, damit die Belegschaft motiviert und engagiert ist? Und werden Personaler zukünftig Algorithmen nutzen und wie weit sind wir von einer digitalen Personalarbeit tatsächlich entfernt? Torsten Biemann teilt im Interview einige seiner Gedanken, aktuelle Trends und Forschungsergebnisse dazu mit.
Wie werden wir Ihrer Meinung nach zukünftig arbeiten und welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Personaler, Führungskräfte und Mitarbeiter?
Zunehmende Digitalisierung und technologischer Fortschritt werden die Arbeit verändern. Das ist weder neu noch überraschend. HR muss diese Veränderungen begleiten und sich dabei selber an die neue Umwelt anpassen.
Besonders spannend finde ich die Frage, wie wir das Zusammenspiel von Mensch und Maschine gestalten können. Ein Algorithmus kann bei der Personalarbeit helfen, schneller und besser die richtigen Kandidaten für einen Job im Unternehmen zu identifizieren. Aber möchte der potentielle Mitarbeiter auch von einem Computer ausgewählt werden? Und inwieweit möchten sich Personaler überhaupt auf diese Veränderungen einlassen?
In der Unternehmenspraxis ist man aber noch weit von einer automatisierten Personalarbeit entfernt und viele Unternehmen sind schon froh, dass sie inzwischen ein HR-Reporting soweit digitalisiert haben, dass sie einfachste Kennzahlen wie die Anzahl der Mitarbeiter oder die Fluktuation ohne größeren Aufwand zeitnah ermitteln können.
Sie beschäftigen sich auch mit der Frage nach mehr Mitbestimmung im Unternehmen. Wie wirkt sich diese aus und ist diese wirklich zielführend?
In Studien zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen einer Partizipation der Mitarbeiter und dem Erfolg des Unternehmens, jedoch ist dieser Zusammenhang eher schwach. Für Unternehmen ist es nicht unbedingt sinnvoll, über die Unternehmensstrategie basisdemokratisch entscheiden zu lassen.
Das ist aber auch gar nicht notwendig. Wichtiger erscheint mir hier ein Mitwirken der Mitarbeiter bei der eigenen Aufgabengestaltung und der Ausarbeitung von Entwicklungszielen.
Welche Formen der Selbstbestimmung gibt es und welche sind besonders effektiv?
Selbstbestimmung und Autonomie können vom Unternehmen hinsichtlich Arbeitszeit und -ort ermöglicht werden. Eine höhere Selbstbestimmung der Mitarbeiter kann ebenfalls durch mehr Autonomie bei der Aufgabengestaltung umgesetzt werden. Diese wirkt vornehmlich auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, Zusammenhänge mit der Arbeitsleistung sind schwächer. Für Unternehmen können Maßnahmen hin zu einer erhöhten Selbstbestimmung trotzdem wichtig sein, gerade um als Unternehmen für Mitarbeiter wie auch für Bewerber attraktiv zu sein.
Wollen alle wirklich mehr Flexibilität, Selbstbestimmung und weniger Arbeitsstunden?
Insgesamt legen Mitarbeiter heute etwas mehr Wert auf die Work-Life-Balance und wünschen sich mehr Autonomie und Flexibilität. Aber natürlich gibt es auch Mitarbeiter, die lieber zu festen Zeiten im Büro arbeiten oder die nur schlecht mit hoher Autonomie umgehen können, weil sie klare Grenzen bevorzugen und Unsicherheiten vermeiden möchten. In der Regel ist aber die von Unternehmen angebotene Flexibilität und Selbstbestimmung noch unter dem von den meisten Mitarbeitern gewünschten Level.
2. Doing agile, scaling agile, being agile – auf dem Weg in die selbstorganisierte Unternehmung bei DB Systel GmbH
Unternehmen werden sich in Zukunft ganz anders organisieren müssen, als in der Vergangenheit. Nicht nur die Digitalisierung fordert ihren Tribut, auch die Anforderungen durch eine neue Generation von Mitarbeitern und auch der immer stärker werdende Effizienz-Druck tragen dazu bei. Einer der Experten für HR-Management, Jörg Kiesewalter, verrät, wie diese bei DB Systel, dem Digitalpartner im Deutsche Bahn-Konzern, umgesetzt werden konnten und welche Rolle innerbetriebliche Mitbestimmung dabei spielte.
Die Not macht erfinderisch
2014 brachte eine Krise die DB Systel GmbH dazu, neue Wege zu gehen. Obwohl wir als interner IT- Dienstleister eingesetzt wurden, mussten wir erfahren, dass wir im DB Konzern nicht in der Rolle für die Digitalisierung der Bahn wahrgenommen wurden, in der wir uns selbst sahen. Wir wurden als Kostenfaktor und bestenfalls IT-Provider gesehen. Die Zukunftsthemen wurden bei unseren internen DB-Kunden selbst angepackt.
Mit diesem Bild vor Augen war klar, dass wir grundsätzlich etwas ändern mussten, wenn wir nicht auf ein operatives Mindestmaß heruntergespart werden wollten und alle Zukunftsthemen rund um Digitalisierung woanders stattfinden sollten.
Mitbestimmung der Mitarbeiter ist ausdrücklich erwünscht
Daher zog sich zunächst das Top-Management der DB Systel zurück und arbeitete eine neue strategische Positionierung aus. Auf Basis dieser Positionierung wurden unter dem Namen „Code Zukunft“ insgesamt elf strategische Initiativen in der DB Systel ins Leben gerufen, welche die notwendige Neuausrichtung konkretisieren und umsetzen sollten. Das Neue hier war, dass die Initiativen für die Betriebsöffentlichkeit geöffnet wurden und die Mitarbeiter und Führungskräfte eingeladen wurden, inhaltlich mitzuwirken und mitzugestalten.
Personalkonzepte für die Zukunft
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Eine dieser Initiativen beschäftigte sich mit Führung, Mitarbeitern und Kultur. Diese Initiative hatte bis zu 400 Mitwirkende und die Ergebnisse sind Basis des heutigen Veränderungsprozesses der DB Systel.
Zunächst wurde am Thema gearbeitet, welche Rolle Führung im Verhältnis zum Mitarbeiter und zum Kunden hat. Die Idee des „Servant Leadership“ oder „dienende Führung“ wurde diskutiert und umgesetzt. Leitfragen waren beispielsweise „Wer bezahlt eigentlich das Gehalt für die Mitarbeiter?“, „Was bedeutet Augenhöhe?“ etc.
Die Ergebnisse hierzu waren zwar vielversprechend, führten jedoch nicht zu den erhofften Veränderungen. In dieser Zeit gab es dann bereits mutige Bereichsinitiativen, oder sagen wir Prototypen, die Ideen aus der Softwareentwicklungsmethode Scrum adaptierten und damit mehr als positive Erfahrungen sammelten. Hier wurden Prototypen mit der Hypothese umgesetzt, wie Teams selbstorganisiert und mit voller Leistungsverantwortung, ohne die klassische Führungskraft, erfolgreich agieren können. Im Ergebnis entstand so ein klares Menschenbild für die DB Systel und darüber hinaus die Grundzüge einer neuen Organisationsvision.
Wir glauben daran, dass jeder Mitarbeiter sich selber entfalten und wachsen möchte und im Kern ein Unternehmer ist. Wir sind überzeugt davon, dass wir in einem dynamischen Umfeld mit hierarchischen Strukturen nicht erfolgreich sein werden.
Mitbestimmung: Die Rolle der Führungskraft rückt in den Hintergrund
In der weiteren Ausprägung führte es dazu, selbstorganisierte flexible Strukturen zu schaffen, in denen sich unser Menschenbild entfalten kann. Einer der zentralen Punkte, der Dreh- und Angelpunkt einer hierarchischen Struktur, ist die klassische Führungskraft. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, diese Rolle abzuschaffen und die Verantwortung in die Teams zu geben, die nach agilen Prinzipien arbeiten.
Dieser disruptive Ansatz verändert alles.
Zum einen sind es Menschen in Unternehmen gewöhnt, dass sehr viel geregelt ist und die Dinge somit „sicher“ sind. Häufig ist das System dabei vorwiegend auf Effizienz und Optimierung ausgerichtet. Die Welt scheint so einfach, übersichtlich und berechenbar. Dabei ist die Führungskraft, der Leader oder Manager derjenige, der die Verantwortung trägt.
Nimmt man diese Rolle weg und verlagert die Aufgaben in die Teams, verändert sich das Gefüge der Zusammenarbeit grundlegend. Zu Beginn versuchen sich dabei alle in Methodenschulungen und dem Ausprobieren und Anwenden von Methoden im alltäglichen Kontext (doing agile). Das sollen natürlich möglichst alle so machen und es bilden sich viele Teams heraus, die nach agilen Methoden arbeiten (scaling agile). Dann sickert die Erkenntnis durch, dass das nicht ausreicht und es gibt Teams, die sehr erfolgreich sind und andere Teams, die nicht auf derselben Ebene Erfolg bringen. Die einen haben eine agile Haltung entwickelt und arbeiten nach diesen agilen Prinzipien (Verantwortung und Entscheidungsbefugnis im Team, frühe und regelmäßige Lieferungen, Überprüfung und Anpassung, Transparenz, Takt) mit agilen Werten (Fokus, Offenheit, Mut, Selbstverpflichtung). Die anderen versuchen, so weiter zu arbeiten wie bisher, ohne dabei zu erleben, was agile Teams wirklich ausmacht. Letztlich scheitern diese Gruppen aber und lösen sich in der Regel wieder auf.
Klassische Rahmenbedingungen und Instrumente ade!
Neben der Zusammenarbeit ändert sich aber sonst auch alles im Unternehmen, inklusive des HR-Umfelds. Die gängigen Rahmenbedingungen und Instrumente der klassischen Welt
- Betriebsvereinbarungen
- Talent- und Kompetenzmanagement
- Performancemanagement
- Mitarbeitergespräche
passen nicht mehr.
Die Art der Unternehmenssteuerung muss sich anpassen und die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden, ändert sich. Damit kommt es zu neuen Herausforderungen, an die man bislang gar nicht gedacht hat, zum Beispiel der Umgang mit Konflikten.
Wichtig, wie bei allen Veränderungsprozessen, war und ist das Commitment der Geschäftsführung. Diese muss die mutige Entscheidung treffen und die dadurch entstehende Unsicherheit aushalten. Ein weiterer Punkt ist, dass die Betriebsräte hier eng eingebunden werden und, wie alle Betroffenen auch, aktiv mitgestalten. Die ganze Veränderung muss – wenn sie erfolgreich sein soll – bottom-up erfolgen. Dabei muss ein Rahmen geschaffen werden, damit die Mitarbeiter sich entsprechend entfalten können. Zusätzlich muss sichergestellt sein, dass das Unternehmen und die Menschen aus den Erfahrungen lernen, um sich kontinuierlich, entsprechend der Anforderungen, aktiv zu verändern. Wer einmal agile Teams erlebt hat, weiß sofort, warum sich der ganze Aufwand lohnt!
3. Der 5-Stunden-Arbeitstag: Mehr Zeit für das Wesentliche im Leben bei Rheingans Digital Enabler
Es ist ein Wunsch von so vielen: Mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Aber sobald man sich mehr Zeit für Hobbies, Familie oder Erholung nimmt, ist das Gehalt letztlich der ausschlaggebende Faktor, warum viele doch bei einer (offiziellen) 40-Stunden-Woche bleiben und sich gegen Teilzeit-Arbeit entscheiden.
Es geht auch anders
Eine deutsche Werbeagentur aus Bielefeld hat ein Experiment gewagt und den 5-Stunden-Arbeitstag eingeführt. Lasse Rheingans, der Kopf hinter der Idee, hat das Konzept im Herbst 2017 ins Leben gerufen – mit großen Erwartungen an die Effizienz seiner Mitarbeiter. Der Geschäftsführer geht davon aus, dass man an einem normalen Arbeitstag sehr viel Zeit mit unproduktiven Tätigkeiten, wie dem Surfen im Internet oder den Gesprächen auf dem Flur, „vertrödelt“. Bei einer Reduzierung der Arbeitszeit profitieren seiner Meinung nach nicht nur die Angestellten durch mehr Freizeit, sondern auch das Unternehmen: Durch höhere Kreativität, Effizienz und weniger Fehler.
In fünf Stunden alles Wesentliche erledigen
In seiner Agentur arbeiten die Mitarbeiter lediglich vormittags bis 13 Uhr und erhalten weiterhin volles Gehalt. Sie sollen sich dabei aber wirklich ganz auf die Arbeit fokussieren und private Aktivitäten gänzlich auf die Freizeit verschieben. Die gesteigerte Ausgeglichenheit der Mitarbeiter könne seiner Meinung nach sogar zu neuen Ideen und Innovationen führen, so die Annahme von Lasse Rheingans.
An der Zufriedenheit seiner Klienten habe sich bisher nichts geändert, da alle Termine weiterhin eingehalten wurden. Das ist wahrscheinlich die schwerste Herausforderung – denn ein kürzerer Tag bedeutet auch einen gesteigerten Leistungsdruck.
Das Interesse für das Modell ist groß: ARD, t3n, Bild oder bento: Kaum ein Medium, das nicht über das Experiment berichtet hat.
Das Modell hat aber nicht nur Vorteile
In den USA hat man auch schlechte Erfahrungen mit der Einführung des 5-Stunden-Arbeitstages gemacht. Bei dem amerikanischen Unternehmen Tower Paddle Boards hat man festgestellt, dass der soziale Zusammenhalt der Mitarbeiter etwas auf der Strecke geblieben ist. Der Chef Stephan Aarstol hatte den Eindruck, dass die Mitarbeiter „es leichter fanden, das Unternehmen zu verlassen“, wie er gegenüber dem Magazin Impulse berichtete. Daher hat man sich nun dort entschieden, dieses Modell lediglich in der Hochsaison beizubehalten. Ja – in der Hochsaison, weil dort ein besonderer Druck herrscht, so effektiv und produktiv wie möglich zu arbeiten. Alles in allem hat es dem Unternehmen aber nicht geschadet: Aarstols Unternehmen konnte seine Umsätze um 40 Prozent steigern.
Mit freundlicher Genehmigung der Management Circle AG, eines fachübergreifenden Weiterbildungsanbieters der Handelsblatt-Gruppe.
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