Über den Erfolg eines Titels entscheiden oft primär die Verkaufszahlen. Sie verraten aber nicht, wie das Buch tatsächlich beim Leser ankam. Um ihre Zielgruppen besser zu verstehen, können Verlage daher auf Reader Analytics zurückgreifen, bei dem die detaillierten Nutzerdaten von E-Book-Lesern ausgewertet werden.
Andrew Rhomberg wird im buchreport-Webinar „Dem Leser auf der Spur – Reader Analytics in der Praxis“ am 5. Oktober 2016, 13 Uhr über Chancen und Grenzen der noch jungen Disziplin sprechen und einige Erkenntnisse aus den Jellybooks-Programmen vorstellen. Hier melden Sie sich an…
Andrew Rhomberg (Foto: privat) ist Gründer des britischen Analytics-Anbieters Jellybooks. Zu den Verlagen, für die Jellybooks teils auch in Deutschland Leserdaten sammelt, gehören die Verlagsgruppen Random House, Bonnier, Faber & Faber, Simon & Schuster sowie Elsevier. Im buchreport-Interview spricht Rhomberg über das Bauchgefühl von Verlegern und wieso die Belletristik eine „heilige Kuh“ ist.
Werden Verlage künftig nur noch Bücher publizieren, die im Vorabtest gut ankommen?
Nein. Schon heute publizieren Verleger Bücher, von denen sie wissen, dass sie sich nicht verkaufen. Sie werden Bücher immer auch aus Prestigegründen machen oder weil sie ein Lieblingsprojekt sind. Ein Buch wird nicht gecancelt, weil die Daten schlecht sind. Es bekommt aber vielleicht weniger verlegerische Unterstützung.
Was heißt das genau?
Wir helfen Verlagen, ihre Marketingbudgets bestmöglich zu verteilen und in vielversprechende Titel zu investieren. Man braucht keine Lesedaten, um noch mehr Celebrity-Biografien zu publizieren. Das passiert auch ohne Reader Analytics. Ziel ist es, dass die Verlage smarter und effizienter agieren.
Sorgen schlechte Ergebnisse dafür, dass Bücher umgeschrieben werden?
Bei Sachbüchern ist das kein Thema. Fiction ist hingegen die sprichwörtliche heilige Kuh. Wir rühren die belletristischen Inhalte nicht an. Das ist eine Box der Pandora, die man nicht öffnen sollte.
Wäre das aber nicht die Konsequenz?
Warten wir es ab. Einige Autoren werden ihre Bücher umschreiben, Selfpublisher früher als Verlagsautoren. Aber es gibt eben auch immer – und oft mit Recht – einen großen Stolz auf das eigene Kunstwerk. Datensammeln hat für viele einen Beigeschmack.
Was sagen Sie Kritikern?
Es mag Leute geben, die das furchtbar finden, aber da wir die Testleser informieren – das Leseexemplar im Tausch gegen ihre Daten – haben wir keine Probleme. Zudem ist der Leser in der Kontrolle. Am Ende jedes Kapitels gibt es einen Button. Wenn der Leser ihn drückt, werden die Daten hochgeladen, wenn nicht, bleiben sie im E-Book.
Reader Analytics steckt noch in den Kinderschuhen. Wo liegen die Hürden?
Das große Problem für E-Book-Händler ist, dass sie den Verlagen zwar Auswertungen bereitstellen, diese aber nicht wissen, welche Daten sie auswerten wollen. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, zu verstehen, wie Verleger arbeiten und wie die Daten angewandt werden können. Entscheidend ist auch die Visualisierung. Die Daten müssen so umgesetzt werden, dass die Verlage sie einfach verstehen können.
Und der Autor?
Der Autor bekommt die Daten vom Verlag nicht immer zu sehen – schon gar nicht, wenn sie schlecht sind. Das ist nicht meine Entscheidung, sondern die Entscheidung des Verlags, der manchmal die Emotionen des Autors schützen will.
Dabei rühmen sich Verleger doch für ihre Bauchentscheidungen …
Eines der größten Probleme ist tatsächlich die Reaktion der Verleger, wenn sie beim Anblick der Daten sagen, dass sie das schon immer gewusst hätten. Sie haben es aber nicht gewusst. Und Überraschungen werden sofort als logisch abgetan. In etwa der Hälfte der Fälle bestätigen wir das, was der Instinkt den Verlegern sagt. Aber auf den Instinkt kann man sich nicht verlassen. Oft genug zeigen die Daten eben auch, dass er fehlschlägt.
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