Elektronisches Publizieren ist heute aufs engste mit dem Begriff XML verbunden. Das CrossMediaForum von Heinold Spiller & Partner ist das traditionsreichste hersteller- und verlagstyp-übergreifende Fortbildungsformat zum Thema Publishing-Technologien. Am 2. Juli 2018 wird es in München zum 20. Mal stattfinden. Veranstalter Ehrhardt F. Heinold blickt im IT-Channel von buchreport.de zurück auf die vergangenen Jahre und erläutert aktuelle Trends im crossmedialen Publizieren.
Vor 20 Jahren, im Jahr 1998, veröffentlichte das World Wide Web Consortium (W3C) die erste Version von XML. Darf dieser Moment als der „Urknall“ des Cross Media Publishing gelten?
XML war ein wichtiger, vielleicht sogar der entscheidende Schritt zur Verbreitung der crossmedialen Arbeitsweise. Aber wie Sie wissen, ist XML eine Weiterentwicklung von SGML, dessen Grundlagen in den sechziger Jahren entwickelt wurden und das als der eigentliche Urknall und Geniestreich für die Philosophie von crossmedialem Publizieren gilt. Die Idee der „MarkupUpLanguage“ basiert auf der strikten Trennung zwischen Bedeutung, Struktur und Darstellung – was ja bei den DTP-Programmen immer vermischt wurde. SGML kann genau wie XML von jedem beliebigen Texteditor gelesen werden, es ist unabhängig von einem bestimmten Editor und damit auf die langfristige Verwendung angelegt. Wer heute SGML-Daten aus den siebziger Jahren hat, kann diese problemlos verwenden und sogar crossmedial publizieren. Die Leistungsfähigkeit von SGML zeigte sich dann auch bei der Erfindung des WWW, denn HTML ist ja „nur“ eine Anwendung von SGML.
Was hat sich an diesem Tag verändert – für Leser, für klassische Verleger, für jeden, der überhaupt publizierte?
An diesem Tag hat sich noch nicht viel verändert. Die Pioniere in der Verlagsbranche, also vor allem die RWS- und Wissenschaftsverlage, hatten ja schon SGML im Einsatz. Allerdings waren damals sowohl die Programmierer schwer zu bekommen als auch die Softwaretools eher umständlich. Da XML durch den direkten Anschluss an die Webtechnologie eine viel breitere Verwendung als SGML gefunden hat, konnten beide Probleme entschärft werden. Zur Verbreitung haben aber vor allem auch die weiteren XML-Technologien wie XLS, SVG oder SOAP beigetragen. XML ist damit eine Generalsprache für die digitale Welt geworden. Die Durchsetzung von XML als einem breit verwendeten Standard hat dann aber noch viele Jahre gedauert, und selbst heute gibt es in vielen Verlagen Projektmanager, die nicht wirklich wissen, was XML ist.
Wie sind die deutschen Buch- und Fachverlage mit dieser neuen Freiheit umgegangen?
Zunächst haben sich wie gesagt nur die RWS- und Wissenschaftsverlage um den Standard gekümmert, denn sie haben früh die Vorteile von strukturierten Daten erkannt. Ein Gesetzestext oder Kommentar ändert sich ja nicht, wenn ich ihn drucke oder im Internet publiziere, allenfalls gibt es zusätzliche Elemente wie Links oder Begriffserläuterungen, aber XML lässt diese Varianten zu, diese Flexibilität ist ein weiterer Baustein seiner Leistungsfähigkeit. Diese Verlage haben zunächst ihre Inhalte mit XML strukturiert und anschließend ihre Workflows auf dieses Format ausgerichtet, einige haben dann crossmediale Redaktionssysteme eingeführt, um den gesamten Content Lifecycle managen zu können.
Die Buchverlage haben sich erst im Zusammenhang mit dem E-Book mit XML beschäftigt, denn das Format EPUB basiert auf XML-Standards. Vor allem die großen Verlagsgruppen haben jetzt standardisierte Workflows, bei denen automatisch ein EPUB-Format erzeugt wird.
Heinold, Spiller & Partner waren schnell bei der Hand mit Beratungs- und Fortbildungsangeboten – so mit dem CrossMediaForum. Ein „Oldtimer“, der nun am 2. Juli 2018 bereits zum 20. Mal stattfindet. Warum gerade eine Konferenz?
Nach unserer Beobachtung gab es keine Konferenz, die sich mit den spezifischen Herausforderungen des crossmedialen Publizierens beschäftigte. Auch für die Anbieter von IT-Systemen und Dienstleistungen im XML-Umfeld gab es keine so spezifische Möglichkeit, ihre Leistungen und Lösungen zu präsentieren. So entstand bei uns die Idee, Anbieter und Nachfrager zusammenzubringen. Diese Idee hat bis heute getragen, denn im Wesentlichen sind es die Anbieter, die mit ihren Fallbeispielen und Innovationen das CrossMediaForum inhaltlich gestalten. Wir als Veranstalter sorgen dann dafür, dass keine reine Werbeveranstaltung, sondern ein fachlich anspruchsvolles Programm entsteht.
Wenn Sie einen Helikopterflug über 20 CrossMediaForen machen: Was ist am Cross Media Publishing die schwierigste Hürde für Anwender aus den Verlagen?
Die schwierigste Aufgabe besteht für alle Beteiligten darin, gewohnte Denk- und Arbeitsweisen zu verändern: Die Redakteure müssen mit strukturieren Inhalten arbeiten, im besten Fall beginnt diese Arbeitsweise schon bei den Autoren, damit diese ihre Texte so abliefern, dass sie innerhalb einer definierten Verwendungslogik strukturierbar sind. Denn nur wenn es solche Standards gibt, lassen sich Texte „medienneutral“ aufbereiten. Aber auch die Grafik- und Herstellungsabteilungen müssen umdenken, denn die Gestaltung der Inhalte steht nicht mehr im Fokus, sondern der crossmediale Workflow, der einen möglichst hohen Automatisierungsgrad anstrebt und damit „Sonderlocken“ möglichst vermeidet. Diese Anforderung ist sicher eine der größten Kampfzonen vom crossmedialen Publizieren. In einer Kreativbranche, zu der die Verlage gehören, sind vom Autor über den Grafiker bis zum Hersteller einfach sehr viele Individualisten unterwegs.
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Natürlich stellt auch die Umsetzung eine große Herausforderung dar, denn die medienneutrale Strukturierung eines Textes sollte immer nach Verwendungsoptionen durchgeführt werden, viele Verlage haben das aber Satzdienstleistern oder XML-Experten überlassen. Auch die Umsetzung von geeigneten Workflows oder gar die Einführung eines entsprechenden CMS sind anspruchsvolle Projekte mit weitreichenden Veränderungen.
Das Change Management sollte also immer integraler Bestandteil eines jeden Crossmedia-Projektes sein, wie wir in einer Studie mit der Universität Göttingen anhand von zwei Fallbeispielen gezeigt haben.
Was ist im Lauf dieser Zeit an Aufgaben für Herstellung, Technologie und Content Manager, aber vielleicht auch für Redaktionen und Lektorate hinzugekommen?
Herstellung und IT sind zusammengewachsen, denn der Herstellprozess wurde zunehmend technologisiert. Viele Verlage haben diese beiden Abteilungen bereits fusioniert, denn letztlich geht es um „Content Management und Logistik“.
Die Redakteure müssen sich jetzt mit den Strukturen ihrer Texte auseinandersetzen, teilweise sind sie sogar in der Lage, über Templates das Layout zu kontrollieren. Dieser Aufgabenzuwachs gefällt vielen Redakteuren nicht, auf der anderen Seite ist das die Grundlage für die Mehrfachverwertung von Inhalten.
Ist Cross Media Publishing insgesamt einfacher oder schwieriger geworden?
Insgesamt ist es einfacher geworden, denn das Wissen um den Einsatz von XML hat sich verbreitert, vor allem aber sind die Softwaretools leistungsfähiger und anwenderfreundlicher geworden. Neue Entwicklungen wie das ebenfalls auf XML bzw. HTML basierende Drucken aus dem Browser (Stichwort PrintCSS) werden das crossmediale Publizieren noch weiter erleichtern.
Hat sich der Markt für Verlage durch Cross Media Publishing seinerseits verändert?
Ich denke schon, denn wenn ein Verlag crossmediale Workflows einsetzt, dann hat er klare Vorteile gegenüber jenen, die das nicht können. Deshalb kann es sich zum Beispiel ein RWS-Verlag nicht leisten, ohne diese Technologie zu arbeiten. Die Datenlieferung an Dritte, wie zum Beispiel andere juristische Portale, wäre dann gar nicht leistbar.
Es gibt allerdings immer noch Bereiche, in denen XML noch keine große Rolle spielt. Ich denke hier vor allem an Fachzeitschriftenverlage, die ihre Printinhalte nur als PDF-Datei publizieren oder per Copy-und-Paste ins Internet bringen. Allerdings ist das sicher keine wirklich zukunftssichere Lösung.
Der Marktanteil der E-Books wird auch auf mittlere Sicht über den einstelligen Prozentbereich nicht hinauskommen. Wird da nicht zu viel Wind um Medienneutralität gemacht?
Da muss ich Ihnen vehement widersprechen. Gerade hat der Lübbe Verlag berichtet, dass bei ihnen der E-Book-Anteil in einem relevanten zweistelligen Bereich liegt. Die offiziellen Zahlen zum E-Book-Anteil sind einfach nicht aussagekräftig, wie sogar das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels in einem Artikel ausführlich erläutert hat.
In jedem Fall aber muss jeder Verlag für sich entscheiden, ob die Investition in diese Technik und die damit verbundenen Veränderungen lohnend sind oder nicht. Nach all den Jahren kann ich sagen, dass crossmediales Publizieren nicht immer und für jedes Medienprodukt sinnvoll ist.
Genau genommen gibt es ja gar keine „medienneutralen Inhalte“, denn der Publikationsweg bestimmt immer den Inhalt, eine Twittermeldung sollte anders formuliert sein als eine Kurzmeldung. Aber auch hier bietet XML über Varianten eine Antwort.
Welche sind aus Ihrer Sicht die interessantesten kurz- und mittelfristigen Trends im Cross Media Publishing?
Ein großer Trend ist, wie schon beschrieben, die Möglichkeit, mit HTML5 und CSS, also mit einer reinen Webtechnologie, direkt im Browser Inhalte zu erstellen, zu bearbeiten und dann in allen Kanälen zu publizieren.
Ein weiterer Trend besteht in der semantischen Aufbereitung von Inhalten, also der Verknüpfung von Inhalten. Zudem gewinnen hier Metadaten eine wachsende Bedeutung, so dass aus einem Contentpool bestimmte Inhalte selektiert werden können, zum Beispiel um personalisierte Produkte zu erstellen oder sehr spezifische Fragen zu beantworten.
Ein weiterer Trend, der allerdings schon fast keiner mehr ist, ist die Speicherung von Inhalten aller Art, also auch von unstrukturierten Dokumenten, in sog. NoSQL-Datenbanken, die es erlauben, XML-Dateien nativ zu speichern. Das erhöht die Flexibilität und Geschwindigkeit beim Content Management enorm.
Zudem wird es immer mehr Standards wie zum Beispiel Docbook für Bücher oder JATS für wissenschaftliche Artikel geben, und die Verlage sind gut beraten, diese Standards zu verwenden und nicht immer das Schießpulver neu zu erfinden. Aber diese Erkenntnis setzt sich zum Glück immer weiter durch.
Wie beeinflusst das mobile Internet, die Durchsetzung von Smartphone und Tablet, die Anforderungen an Konzepte des Cross Media Publishing?
Zunächst stellt Mobile neue Anforderungen an Inhalte und deren Darstellung. Manche Texte wie zum Beispiel Romane müssen textlich nicht angepasst werden, um sie auf einem mobilen Endgerät zu publizieren. In solchen Fällen kann XML seine volle Stärke ausspielen. Wenn ich allerdings für den mobilen Kanal neue Inhalte erstellen muss, dann können medienneutrale Inhalte nur eine Ausgangsbasis sein, die für den mobilen Kanal bearbeitet werden müssen. Wie schon erläutert sollte jeder Verlag prüfen, welche Inhalte für welches Medium in welchem Format gehalten werden müssen, um mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst mediengerechten und damit nutzerfreundlichen Output zu erzielen.
Zurück zum CrossMediaForum: Welche Verlage, welche Funktionen profitieren am meisten von der Veranstaltung?
Wir haben bisher Besucher aus allen Verlagstypen gehabt, aber die Fach- und Wissenschaftsverlage waren immer in der Mehrzahl, denn bei ihnen ist die Mehrfachverwertung von Inhalten komplexer, aber auch wichtiger. Ein Roman ist ein Roman, Verlage mit granularen Inhalten müssen sich erheblich mehr Gedanken über das Management von Content machen.
Die Bereiche mit dem größten Interesse am CrossMediaForum sind natürlich die Herstellung, die IT und das E-Business, aber auch Produktmanager, Chefredakteure und Verlagsleiter haben sich bei uns schon informiert.
Interessieren sich Verleger, Programmmacher und Marketingleute genug für Cross Media Publishing?
Programmmacher und Marketingverantwortliche sind ja Kreative, die interessieren sich weniger für diese Themen. Auch Verleger besuchen selten das CrossMediaForum, eher kommt ein kaufmännischer Geschäftsführer, um anstehende Invesitionsentscheidungen besser beurteilen zu können. Das Thema sollte aber nicht nur den Herstellungs- und IT-Abteilungen überlassen werden. Ich denke, dass viele Probleme mit Crossmedia-Projekten auch aus dem mangelnden Interesse und dem fehlenden Sachverstand der Führungsebene resultieren.
Sie haben erstmals das Format erweitert: Am Folgetag, also am 3. Juli 2018, bieten Sie das sogenannte KI-Barcamp an. Ist KI überhaupt ein relevantes Thema für Verlage, sind die Lösungen der Dienstleister nicht zu groß, zu teuer und zu wenig anwendbar auf die Usecases des verlegerischen Mittelstandes?
Genau diese Frage wollen wir mit den Teilnehmern bearbeiten. Wir haben tolle Teilnehmer, das wird eine sehr qualifizierte Diskussion. Momentan wird ja alles durcheinander geworfen, KI, Semantik, Bots –wir wollen das sortieren und nach realistischen Einsatzszenarien suchen. Zu dem finanziellen Aufwand möchte ich nur anmerken, dass jeder Verlag für sehr kleines Geld die KI-Infrastruktur der großen IT-Giganten wie zum Beispiel von Google oder Amazon mieten und verwenden kann. Es besteht insgesamt ein großer Aufklärungsbedarf, auch deshalb erarbeiten wir zum KI-Barcamp eine Studie, die eine Übersicht über Anwendungsbereiche und Dienstleister liefern wird.
Könnten Verlage zum Beispiel durch Kooperation untereinander die Anwendbarkeit von KI-Lösungen auf ihr Geschäft verbessern?
Grundsätzlich wäre das denkbar, aber naheliegender erscheint mir die Nutzung von mietbaren Cloudlösungen zu sein. Zudem haben die Verlage bisher auch bei anderen IT-Themen nicht kooperiert, hier müsste sich also zunächst die Einstellung der Verlage ändern. Bisher galt immer: Jeder macht seins. Dass aber eine Technologiekooperation für beide Seiten Vorteile haben kann, zeigt die nunmehr seit Jahren erfolgreich bestehende Kooperation von WEKA und Haufe, ein Modell, das meines Wissens bisher keine Nachahmer gefunden hat. Dabei sind Technologieinvestitionen für viele Verlage eine echte Herausforderung und für kleinere gar nicht mehr leistbar.
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