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Der Buchbranche geht’s noch gold

Wenigstens das Internet blieb Kurt Tucholsky erspart: „Man sollte gar nicht glauben, wie gut man auch ohne die Erfindungen des Jahres 2500 auskommen kann“, schrieb der große Skeptiker 1932. Doch obwohl Tucholsky das Internet weder kannte noch vermisste, hat er auch einen Satz geschrieben, der die aktuelle Situation trifft: „Meine Sorgen möchte ich haben“, seufzt Tucholsky in der „Psychologie der Löcher“. Und genau das könnten Buchverleger sagen, wenn sie einen Blick auf die Verwüstungen werfen, die der Digitalisierungs-Tsunami bei Zeitungen und Zeitschriften anrichtet. Im Vergleich dazu geht’s der Buchbranche noch gold.

Für aktuelle Printware ist der Kampf ums Dasein in der elektronischen Zukunft ungleich härter als für Bücher. Fast möchte man einen anderen großen Skeptiker, Dante Alighieri, zitieren: „Lasset, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“, steht über dem Eingang zur Hölle in seiner „Göttlichen Komödie“. Zwar leiden Bücher wie alle gedruckten Medien unter der Faszination der bunten Bildschirme, der schnellen Datenleitungen und der hypnotisierten Nutzer. Aber den Zeitungen und Zeitschriften gehen gerade zwei Standbeine ihres Geschäfts verloren: Aktualität und Werbegeld. Zwei Ressourcen, die dabei sind, sich im Web-Zeitalter zu verflüchtigen, zwei Faktoren, ohne die Deutschlands Presse in ihrer gegenwärtigen Form nicht denkbar ist.

Wer jemals intensiv internationale Nachrichtensites im Web studiert hat, wird feststellen: Die Nachrichtenlage, wie sie unsere Zeitungen bei der Morgenlektüre präsentieren, ist die Nachrichtenlage vom Vorabend: Inzwischen hat in den USA eine weitere Bank pleite gemacht und in Asien ein Erdbeben gewütet. Nicht ganz unwichtig in einer globalisierten Welt. Schnelle Information im Webzeitalter auf gedrucktem Papier physisch von A nach B zu transportieren, ist ein Anachronismus, der jungen Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, geradezu absurd erscheint. Dass ein Zeitungsmacher jüngst davon sprach, die Zeitungen könnten sich im Webzeitalter endlich vom „Diktat der Nachrichtenlage“ lösen, ist eher ein Krisensymptom als eine Lösung. Unbeantwortet bleibt die  Frage, die mir vor zwölf Jahren der Branchen-Intimus Günther Kress stellte, als ich ihm eine Online-Version seines Dienstes „kressreport“ vorschlug: „Was wollen wir denn drucken, wenn wir die Nachrichten jeden Tag online bringen?“

Klassische Werbung kommt aus der Mode

Das zweite Problem, über das Buchverleger sich keine Vorstellung machen, ist das Wegbrechen der Werbeeinnahmen. Die Kosten können durch dünnere Hefte und günstigere Technik gar nicht so schnell sinken, wie die Werbeeinnahmen wegbrechen. Jahrelang galt in der Branche die Faustregel: Der Leser bezahlt – bestenfalls – Druck, Papier und Vertrieb; die Kosten für Verwaltung und Redaktion sowie der Gewinn müssen durch Werbeeinnahmen reinkommen. Die Zeiten sind passé – selbst beim „Spiegel“, der bisher verhältnismäßig gut durch die Krise steuert: Noch vor 15 Jahren generierte der er fast zwei Drittel seiner Einnahmen aus Werbung, heute nicht mal mehr die Hälfte.

Auch ein machtvoller und erfolgreicher Online-Auftritt weist keinen Ausweg: Nach jahrelang strammem Wachstum stagnieren die Anzeigenumsätze von Spiegel Online in diesem Jahr. Der Grund: Klassische Medienwerbung kommt, auch online, aus der Mode. Werbungtreibende und ihre Agenturen setzten immer weniger auf die Faszination und Selektionskraft von Medienmarken. Sie rechnen lieber nach konkretem Zuspruch (meist gemessen in Klicks auf Banner, Link und Websites) und da schneiden neue Web-Player wie Google oft besser ab als die Online-Ableger der Printmedien.

Kraft der Medienmarke schwindet

Zudem verlieren die Printmarken im Netz an Strahlkraft. Auch Qualitätstitel wie „stern“ oder „FAZ“ werden im Internet nicht unbedingt „durchblättert“ wie die Printausgaben. Häufig stoßen die Nutzer auf einzelne, sie konkret interessierende Artikel über Links, die andere, neue Content-Aggregatoren setzen. Google ist der bekannteste Navigator durch das Dickicht der Netz-Artikel. Aber auch von Nutzern gegebene Empfehlungen bei digg.com oder webnews.de sowie von Journalisten betriebene Überblicksseiten wie z.B. perlentaucher.de (für Rezensionen) oder turi2.de (für Medien-News) sorgen mit dafür, dass Faszination und Bindungskraft der alten Medienmarke schwindet.

Auch die Debatten entgleiten ihnen zunehmend. Schreibt etwa der „Spiegel“ über Blogger oder andere Internetthemen, wird das in unzähligen privaten Blogs oder Foren härter und ausführlicher diskutiert als auf spiegel.de. In den USA ist der Polit-Blog „Huffington Post“ zu einer mächtigen und wirtschaftlich erfolgreichen Stimme geworden, obwohl er kaum Basis-Recherchen anstellt, sondern nur andere News verlinkt und darüber Debatten führt. Man mag das „Schmarotzerjournalismus“ nennen, wie „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe es aus Sicht eines sehr alten Mediums getan hat. Das ändert nichts daran, dass Entlassungswellen, Notverkäufe und Sparmaßnahmen die amerikanische Verlagsszene bestimmen und der deutschen bevorstehen. Das Kernproblem: Das Geld fehlt genau für das, was der Überlebensgarant sein soll – journalistische Qualität. Das, was am dringendsten benötigt wird, ist durch die Abkehr von Lesern und Werbekunden kaum noch zu finanzieren: Tiefe Recherche.

Doch wo Not wächst, wächst das Rettende auch: Keine Bewegung ohne Gegenbewegung. Die Begeisterung junger Menschen für das Digitale wird sich legen. Wer den ganzen Tag im Büro am Bildschirm arbeitet, wird vielleicht am Abend oder am Wochenende den Strom der Bilder, Feeds und News anhalten wollen. Schon gibt es Hinweise, dass der Webkonsum von Studenten nach dem Berufseinstieg sinkt. Zudem wissen wir Älteren, dass zu viel Bildschirm-Geflimmer, SMS-Gepiepse und E-Mail-Gesumme ein cerebrales Unaufmerksamkeits-Syndrom beschert. Die Jüngeren werden es noch schmerzlich lernen.

Der sinnliche Genuss ist unersetzlich

Der Eilbrief, die Zeitung, das Fax, das Telegramm – alles kaum zu retten unter dem Ansturm des Internets. Auch der mit heißer Nadel gestrickte Ratgeber oder das schnell auf den Markt geworfene Promi-Buch mögen tot sein. Wer aber möchte auf eine gut gemachte Wochenzeitung, ein gekonnt bebildertes Magazin verzichten? Wer will den gut geschriebenen Reiseführer, im Liegestuhl am Urlaubsort genossen, durch ein quäkendes Navi ersetzen? Wer will den sinnlichen Genuss eines packenden Romans oder eines exzellent fotografierten Kochbuchs durch den Handy-Konsum von Spielfilmen oder Kochvideos ersetzen?

Nein, auf Papier gedruckte Bücher werden nicht im großen schwarzen Loch der Digitalisierung verschwinden. Und auch nicht in Amazons Buch-iPhone Kindle. Wer es als Buchverleger schafft, den unerbittlichen Mahlstrom der Ereignisse anzuhalten, eine Emotion, einen bleibenden Wert auf Papier zu bannen, der wird überleben. Und sei es nur, weil ich das Gedruckte aufbewahren, wieder lesen, verleihen, verschenken oder vererben möchte. Buchverlegern muss dabei nicht bang sein, Zeitungsverlegern schon.

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