Das Internet hat in den vergangenen Jahren viele Lebensbereiche verändert. Welchen Einfluss es auf das Geschichtenerzählen hat, hat die „New York Times“ verschiedene englischsprachige Autoren gefragt. buchreport hat sich unter deutschen Schriftstellern umgehört und stellt die Antworten zu den Einflüssen der Digitalisierung in den kommenden Wochen vor. Im fünften Teil unserer Reihe äußert sich Emily Bold:
Inwiefern hat sich Ihr Arbeitsalltag in den vergangenen Jahren verändert?
In keiner Weise. Ich war unter den ersten Autoren, die Amazon Kindle Direct Publishing zum Start in Deutschland genutzt haben. Damit verbunden war die Erkenntnis, dass u. a. die verschiedenen Social-Media-Kanäle künftig eine wesentlich bedeutendere Rolle für Schriftsteller einnehmen werden als bisher, d. h. es wurde zunehmend wichtiger, neben der eigentlichen Schreibarbeit direkt mit Lesern in Kontakt zu treten und sich auszutauschen oder auch für sich selbst die Werbetrommel zu rühren. E-Books formatieren, Kenntnisse in HTML und CSS erwerben? In diese Digitalisierung bin ich unmittelbar hineingewachsen und denke, ich konnte davon profitieren.
Die Digitalisierung hat für mich viele Vorteile gebracht: Arbeiten von unterwegs, egal wo ich bin. E-Mails problemlos mit dem Smartphone abrufen, Online-Recherche betreiben, Meetings via Skype – und das weltweit. Dank Cloud-Diensten habe ich überall Zugriff auf die Daten, die ich gerade für meine Arbeit benötige. Kommt mir während einer kleinen Pause im Café eine zündende Idee für mein Skript, kann ich diese direkt im Text umsetzen, sei es mit dem Handy, dem Tablet oder meinem Laptop.
Was sind Ihre größten Hoffnungen und Sorgen in Bezug auf die Digitalisierung?
Da bleibe ich entspannt. Ich glaube, dass die Digitalisierung Chancen bietet – sei es für Autoren, den Handel, Künstler oder andere Kreativ-Schaffende. Die Möglichkeiten sind schier unendlich. Ich versuche, mit der fortschreitenden Digitalisierung Schritt zu halten und damit neue Wege zu entdecken. Natürlich hat dies alles auch seine Schattenseiten, denn gerade im Buchmarkt wird es mit zunehmender Buchpiraterie problematisch für Verlage und Autoren. Das Urheberrecht wird mittlerweile allzu leicht mit Füßen getreten, weil sich jeder im Schutz des vermeintlich anonymen Internets sicher fühlt.
Wie zufrieden sind Sie mit dem E-Book-Markt?
Der E-Book-Markt ist extrem schnelllebig und der digitale Leser verlangt nach immer neuem Lesestoff. Die – nennen wir es Halbwertszeit – eines Romans wird immer kürzer. Ich habe manchmal das Gefühl, Bücher werden nicht mehr genossen, sondern nur noch konsumiert. Schneller, billiger, mehr. Gleichzeitig ist dabei ein kritischer Preisverfall der E-Books zu beobachten, der auf Dauer nicht funktionieren kann. Es darf nicht im Sinne eines Selfpublishers sein, einen kompletten Roman mit 350 Seiten oder mehr für 0,99 Euro zu verschleudern – genauso wenig aber sehe ich die Notwendigkeit der Verlage, E-Books für 15 Euro und mehr zu verkaufen. Ich hoffe, der Markt reguliert sich bald auf ein vernünftiges Level, welches für alle Seiten zufriedenstellend ist.
E-Book-Flatrates sind eine neue, spannende Entwicklung der Branche. Ich bin momentan noch etwas skeptisch, ob sich dieses Modell für Bücher genauso eignet wie für Musik, das aber wird die Zeit zeigen. Amazon hat es in den USA mit dem Start von Kindle Unlimited vorgemacht: Die digitalen Flatrates werden kommen, ob wir wollen oder nicht. Bereits in Deutschland bestehende Angebote wie z. B. Readfy werden damit mächtige Konkurrenz bekommen. Die Frage wird jetzt sein, wie die Inhalte dieser Flatrates finanziert werden, bzw. ob das Leihgeschäft für Verlage und Autoren rentabel ist – und wie dabei der Kuchen umverteilt wird. Langfristig aber könnte ich mir durchaus vorstellen, dass Flatrates einen großen Teil des E-Book-Markts einnehmen werden und gleichzeitig vielleicht auch einen Rückgang der E-Book-Piraterie mit sich bringen werden. Denn wer legal „unendlich“ viele Bücher für 9,99 Euro pro Monat lesen kann, tut dies (hoffentlich) auch.
Ist der wachsende Selfpublishing-Markt Chance oder Bedrohung für Autoren, die vom Schreiben leben wollen?
Ich bin Hybrid-Autor, verlege also sowohl selbst als auch mit Verlagen. Und ich lebe davon. Der Selfpublishing-Markt ist sicherlich eine große Chance für Autoren, neue Inhalte an den Leser zu bringen. Allerdings birgt dieser Markt aber auch die Gefahr, in der Flut der Neuveröffentlichungen unter die Räder zu geraten. Was nicht „gesehen“ wird, wird eben nicht gekauft und verschwindet damit unweigerlich im digitalen Nirwana. Der bereits erwähnte Preisverfall ist ebenfalls ein ernsthaftes Problem, in besonderem Maß natürlich für Verlagsautoren, die bei den Niedrigpreisen nicht mitziehen können, aber durchaus auch für Selbstverleger, denn irgendwann ist der Kunde einfach nicht mehr bereit, mehr als 0,99 Euro für ein E-Book zu bezahlen – und davon kann auf Dauer niemand leben.
Wie groß ist die Gefahr, die von E-Book-Piraterie ausgeht?
Schwieriges Thema! Ich denke, dass nicht nur die E-Book-Piraten das Problem sind, sondern ebenso die Nutzer, die das Angebot der raubkopierten E-Books nutzen. Man muss davon ausgehen, dass Kopierschutzmaßnahmen wie hartes DRM auch in Zukunft nicht effektiv schützen werden, im Gegenteil. Es ist ein grundsätzliches Problem der Gesellschaft, wenn fremdes Eigentum – egal ob tatsächlich materiell oder in „geistiger“ Form – nicht mehr schützenswert ist.
Sind die Buchverlage schon fit fürs digitale Zeitalter? Was wünschen Sie sich von ihnen?
Ich gehe fest davon aus, dass die meisten Verlage mittlerweile neue Strategien für ihr weiteres Überleben entwickelt haben, und sich auch intensiv mit der Digitalisierung beschäftig haben. Viele nutzen den boomenden Markt des Selfpublishings ja bereits sehr geschickt. Sei es damit, eigene digitale Imprints zu schaffen, um den Markt zu testen oder auch dadurch, erfolgreiche Selbstverleger unter Vertrag zu nehmen. Einige Verlage haben Lesecommunitys aufgebaut, um ihre Leser stärker an die eigenen Produkte zu binden. Ich denke, wir leben in Zeiten des Umbruchs und müssen erst alle wieder unseren neuen Platz finden und festigen. Was ich mir seit langem wünsche, ist etwas mehr Mut der Verlage, in „neue“ Autoren, in neue Ideen zu investieren, und nicht in den alten, festgefahrenen Verlagsstrukturen zu verharren.
Im Mai 2011 erschien Emily Bolds erstes Buch „Gefährliche Intrigen“ bei Amazon Kindle Direct Publishing. Ende November desselben Jahres gehörte der Titel zu den meistverkauften Romanen im Kindle Shop von Amazon. Bis heute hat sie zwölf deutschsprachige und fünf englischsprachige Bücher und Novellen veröffentlicht.
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