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Gegenwartsliteratur: nicht brav und langweilig

Der Preis der Leipziger Buchmesse wird in diesem Jahr zum 10. Mal im Blitzlichtgewitter vergeben. Literaturkritiker und Jury-Vorsteher Hubert Winkels (Foto: Bachmannpreis) beleuchtet im buchreport-Interview mit Nicole Stöcker eine Auszeichnung mit Impulscharakter.

Sie zeichnen die besten Bücher des Frühjahrs aus. Ist es insgesamt ein starker oder ein eher schwacher Jahresauftakt?
Entscheidend ist meines Erachtens: Gibt es einige herausragende Bücher, die man nicht erwartet hat, die einen wegen ihrer Machart frappieren und über die man sich einfach freut? Wenn es davon eine Handvoll gibt, dann ist es ein reiches Frühjahr – und das ist das Frühjahr 2014 definitiv. Sekundär finde ich dagegen die Frage, ob das Mittelmaß höher oder besser ist. 
Im Feuilleton bekommt die deutsche Gegenwartsliteratur im internationalen Vergleich momentan schlechte Zeugnisse. Ist sie tatsächlich brav und langweilig?
Im Gegenteil, die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hält sehr gut die Balance zwischen Avanciertheit und interessanten Stoffen. Man sollte sich nicht davon irre machen lassen, dass sich deutsche Kultur in Amerika nicht so stark niederschlägt wie umgekehrt. Das hat nicht viel mit der Qualität der Texte zu tun, sondern da spielt vor allem die Bevorzugung bestimmter historischer und zeitgeschichtlicher Themen hinein oder ganz andere Fragen. Etwa: Wie groß ist der Einfluss der Institutionen? Haben die Verlage deutschsprachige Lektoren? Wie können sich die Übersetzer durchsetzen?
Zehn Jahre Preis der Leipziger Buchmesse – hat sich die Auszeichnung etabliert?
Das darf man wohl sagen. Ich finde, es ist sogar der beste Preis, den es im deutschsprachigen Raum für deutsche Literatur gibt. Die Auszeichnung sticht ja durch ihre besondere Konstruktion hervor, indem Bücher in den drei verschiedenen Sektionen Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung hervorgehoben werden, sowie dadurch, dass die Jury ausschließlich aus Kritikern besteht. Durch diese Konstruktion, durch die auch für andere wichtige Sektoren Aufmerksamkeit geschaffen wird, und durch die Auswahl der Nominierten und Preisträger in den letzten Jahren hat sich der Preis als unverzichtbar positioniert.
Die Vergabe wird ähnlich wie in Frankfurt via Shortlist als Wettkampf zelebriert, aus dem (jeweils) ein Gewinner hervorgeht. Ist die Kritik an diesem Procedere gerechtfertigt?
Die Listen erzeugen ja beim Interessenten ein Spannungsvorgefühl und haben damit ein wenig die Funktion übernommen, die früher die Literaturbeilagen in den Zeitungen hatten, wo auch unter einer großen Anzahl von Titeln ausgewählt wurde. Diese „Abwanderung“ kann man bedauern, was aber dadurch gemildert wird, dass mehrere Zeitungsleute in der Jury mitarbeiten.
Zur Person: Hubert Winkels

Ist seit 1988 Literaturkritiker für „Die Zeit“ und seit 1997 Literaturredakteur des Deutschlandfunks in Köln. Er lehrte im amerikanischen St. Louis, in Tokio, Göttingen, Essen und Bochum. Winkels ist Mitglied in mehreren Fachjurys, u.a. beim Ingeborg-Bachmann-Preis, beim Wilhelm-Raabe-Literaturpreis und in der Jury des Düsseldorfer Literaturpreises.

Kommentare

1 Kommentar zu "Gegenwartsliteratur: nicht brav und langweilig"

  1. Ich finde das mit ‚den besten‘ Büchern ja stets verwirrend. Für wen sind sie denn die besten? Für mich? Ehrlich?
    Da vertraue ich doch lieber auf Empfehlungswebseiten wie http://www.readgeek.com die meine Lesegewohnheiten lernen und mir dann gezielt Bücher empfehlen können, die auch zu meinem Geschmack passen.
    Was soll ich mit Bestsellerlisten (wie oben links) wenn sie lediglich den Massengeschmack widerspiegeln?

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