Mit einer staatsmännischen Rede hat Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller am Mittwochabend die Leipziger Buchmesse 2019 eröffnet: Vom „Schock“ der KNV-Insolvenz und der schwierigen Situation auf dem deutschen Buchmarkt schlug er einen Bogen zur Europapolitik.
Dabei setzte Riethmüller den Fokus auf den Gedanken der Solidarität: Im Fall der Insolvenz des Buchlogistikers KNV, die „das Herz der Branche“ getroffen habe, war er beeindruckt von der großen Solidarität in der Branche: „Natürlich hat es oberste Priorität, die wirtschaftliche Lage des eigenen Unternehmens zu sichern. Aber es hat sich an vielen Stellen gezeigt, dass wir an einem Strang ziehen.“ Viele Buchhandlungen und Verlage hätten sich solidarisch mit KNV gezeigt, andere Zwischenbuchhändler seien in die Bresche gesprungen und hätten Zusatzschichten gefahren, um mögliche vorübergehende Engpässe zu schließen. „Dieser Zusammenhalt ist ungemein wichtig. Er zeigt mir, wie ernst wir unseren Auftrag nehmen, Menschen mit dem Kulturgut Buch zu versorgen, und das wir dies solidarisch und im Schulterschluss tun möchten.“
„Anti-europäische und nationalistische Kräfte gewinnen an Bedeutung“
Mit Blick auf Europa vermisst Riethmüller diese Solidarität, der Brexit sei das „wohl bisher deutlichste Symptom dafür, dass der Zusammenhalt in Europa brüchig geworden ist“. Auch in anderen Ländern wie Ungarn, Frankreich und auch in Deutschland sieht Riethmüller „anti-europäische und nationalistische Kräfte“ im Aufwind: „Sie fordern Abschottung statt Austausch. Sie rütteln am freiheitlich-demokratischen Fundament unserer Staatengemeinschaft.“ Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und der in zwei Monaten stattfindenden Europawahl müssten „wir alle“ uns die Frage stellen, in welchem Europa wir leben wollen: „In einem Europa der Solidarität, der Freiheit und Vielfalt? Oder einem Europa der Abschottung, Gleichförmigkeit und Eigenbrötlerei?“
Der Gedanke der Solidarität stehe auch im Zentrum des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung, mit dem die Journalistin und Schriftstellerin Masha Gessen in diesem Jahr ausgezeichnet wird, kündigte Riethmüller an. In ihrem Buch „Die Zukunft ist Geschichte“ (Suhrkamp) zeige sie am Beispiel von vier Lebenswegen im postsowjetischen Russland auf, was es mit Menschen und einer Gesellschaft macht, wenn Bürger- und Menschenrechte konsequent außer Kraft gesetzt werden.
„Solidarität spielt auch beim Thema Urheberrecht eine Rolle“
Abschließend bringt Riethmüller am Beispiel der Solidarität auch noch das Thema Urheberrecht und Schutz des geistigen Eigentums ins Spiel: Solidarität spiele auch bei der Frage eine Rolle, ob diejenigen, die Kreatives hervorbringen, für ihre Arbeit auch honoriert werden: „Kunst, Musik, Literatur zu schaffen und davon auch leben zu können, wird immer schwieriger. Technische Hürden gibt es im digitalen Zeitalter kaum noch, um Inhalte und Werke für alle frei verfügbar zu machen. Ein faires Miteinander endet dann, wenn Facebook, Google und Co. Milliarden einstreichen, während die Urheber hochgeladener oder verbreiteter Inhalte in vielen Fällen leer ausgehen.“
Die Richtlinie zum neuen EU-Urheberrecht, über die das Europäische Parlament in der nächsten Woche entscheiden wird, will nach Einschätzung Riethmüllers faire Bedingungen schaffen: „Die Urheberrechtsreform will gewährleisten, dass Künstler, Autoren und Verlage für ihre kreative Leistung bezahlt werden. Es ist gut zu sehen, wie Schriftstellerinnen und Musiker, Übersetzer und Filmemacherinnen, Fotografinnen und Journalisten sich hier solidarisch mit ihren Verlagen und Verbänden für ein modernes Urheberrecht in Europa aussprechen.“
Die Buch- und Kreativbranche könne mit ihren Inhalten und Ideen die Gesellschaft nur mitgestalten unter „fairen und sicheren Rahmenbedingungen“: „Und dafür brauchen wir eine gesetzliche Grundlage, die Sicherheit schafft und die Interessen aller Beteiligten bestmöglich ausgleicht. Genau das leistet das neue Urheberrecht für Europa.“
Riethmüller endet mit einem Appell: „Lassen Sie uns gemeinsam eintreten für mehr Solidarität: in unserer Branche, in Europa und bei der Frage, welchen Wert und welche Zukunft kreative Arbeit haben soll. Dafür müssen wir aktiv etwas tun.“
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