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Urteil zur Zeiterfassung – und jetzt?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in dieser Woche für eine „Überraschung“ und einen „Paukenschlag“ gesorgt, sind sich Beobachter einig. In einer weit­rei­chen­den Ent­schei­dung urteilte das Gericht, dass Un­ter­neh­men die Ar­beits­zeit ihrer Be­schäf­tig­ten sys­te­ma­tisch er­fas­sen müssen.

Im Kern ging es in dem verhandelten Rechts­streit um die Einführung einer Zeiterfassung nur darum, wie weit die Mit­be­stim­mungs­rech­te eines Be­triebs­rats gehen. Stattdessen stellte das BAG in einer Mitteilung jetzt trocken fest:

„Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.”

Damit folgt das BAG einem Ur­teil des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs (EuGH) von 2019 (sog. Stechuhr-Urteil). Bisher war es umstritten, ob dieses direkt bindend ist oder nur die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein entsprechendes Gesetz zu schaffen. Die Bundesregierung hatte 2021 im Koalitionsvertrag lediglich formuliert: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.”

„Das Arbeitsschutzgesetz gilt für alle Betriebe in Deutschland, gleich, ob ein Betriebsrat besteht oder nicht. Damit sind nach der Lesart des BAG alle Unternehmen, gleich welcher Größe, verpflichtet, die Arbeitszeit künftig zu erfassen“, ordnete der Fachanwalt Michael Fuhlrott bei „LTO” das BAG-Urteil ein. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sei – ohne Umsetzungsfrist – durch die Entscheidung Realität geworden. Ob und inwieweit das BAG Unternehmen Freiheiten zustehe, lasse sich der zunächst nur vorliegenden Pressemitteilung nicht entnehmen.

Überfällig oder überstürzt?

Die Reaktionen auf das Urteil fallen erwartbar unterschiedlich aus (Auswahl):

„Wir begrüßen, dass das Bundesarbeitsgericht die EU-Rechtsprechung zur Frage der Arbeitszeiterfassung konsequent in Deutschland anwendet. Das Bundesarbeitsgericht stellt damit im Vorgriff auf die überfällige gesetzliche Regelung klar, dass die Arbeitszeit vollständig erfasst werden muss“, sagte etwa die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis. „Damit können Schlupflöcher – etwa um Mindestlöhne zu unterlaufen – endlich geschlossen werden. Zudem wird damit nachweisbar, in welchem Umfang Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich Jahr für Jahr Überstunden leisten.“  

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) ruft die Arbeitgeber auf, das Urteil zügig umzusetzen. „Ich kenne keinen Lokaljournalisten, der nicht über die im Tarifvertrag vorgesehene Arbeitszeit hinaus arbeitet. Überstunden werden dem Verlag häufig geschenkt. Damit muss jetzt Schluss sein“, sagte der stellvertretende DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster. Das Urteil habe die notwendige rechtliche Klarheit gebracht.

Die Arbeitgebervereinigung BDA dagegen hält das Urteil für „überstürzt und nicht durchdacht“. Das Gericht überdehne den Anwendungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes deutlich, sagte Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. „Damit werden Beschäftigte und Unternehmen ohne gesetzliche Konkretisierung überfordert.“ Das dürfe nicht dazu führen, dass das von den Beschäftigten gewünschte Systeme der Vertrauensarbeitszeit in Frage gestellt werde.

Tatsächlich ist es so, dass es aktuell keine eindeutigen Vorgaben für eine Umsetzung gibt, weil weder Urteilsgründe noch gesetzliche Regelungen vorliegen. Das Bundesarbeitsministerium will die Begründung des BAG abwarten und prüfen, bevor es Vorschläge macht. 

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