Elisabeth Ruge (Foto: Stefan Nimmesgern) hat vor knapp zwei Jahren die Seiten gewechselt: Von der Verlegerin (Berlin Verlag, Hanser Berlin) zur Literaturagentin, die zuletzt u.a. den Deutschen Buchpreisträger Frank Witzel vermittelt hat. Auf dem buchreport-Zukunftstag (zukunftstag.buchreport.de), der am 27. November in Hamburg stattfindet, spricht sie über das Thema: „Wo Verlage an Grenzen stoßen: Die wachsende Funktion der Agenturen.“
Wird die Zuwendung von Agenten gegenüber ihren Autoren intensiver?
Ja, eindeutig. Das hat damit zu tun, dass Agenturen, zumindest in der Art wie wir sie führen, sehr viel Arbeit im Vorfeld leisten, die ich als Lektorin und Verlegerin noch als typische Verlagsarbeit kennengelernt habe. In der Agentur befassen wir uns sehr intensiv inhaltlich mit den Projekten: Bei Sachthemen entwickeln wir die Stoffe und strukturieren sie, bei fiktionalen Inhalten arbeiten wir intensiv mit den Autoren am Text, manchmal sechs bis acht Monate, bis wir einen Text rausschicken.
Eine Funktionsverschiebung?
So erleben dies zumindest meine Kollegen und ich.
Liegt das an den veränderten Rahmenbedingungen, der Vielfalt der Formate und Verwertungsstufen?
Das spielt auch eine Rolle, andererseits ist die intensive Beschäftigung mit Verwertungsoptionen in den Verlagen eher die Ausnahme. Dass wir so viel inhaltlich arbeiten, hat eher damit zu tun, dass in den Lektoraten oftmals sehr viele Aufgaben erledigt werden, die nicht originär Lektoratsarbeit sind. Autorinnen und Autoren erzählen, dass ihre Ansprechpartner in den Verlagslektoraten weniger Zeit für sie haben, weil sie viele Texte schreiben, die dem klassischen Marketing zuzurechnen sind, weil sie Web-Inhalte erstellen müssen etc.
Lektoren sind Product Manager?…
Es ist sicher kein Fehler, wenn sich Lektorate mit der Verkäuflichkeit beschäftigen, aber ich finde es wichtig, dass sich Lektorate vornehmlich mit der Kernarbeit am Inhalt befassen. Das macht Verlage wertvoll für die Autoren.
Wenn die Autorenarbeit immer stärker außerhalb der Verlage stattfindet: Befördert das den Selfpublishing-Trend oder ist diese Kausalität zu schlicht gedacht?
Nein, gar nicht. Tatsächlich beklagen Autoren, die ich kenne und die sich von den Verlagen lösen, um selbst zu publizieren, dass sie in den Verlagen einiges vermissen. Dass sie in den Lektoraten zu wenig betreut werden und dass sie, wenn sie nicht zur Topriege gehören, auch im Vertrieb und Marketing keine Vorteile aus der Verlagsveröffentlichung ziehen. Selbst bei der Pressearbeit gibt es jenseits der A-Autoren erkennbar weniger Engagement. Dies sind die Rückmeldungen, die wir bekommen, und Autoren fragen sich dann schon, wofür die eigentlich einen Verlag benötigen, wenn sie sich um die typischen Dienstleistungen für ein Buch doch am besten selbst kümmern.
Bei der laufenden Reform des Urhebervertragsrechts ist ein leichterer Ausstieg der Autoren aus Verlagsverträgen in der Diskussion. Verlage laufen dagegen Sturm. Wie stellt sich das aus Agentensicht dar?
Als jemand, der in dieser Branche verwurzelt ist, habe ich ein großes Interesse, dass zwischen Autoren und Verlagen ein gutes Verhältnis herrscht. Ich möchte, dass es weiterhin gut funktionierende, interessante Verlage gibt, in denen Autoren eine Heimat finden. Andere Publishing-Angebote haben zwar ihre Berechtigung, aber ich halte unsere klassischen Buchverlage immer noch für die beste Adresse für unsere Autoren.
Wenn sie denn ihre Funktion erfüllen?…
Es ist ein Henne-Ei-Problem. Was kann der Autor für ein Engagement des Verlags erwarten, wenn Verträge nach 5 Jahren aufgelöst werden können. Umgekehrt, wenn der Autor das Gefühl hat, dass sich der Verlag nicht richtig einsetzt und ihn nicht genug betreut, wird man verstehen, wenn der Bindungswunsch nicht mehr so ausgeprägt ist.
Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Bringen die Verlage noch genügend Leidenschaft für das einzelne Buch und seinen Autor auf? Und das hat eben auch etwas mit der zugewandten, individuellen Lektoratsarbeit zu tun. Wenn Gewissheit besteht, dass sich ein Verlag intensiv mit allen Abteilungen auf ein Buch einlässt, dann hat das 5-Jahres-Limit kaum Bedeutung. Wir befinden uns in einem großen Transformationsprozess, wo Beziehungen letztlich nur durch Zuwendung und menschliche Aufmerksamkeit gefestigt werden. Einem Autor, der oft Jahre an seinem Buch gesessen hat, kann man – überspitzt gesagt – nicht mit einem Autokorrekturprogramm begegnen. Die Autorenbeziehung ist der Kern der Verlagsarbeit. Diese Perspektive ist ein bisschen verloren gegangen.
Der 3. buchreport-Zukunftstag fokussiert die strategischen Optionen von Publikumsverlagen. Unter der Spitzmarke „Publikumsverlage 2020“ geht es am 27. November in Hamburg um das Selbstverständnis der Verlage als Entertainment-Unternehmen und als Autorendienstleister.
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