Seit einem Jahr ist das Mindestlohngesetz in Kraft – und sorgt auch in der Buchbranche weiterhin für Unsicherheit. Der Arbeitsrechtsexperte Martin Greßlin von SKW Schwarz über Auswirkungen und Aufwand.
In einem buchreport-Webinar gibt Greßlin am 15. März, 14 Uhr, einen Überblick über die wesentlichen rechtlichen Grundlagen des Mindestlohngesetzes und seine Auswirkungen für den Buchhandel und Verlage. Darüber hinaus werden erste praktische Erfahrungen im Umgang mit dem Mindestlohngesetz dargestellt und Möglichkeiten zur Gestaltung aufgezeigt. Hier melden Sie sich an…
Wie lautet Ihre Bilanz zum Mindestlohngesetz?
Martin Gresslin: Es ist es sicherlich noch zu früh, um eine abschließende Bilanz zu ziehen. Seit Inkrafttreten wurde politisch und rechtlich viel über den Sinn und die Auswirkungen des Mindestlohngesetzes gestritten. Mittlerweile liegen zu diversen Themen des Mindestlohns erste Entscheidungen der Arbeitsgerichte vor, die erste Leitlinien für die Praxis vorgeben. Über die arbeitsgerichtlichen Verfahren hinaus wurden auch mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz erhoben, die jedoch bislang allesamt aus formellen Gründen als unzulässig zurückgewiesen wurden. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung auf allen Ebenen bleibt aber abzuwarten. Nach Äußerungen der Bundesregierung sind gesetzgeberische Änderungen derzeit jedenfalls nicht geplant. Nichtsdestotrotz gab es bereits Änderungen der Rahmenbedingungen, die mittelbar auf die praktische Handhabung des Mindestlohngesetzes wirken. So wurde den Zollbehörden als überwachender Behörde vorgegeben, wie bestimmte Normen des Mindestlohngesetzes auszulegen sind. Dies gilt z. B. für die hoch umstrittene Frage der Haftung auf Zahlung des Mindestlohns durch den Auftraggeber gegenüber den Arbeitnehmern, die von einem beauftragten Werkunternehmer oder Dienstnehmer beim Auftraggeber eingesetzt werden (z. B. Arbeitnehmer von Reinigungsunternehmen). Als Zwischenfazit lässt sich deshalb ziehen, dass die ersten Schlachten geschlagen sind und sich der erste Pulverdampf langsam lichtet.
Wo herrscht die größte Unsicherheit im Umgang mit dem Thema?
Es fehlt in der Praxis bei vielen Arbeitgebern noch das Bewusstsein, dass das Mindestlohngesetz nicht nur im Niedriglohnsektor Anwendung findet. Vielmehr ist der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro als „Sockel“ im Gehalt jedes Arbeitnehmers enthalten. So stellt sich in der Praxis etwa die Frage, ob jede geleistete Überstunde mit mindestens EUR 8,50 zu vergüten ist oder ob nach wie vor zumindest ein bestimmtes Überstundenkontingent mit dem Monatsgehalt abgegolten werden kann. Weiterer zentraler Punkt ist, ob Zuschläge jedweder Art oder jährliche Sonderleistungen, etwa ein Weihnachtsgeld, auf den Mindestlohn angerechnet werden können oder nicht. Schließlich besteht auch bei der Behandlung bestimmter Beschäftigtengruppen insgesamt, z. B. Praktikanten, nach wie vor erhebliche Unsicherheit.
Wie hoch ist der bürokratische Aufwand, der sich durch die Aufzeichnungspflichten ergibt?
Der bürokratische Aufwand durch die Aufzeichnungspflichten nach dem Mindestlohngesetz ist nicht zu unterschätzen. Branchenübergreifend sind für geringfügig Beschäftigte („450-Euro-Kräfte“) der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit, deren Dauer sowie die Lage der Pausen vom Arbeitgeber zu dokumentieren. Ansonsten droht ein Bußgeld. Das Mindestlohngesetz schafft jedoch dadurch Erleichterungen, dass keine festen Vorgaben zur Erfüllung dieser Dokumentationspflicht gemacht werden. Insbesondere wird es daher für zulässig gehalten, diese Dokumentationspflichten auf den einzelnen Arbeitnehmer zu übertragen. Selbstverständlich ist dann aber die Einhaltung durch den Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zu überwachen.
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