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2012 ist ein Premium-Jahrgang

Einen eigenen Sendeplatz hat der Man Booker Prize nicht (mehr), aber auch in diesem Jahr wurde die Verkündung des Preisträgers von der BBC live in den Spätnachrichten übertragen. Foto: Jury-Präses Sir Peter Stothard mit Preisträgerin Hilary Mantel. 

Wenn es Herbst wird, schlägt die Stunde der großen europäischen Literaturpreise. Auch in diesem Jahr wurden innerhalb weniger Wochen fünf renommierte Auszeichnungen verliehen, die nicht nur in ihren Heimatländern für Schlagzeilen auf den Titelseiten sorgten, sondern wie immer auch international große Beachtung gefunden haben:

  • Der Deutsche Buchpreis ging 2012 an Ursula Krechel und ihren Roman „Landgericht“ (Jung und Jung).
  • Der Chinese Mo Yan wurde in Stockholm  zum neuen Preisträger des Literaturnobelpreises ausgerufen.
  • In Spanien votierte die Jury des Premio Planeta für Lorenzo Silva und seinen Kriminalroman „La marca del meridiano“.
  • Hilary Mantel wurde in London für „Bring Up the Bodies“ mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.
  • Jérôme Ferrari erhält den diesjährigen Goncourt-Preis für den Roman „Le sermon sur la chute de Rome“. 
Man Booker hat größte Strahlkraft
Die größte kommerzielle Strahlkraft der fünf Herbstpreise hat jedoch zweifellos der Man Booker Prize. Großbritanniens renommierteste literarische Auszeichnung ist ein bewährter „Königsmacher“, egal, ob es sich beim Preisträger um ein unbeschriebenes Blatt oder ein Mitglied des schreibenden Establishments handelt. Als grobe Richtlinie orientieren sich Verlage und Buchhandel an mindestens 100.000 Hardcovern und 200.000 Taschenbüchern, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Der erfolgreichste Man-Booker-Siegertitel aller Zeiten ist Yann MartelsLife of Pi“ mit 1,3 Mio verkauften Exemplaren in allen Formaten.
Auch in diesem Jahr sind die Erwartungen hoch, denn mit ihrer Entscheidung für Hilary Mantel und „Bring Up the Bodies“ (erscheint in der deutschen Übersetzung bei DuMont) hat die Jury den britischen Buchmarkt um einen sicheren Bestseller in einem Weihnachtsgeschäft reicher gemacht, von dem so viel abhängt wie lange nicht mehr.
Der Handel ist bester Stimmung, denn anders als viele Man-Booker-Gewinner vor ihr muss Hilary Mantel, die historische Stoffe wie sonst kaum jemand fesselnd aufbereiten kann, dem Kunden nicht erklärt werden. Sie ist ein Selbstläufer, seit sie 2009 erstmals den Man Booker für „Wolf Hall“ erhalten hat. „Bring Up the Bodies“ ist die Fortsetzung ihres damaligen Siegertitels über Aufstieg und Fall von Thomas Cromwell am Hofe Heinrichs VIII. und auch ohne die Strahlkraft des Literaturpreises bereits ein Bestseller: Von Mai bis zur Man-Booker-Verleihung hatte Fourth Estate bereits über 100.000 gebundene Exemplare  verkauft.
Neue Namen braucht das Land
Auch wenn mit Hilary Mantel und Fourth Estate letztlich etablierte Namen die Nase vorn hatten, wird der Man Booker Prize 2012 in die Annalen eingehen, weil die Jury eine deutliche Präferenz für junge, weitgehend unbekannte Autoren und Indie-Verlage gezeigt hat, mit der in dieser Konstellation niemand gerechnet hatte. Weil Mantel und Will Self (Bloomsbury) die einzigen bekannten Namen auf der Shortlist waren, hatte in den britischen Medien im Vorfeld bereits das Wort vom Finale der Namenlosen die Runde gemacht.
„2012 ist ein Premium-Jahrgang“

Peter Stothard über die Jury-Arbeit für den Man Booker Preis

Sir Peter Stothard, Vorsitzender der Man- Booker-Jury 2012, ist seit 2003 Herausgeber des einflussreichen „Times Literary Supplement“. Zuvor war er zehn Jahre lang Chefredakteur der „Times“. 2003 wurde der heute 61-Jährige von Königin Eli­zabeth II. wegen seiner Verdienste um das britische Zeitungswesen in den Adelsstand erhoben.
Als Herausgeber des „Times Literary Supplements“ sind Sie ein Mann der Bücher. Was macht für Sie ein gutes Buch aus?
Mein eigenes wichtigstes Kriterium ist Langlebigkeit. Ein Buch, das ich immer wieder gern aus dem Regal nehme und dann beim wiederholten Lesen neu entdecke, ist für mich ein gutes Buch. Das kann ein Krimi sein, ein Roman oder ein Klassiker der griechischen Literatur. Ich muss mich nur willkommen fühlen.
Sie haben sich durch 154 erzählerische Werke britischer Schriftsteller gelesen. Ist 2012 ein gutes Jahr für literarische Bücher?
Sehr gut sogar, vielleicht sogar das beste Jahr der letzten Dekade. Ich habe selten mit so viel Vergnügen literarische Bücher gelesen. Es ist ein Premium-Jahrgang, ein Kanon an­spruchsvoller englischsprachiger Literatur vom Feinsten. Und es spricht für die Klasse des Jahrgangs 2012, dass wir es uns leisten konnten, so viele prominente Vertreter der zeitgenössischen Literatur schon auf der Longlist nicht zu berücksichtigen.
Zum zweiten Mal hintereinander hat die Man-Booker-Jury Schriftsteller aus unabhängigen Verlagen in den Blickpunkt gerückt. Zufall?
Ganz und gar, zumindest was die Jury dieses Jahres angeht. Wir sind keinesfalls mit dem Vorsatz angetreten, namhafte Schriftsteller in diesem Jahr außen vor zu lassen oder kleinere Verlage zu bevorzugen. Das hat sich ganz einfach ergeben, weil uns die sechs Titel der Shortlist am meisten beeindruckt haben. Wobei allerdings die Frage erlaubt sein muss, wie es geschehen konnte, dass die etablierten Buchverlage Großbritanniens einige wirklich bemerkenswerte li­terarische Talente einfach so übersehen haben.
Sie haben bereits mehrfach in der Jury britischer Literaturpreise gesessen. Mussten Sie für den Man Booker Prize überredet werden?
Nein, denn der Man Booker ist etwas ganz Besonderes. Ich habe aber trotzdem nicht spontan zugesagt, weil der zeitliche Aufwand ungewöhnlich groß ist. Es gibt keine Vorauswahl wie bei vielen anderen Literaturpreisen, sondern wir haben alles durchgearbeitet, was die Verlage eingereicht haben, Dutzende Vorschauen gesichtet und weitere Bü­cher angefordert, die uns aufgefallen sind. Und die Toptitel haben wir sogar mehrfach gelesen.
Die Fragen stellte Anja Sieg 

Mehr zum Thema im buchreport.magazin 11/2012 (hier zu bestellen).

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