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30 bis 50 Bücher pro Jahr

Am 11. August vor 112 Jahren wurde Enid Blyton geboren. Zum Jahrestag gibt buchreport in Kooperation mit dem Verlag J.B. Metzler einen Überblick über die Kinderbücher der britischen Autorin. Ein Auszug aus dem neuen Kindlers Literatur Lexikon, das am 4. September 2009 erscheint.

Die Kinderbücher


Hauptgattung: Epik/Prosa, Untergattung: andere Epik/Prosa, (engl.)

Dank ihrer unglaublichen Produktivität und der weltweiten begeisterten Aufnahme ihrer Werke beim Zielpublikum (Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren) nimmt die Autorin in der Geschichte der Kinderliteratur eine einmalige Sonderstellung ein. Neben Hunderten von Kurzromanen veröffentlichte sie eine sehr große Zahl von Gedichten, Märchen, Kurzgeschichten, Nacherzählungen, Sachbüchern und Bühnentexten, wobei ihre kürzeren Texte meist in selbst herausgegebenen Sammelbänden und Zeitschriften erschienen. Durch eigene Zeitschriften, Fanclubs sowie Bühnen- und Fernsehversionen ihrer Bücher sorgte sie zusätzlich für deren optimale Vermarktung.
Eckstein ihres Erfolgs sind ihre Kinderbuch-Serien.

Der Einsatz fester ›Bausteine‹ – gleichbleibende Protagonisten, feste Handlungsmuster, stereotype Figuren, simple Dialoge – ermöglichte es ihr, zeitweise 30 bis 50 Bücher pro Jahr zu produzieren. Besonders populär wurden Serien, in denen Gruppen von Kindern in den Ferien an verschiedenen, meist entlegenen Orten auf dem Land Abenteuer erleben: so z. B. die Famous Five-Serie (Fünf Freunde), die 1942 mit Five on a Treasure Island (Fünf Freunde erforschen die Schatzinsel) begann und bis 1963 auf 21 Bände angewachsen war. Weitere Serien dieser Art sind die achtbändige Abenteuer-Serie, beginnend mit The Island of Adventure, 1944 (Die Insel der Abenteuer), sowie ab 1943 die Mystery-Serie (Geheimnis-Serie) und ab 1949 die Secret Seven-Serie (Die schwarze Sieben) mit jeweils 15 Bänden.

Wesentlich für den Erfolg dieser Serien dürfte sein, dass als Protagonisten stets Gruppen von Kindern in weitgehender Unabhängigkeit von Erwachsenen agieren und fern des Alltags aufregende Dinge erleben. Meist kommen sie kriminellen Machenschaften Erwachsener auf die Spur. Dank ihrer nie von ernsthaften Spannungen getrübten Freundschaft und ihres auf klaren Rollenverteilungen gründenden Zusammenhalts erledigen sie ihre selbstgestellten Aufgaben stets mit Bravour. Die moderne Gattung des ›Kinderkrimis‹ wurde von diesen Serien entscheidend geprägt.
Eine kleinere Gruppe bilden die Schulgeschichten für Mädchen, von denen die St. Clare’s-Serie (1941–1945) und die Malory Towers-Serie (1946–1951) in Deutschland in den 1960er Jahren unter den Titeln Hanni und Nanni bzw. Dolly – Schulabenteuer auf der Burg eingeführt wurden.

Die Geschichten um eine Holzpuppe namens Noddy, für jüngere Kinder geschrieben, sind in England bekannter als in Deutschland, wenn auch wegen rassistischer Tendenzen umstritten. 1949 erschien der erste Band, Noddy Goes to Toyland, (Nicki fährt ins Spielzeugland, 1962); bis 1964 folgten 23 weitere Bände. Insgesamt ist Blytons Schrifttum schwer überschaubar, nicht nur wegen seines unglaublichen Umfangs – in der neueren Forschung ist von 4000 Kurzgeschichten und über 700 Büchern die Rede – sondern auch, weil nach ihrem Tod Serien unter ihrem Namen fortgeschrieben und Übersetzungen und Neuauflagen mit zum Teil drastischen Veränderungen hergestellt wurden. Auch für den deutschen Buchmarkt wurden ihre Bücher häufig stark bearbeitet und sogar neue Titel unter ihrem Namen produziert.
Die literarkritische Rezeption von Blytons Kinderbüchern hat sich im Laufe der Zeit mehrmals gewandelt. Während man sie in den 1920er und 1930er Jahren als Pädagogin sowie als Dichterin und Erzählerin schätzte, wurde sie später, als sie den Status einer Bestsellerautorin erlangt hatte, vor allem wegen ihrer angeblich allzu einfachen und klischeehaften Sprache kritisiert. In den 1960er und 1970er Jahren warf man ihren Büchern vor, sie propagierten bürgerliche Klassenvorurteile und seien überdies rassistisch und sexistisch.

Neuere Forschungen wiesen nach, dass ihr am mündlichen Erzählen orientierter Sprachstil komplexer ist, als man bisher meinte; auch würden Geschlechterklischees zwar einerseits bedient, andererseits aber auch in Frage gestellt. Auch bei den Schulgeschichten wurden emanzipatorische Tendenzen hervorgehoben. Im Übrigen tendiert die Kritik inzwischen dazu, Blytons Bücher, ähnlich wie Märchen, aus entwicklungspsychologischer Sicht positiv zu bewerten. Indem sie klare Gut-Böse-Schemata anwenden, Kinder als geschickt und kompetent sowie, in Umkehrung der realen Macht- bzw. Abhängigkeitsverhältnisse, als nahezu autonom vorführen und die Utopie einer funktionierenden Gemeinschaft von einander ergänzenden Persönlichkeitstypen entfalten, befriedigen diese Bücher offenbar psychische Bedürfnisse vorpubertärer Kinder, die – betrachtet man den weltweiten Erfolg – weitgehend zeit- und kulturraumunabhängig zu sein scheinen, und nicht zuletzt brachten sie zahllose Kinder dazu, Vergnügen am Lesen zu finden.

Lit.: O. Brunken: Das Rätsel B. und die Lust an der Trivialität, in: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur, Hg. B. Hurrelmann, 1995, 401–418. • D. Rudd: E. B. and the Mystery of Children’s Literature, 2000. • M. C. Just: E. B. im Spiegel von Literatur-Lexika, in: Kinder- und Jugendliteraturforschung 2002/2003, 2003, 79–99.
Dieter Petzold

Zur Person: Enid Blyton


geb. 11.8.1897 London (Großbritannien)
gest. 28.11.1968 London (Großbritannien)
1916 Ausbildung zur Kindergärtnerin und Grundschullehrerin nach den Prinzipien Friedrich Fröbels und Maria Montessoris; 1919 Grundschullehrerin; 1922 Veröffentlichung eines Gedichtbands für Kinder; ab 1924 freie Schriftstellerin: Gedichte, Theaterstücke, Geschichten und Romane für Kinder, daneben pädagogische Schriften; überaus produktiv und erfolgreich; Gesamtwerk von ca. 4000 Geschichten und über 700 Büchern; weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen.
Lit.: B. Stoney: E. B., 1997.

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