Die meisten Unternehmen suchen „junge, dynamische“ Bewerber. Gegenüber älteren Arbeitnehmern gibt es, insbesondere im Software-Bereich, häufig Vorbehalte, beobachtet Personalberater Shezan Kazi. Ein Plädoyer für mehr Diversität beim Alter.
Ich bin Personalberater im Bereich Softwareentwicklung und das mittlerweile seit einigen Jahren. Was andere als Nischenmarkt, Spezialisierung oder Schwerpunkt innerhalb der Personalberatung verstehen, ist für mich wesentlich mehr als nur ein Beruf, programmiere ich doch selbst recht gerne. Daher macht es mir sehr viel Spaß, mit meinen Bewerbern über fachliche Themen zu sprechen, und daraus entspringt dann auch das gelegentliche Feierabendbierchen. Da spielt es mir natürlich sehr in die Karten, dass 95% meiner Auftraggeber „junge, dynamische“ Bewerber wünschen – was selbstverständlich nicht in der Stellenbeschreibung steht, aber unmissverständlich in den Augen der jeweiligen Manager zu lesen ist. Seit ich als Personalberater tätig bin, habe ich noch niemanden über 50 in eine Nicht-Führungsposition vermittelt und kenne auch nur wenige Kollegen, die das tun.
Diversity bedeutet nicht nur Mann oder Frau, weiß oder braun, homo oder hetero. Auch das Alter darf keine Rolle spielen.
Warum das so ist und warum junge Programmierer nicht schlichtweg und kategorisch die besseren Programmierer, die zuverlässigeren Kollegen und die „wirtschaftlicheren Entscheidungen“ sind, möchte ich im Folgenden kurz erläutern.
Team-Fit
Der Team-Fit oder die Integrierbarkeit ist eines der stärksten Argumente, welches gegen die Einstellung „alter“ Bewerber spricht . Deshalb möchte ich diesen Punkt besonders ausführlich gestalten.
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Bei allen Debatten um Diversity – ob geschlechtlich oder kulturell – passt diese Meinung doch so gar nicht ins Bild. Ich frage mich daher, ob es erwünscht ist, dass in einem Entwickler-Team alle an einem Strang ziehen, jeder den gleichen Gedanken hat und Entscheidungen oder Strukturen nicht kritisch hinterfragt werden. Homogenität vor Heterogenität, Einigkeit vor Vielfalt, „jawohl“ vor „aber“? Ist wirklich die bestehende Lösung immer die beste? Wenn das wirklich so ist, warum wollen wir dann autonom fahren, wenn es auch manuell geht? Warum wollen wir online bestellen, wenn REWE um die Ecke ist? Warum nutzen wir WhatsApp, wenn es SMS gibt? Warum telefonieren wir, wenn wir Briefe schreiben können?
Gleich und gleich gesellt sich gerne, aber gleichzeitig ziehen sich Gegensätze doch an. Ich muss gestehen, dass ich an meinen Kollegen sehr zu schätzen weiß, dass wir nicht immer einer Meinung sind. Und im Gespräch mit älteren Freunden merke ich oft, welche Bereicherung der Altersunterschied darstellt. Ein Ja-Sager ist für mich keine Bereicherung – hinterfragt zu werden und Andersdenkenden zuzuhören, jedoch schon – dadurch erst entstehen neue Ideen, und der Status Quo weicht dem Fortschritt.
Dass es zu wenige gemeinsame Interessen gibt und ältere Kollegen dadurch ausgegrenzt würden, kann ich ebenfalls nicht nachvollziehen. In der Arbeit wird in der Regel über Arbeit gesprochen oder über Sport, TV, Politik und das Wochenende. Ich wüsste nicht, warum das mit einem älteren Kollegen nicht funktionieren sollte.
Renteneintritt
Das Renteneintrittsalter liegt mittlerweile bei ca. 67 Jahren – Frührentner und Spätrentner mal ausgenommen. Damit hat ein Mitarbeiter, der bereits die 50-Jahres-Grenze überschritten hat, immer noch ein Drittel seines Lebensarbeitszeitkontingents übrig. Das sind noch ganze 17 Jahre! Und selbst wenn es ein Frührentner wird (mit 63 Jahren), sind das noch 13 Jahre. An Gewicht gewinnt dieser Punkt aber erst in Kombination mit dem nächsten Punkt:
Loyalität
In meinem Bekannten- und Verwandtenkreis sind viele älter als 50. Fast allen davon ist eines gemein: Sie arbeiten seit eh und je in ein und derselben Firma. Auf meinen Klassentreffen hingegen ist das Bild schon ein anderes: fünf Jahre in einer Firma sind schon eine sehr lange Zeit. Danach muss man sich dringend etwas Neues suchen, um einen „Karrieresprung“ zu machen. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung und für mich auch sehr gut verständlich. Schließlich sind wir erzogen worden, emanzipiert zu sein. Das Wort kommt vom lateinischen emancipatio, was „Entlassung aus der väterlichen Gewalt“ bedeutet und damit ganz klar zeigt, woher der Wind weht. Die Generation U50 glaubt an sich, ist rebellisch und versucht sich vom Alten zu lösen (kein Wunder, dass jeden Monat ein neues Frontend-Framework gehypt wird). Die Generation Ü50 hingegen glaubt daran, dass Führung gut ist, dass Regeln nicht gebrochen werden müssen, und dass nach der Ruhe nicht immer ein Sturm kommen muss.
Worauf ich hinaus möchte, ist, dass bei gleichen Rahmenbedingungen (Unzufriedenheit, Streit mit den Vorgesetzten, neuen Offerten von Headhuntern) ältere Kollegen tendenziell einen höheren Grad an Loyalität aufweisen. Ohnehin ist es unwahrscheinlich, dass ein Kollege über 50 in den kommenden 13 Jahren noch mehr als einmal wechselt (ein junger hingegen durchschnittlich dreimal). Das mag daran liegen, dass er weniger Jobangebote bekommt, sicherlich liegt es aber auch daran, dass seine Frustrationsschwelle höher liegt und der Wunsch nach Selbsterfüllung und Karrierebeschleunigung bereits weitgehend gesättigt ist.
Erfahrung
Ich kenne keinen Bereich innerhalb der Software-Entwicklung, der sich so rasant entwickelt wie das Web-Frontend. Fast monatlich kommen neue Trends. jQuery ist so lange her, dass man sich kaum noch darüber zu sprechen traut. Angular 1 ist out, da Angular 2 in und nicht abwärtskompatibel ist. React, Vue, Ember, Knockout, Riot, Polymer sind gerade in aller Munde und bringen öfter neue Versionen heraus als Donald Trump zweifelhafte Tweets. Wer hier mithalten will, muss also ständig am Ball bleiben und was neues ausprobieren. Oder nicht?
Vor nicht allzu langer Zeit stand ich vor einer schwierigen Aufgabe und musste für unser neues System eine DB-Architektur in MongoDB erstellen. Zusammen mit mehreren Freunden haben wir lange überlegt, wie wir auf Heroku und Amazon die Leistung durch Hardware- und Implementierungs-Verbesserungen optimieren könnten.
Eines Tages habe ich meinen Nachbarn gefragt, der seit Jahren mit Oracle-Datenbanken arbeitet, aber eben gar nichts mit den neuen Frameworks am Hut hat. Er hat mir gezeigt, dass relationale Datenbanken manchmal die bessere Alternative sind. Kurzerhand hat er durch ein paar hochkomplexe SQL-Queries (in PostgreSQL, das er noch nie verwendet hatte, aber dank Dokumentation in wenigen Minuten verstanden hatte) das erreicht, was wir mit Django REST Framework, Python Pandas und NoSQL versucht hatten. Hätte ich nicht jemanden mit so viel Erfahrung gefragt, wären wir zu sechst nie auf diese Lösung gekommen und hätten noch lange Zeit versucht, mit „sophisticated approaches“ wie Machine Learning das Problem in den Griff zu bekommen.
Meine Schlussfolgerung ist daher, dass ein Team, dessen Entwickler ein sehr breites Erfahrungsspektrum mitbringen, wesentlich produktiver ist als solche mit sehr homogenen Erfahrungen: die „Jungen“ sind neugierig und experimentierfreudig, die „Alten“ wissen, wo Fehler auftauchen könnten, und bringen Ruhe in das Team.
Werte
Ich glaube, es kann als erwiesen gelten, dass unsere Generation andere Werte hat als die unserer Eltern. Unseren Eltern – der Ü50-Generation – wurden Werte mit auf den Weg gegeben, die im beruflichen Alltag durchaus wünschenswert sind. Ich möchte daher kurz auf jene Werte eingehen, die ich bei mir selbst und meinem jüngeren Bekanntenkreis vermisse:
Pünktlichkeit
Am auffälligsten ist dieser Punkt für mich. Wenn ich mich mit Freunden treffen, kommt garantiert jemand zu spät. Im Beruf begegnet mir das auch ständig, wenn es um Deadlines geht. Wird ein Termin nicht eingehalten, muss man eben mal „chillen“ oder es „easy taken“. Was in meiner Generation die Regel ist, ist bei den Ü50 wirklich die Ausnahme.
Reife
Mit dem Alter kommt die Weisheit. Ob das stimmt, bezweifle ich oft. Die Reife jedoch kommt mit dem Alter. Und so sieht man ego-bedingte Konflikte seltener zwischen älteren als zwischen jüngeren Kollegen. Das korreliert auch mit dem nächsten Punkt:
Gute Zuhörer
Ich treffe mich oft privat mit Managern, mit denen ich zusammenarbeite, um Input für meine Entwicklungsprojekte zu erhalten, und auch einfach, um uns über Themen auszutauschen. Genausooft treffe ich mich mit jungen Entwicklern auf Meetups oder auf ein Bierchen. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie gerne wir Jungen doch von uns erzählen und wie wenig wir erzählen lassen (da bin ich keine Ausnahme). Die Älteren hingegen hören erstmal zu und warten (keine Ahnung worauf), bevor sie ihren Senf dazugeben.
Organisationstalent
In meinem Leben und dem meiner Kollegen läuft alles nach SCRUM-ähnlichen Mustern ab. Man arbeitet eben das ab, was gerade anfällt. Strukturierte Tagespläne sind eher selten. Das ist eben die Kehrseite der sehr populären To-Do-Listen – sie werden immer länger und länger. Mein Vater hingegen hat einen Kalender und ein Notizbuch, in dem er alles notiert, und damit ist er wirklich immer bestens organisiert. Ich habe mir das vor einem Jahr angewöhnt und fahre sehr gut damit.
Hingabe
Einer der populärsten Begriffe im Zusammenhang mit Arbeit und Karriere ist die Work-Life-Balance. Gerade in einem kosmopolitischen Umfeld geht das Leben erst nach dem Feierabend los. Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht viel arbeiten, denn das tun die meisten meiner jungen Bekannten. Jedoch ist es nicht die gleiche Art von Hingabe, die ich bei meinem Schwiegervater sehe, der seit über 40 Jahren bei der Deutschen Bank ist, ja der heute ein Stück Deutsche Bank ist – oder die Deutsche Bank ein Stück von ihm.
Schon oft habe ich gehört, wie alte „Siemensianer“ beschmunzelt wurden, weil sie doch so starr seien. Dabei wird aber vergessen, dass diese Starre – ich nenne es an dieser Stelle Hingabe – Siemens zu dem gemacht hat, was es heute ist. Wenn wir mal über den großen Teich schauen, dann lacht dort niemand über solche Strukturen. Ganz im Gegenteil: Steve Jobs gilt als Ikone und Synonym für Erfindergeist und Innovation. Wer sich mit seinem Führungsstil einmal näher befasst, der wird feststellen, dass er gar nicht so dynamisch war, wie man gerne erzählt. Und wer jetzt glaubt, ich würde fantasieren, dem rate ich dringend, einfach mal die Siemens-Zentrale in München zu besuchen.
Damit komme ich zum Ende dieses Artikels. Zugegebenermaßen haben wir in unserer Firma keine besonders alten Mitarbeiter. Das liegt aber nicht an irgendeiner Form der Diskriminierung, sondern vielmehr an der Tatsache, dass wir noch keine Bewerbungen hatten.
Auf dieses Thema gekommen bin ich übrigens durch einen Film, der mir sehr gefallen hat. Das lag mit Anne Hathaway und Robert De Niro nicht zuletzt an den Protagonisten. Im Film „Man lernt nie aus“ stellt eine erfolgreiche Jungunternehmerin aus den USA einen Senior-Praktikanten ein, welcher – man mag es kaum glauben – frischen Wind ins Unternehmen bringt. Der Film ist sehr witzig und regt auch zum Nachdenken an. Es muss nicht immer „Alter vor Schönheit“ sein, manchmal ist es auch „Adel vor Odel“.
Fotos: Unsplash.
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